Artikel
Implementierung von Digitalen Gesundheitsanwendungen für Menschen mit depressiven Erkrankungen in der hausärztlichen Versorgung: Chancen und Barrieren aus der Sicht von Hausärzt*innen und Patient*innen
Suche in Medline nach
Autoren
Veröffentlicht: | 2. Oktober 2023 |
---|
Gliederung
Text
Hintergrund und Stand der Forschung: Depressive Erkrankungen tragen bereits in einem hohen Maß zu der Krankheitslast bei und steigen in ihrer Prävalenz kontinuierlich an. Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) gelten als Versorgungsinnovation mit dem Potenzial, bestehende Versorgungslücken in der psychotherapeutischen Versorgung zu verringern. Es handelt sich um onlinebasierte Interventionen, die von Gesundheitsprofessionen und Krankenkassen verordnet werden können. Insbesondere in der hausärztlichen Versorgung von Menschen mit depressiven Erkrankungen wird DiGA die Chance beigemessen, Wartezeiten auf eine therapeutische oder fachärztliche Behandlung zu überbrücken und die psychosomatische Grundversorgung zu unterstützen. Dennoch ist derzeit unklar, wie und ob DiGA in der hausärztlichen Versorgung eingesetzt werden.
Fragestellung und Zielsetzung, Hypothese: Untersucht wurde das hausärztliche Versorgungsverhalten von DiGA und mit der Einstellung von Patient*innen kontrastiert.
Methode: Von 01–06/22 wurden 34 qualitative leitfadengestützte Interviews mit Menschen mit depressiven Störungen (n=17) sowie hausärztlich tätigen Fachärzt*innen (n=17) geführt, transkribiert und nach der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz/Rädiker (2022) ausgewertet.
Ergebnisse: Das hausärztliche Wissen über die Inhalte von DiGA oder Unterschiede zwischen verschiedenen Angeboten bei psychischen Erkrankungen ist begrenzt. Während einige Hausärzt*innen interessiert daran sind Betroffenen ein Hilfsmittel zur Überbrückung von Wartezeiten zu empfehlen, lehnen andere eine Verordnung aus prinzipiellen Erwägungen für die eigenen Patient*innen ab. Nicht-Verordnende kritisieren beispielsweise die Qualität und Evidenznachweise oder sind der Auffassung, dass ihre Patient*innen einen persönlichen Kontakt bevorzugen. Auch die Erkrankten wissen wenig über den Zugang zu DiGA und wurden bislang kaum durch Behandelnde darüber informiert. Gleichzeitig hat die Empfehlung durch Versorgende für Patient*innen eine große Bedeutung, um sich weitergehend mit DiGA zu beschäftigen. Angesichts bestehender Wartezeiten zeigen sich die befragten Patient*innen tendenziell aufgeschlossen gegenüber den Angeboten, um den Umgang mit der eigenen Erkrankung zu verbessern. Dennoch äußern Patient*innen Bedenken hinsichtlich einer tatsächlichen Nutzung in akuten Krankheitsphasen und begründen dies mit depressionsbezogener Antriebslosigkeit.
Diskussion: Die Ergebnisse verdeutlichen die Relevanz von Hausärzt*innen für die Implementierung von DiGA und zeigen, dass hausärztliche Unwissenheit und Akzeptanz wesentliche Barrieren für den DiGA-Zugang von Patient*innen sein können. In der Praxis fehlen Informationen, die Behandelnden Hinweise auf die Beurteilung aus Patientensicht geben. Auch seitens der Patient*innen gilt es, das Wissen über die Angebote zu stärken, um diese bei der bewussten Entscheidung für oder gegen die Nutzung von DiGA zu unterstützen.
Implikation für die Versorgung: In Versorgungssituationen sollten Hausärzt*innen und Patient*innen stärker gemeinsam abwägen, ob und wie DiGA eine geeignete Maßnahme zur Überbrückung von Wartezeiten sein können.