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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

„Informelle Pflege und staatliche Anreize – Gibt es einen Einfluss auf die Erwerbstätigkeit der informellen Pflegepersonen?

Meeting Abstract

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  • Alla Gorbenko - Universität Witten/Herdecke , Lehrstuhl für Institutionenökonomik und Gesundheitspolitik, Witten, Deutschland
  • Dirk Sauerland - Universität Witten/Herdecke , Lehrstuhl für Institutionenökonomik und Gesundheitspolitik, Witten, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP083

doi: 10.3205/16dkvf185, urn:nbn:de:0183-16dkvf1859

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Gorbenko et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: In Zeiten des demografischen Wandels werden immer mehr Pflegeleistungen von Angehörigen und Freunden übernommen. Da man nicht davon ausgehen kann, dass die Pflegepersonen aus dem engeren sozialen Umfeld zur Pflege fachlich qualifiziert sind, werden solche Pflegeleistungen auch als „informelle Pflege“ bezeichnet. Allerdings befinden sich die betroffenen Pflegepersonen, insbesondere Frauen, häufig in einem erwerbsfähigen Alter und stehen daher (potentiell) auch dem regulären Arbeitsmarkt zur Verfügung. Diese duale Rolle von informellen Pflegepersonen, einerseits als häusliche Pflegeperson und andererseits als Erwerbsperson, führt zu politischen Trade-Offs im Hinblick auf die Integration dieser Personen in das Langzeitpflegesystem. Daher besitzen die häusliche Pflege und die Stabilisierung informeller Pflegearrangements in vielen europäischen Ländern bereits höchste pflegepolitische Priorität.

Fragestellung: Vor diesem Hintergrund wird die Fragestellung untersucht, ob die informelle Pflegetätigkeit in den betroffenen Haushalten einen Einfluss auf die Erwerbstätigkeit der Pflegepersonen hat und welche politischen Maßnahmen hinsichtlich der Förderung des informellen Pflegesektors bereits existieren.

Methode: Auf Basis von Primärdaten, die im Rahmen des EU-RP7-Projekts „RightTimePlaceCare“ im Zeitraum von 2010-2013 in acht europäischen Ländern generiert wurden, wurde eine empirische Analyse durchgeführt, die den möglichen Zusammenhang zwischen informeller Pflege und Erwerbstätigkeit der Pflegepersonen untersucht. Unter anderem wurden qualitative Fokusgruppeninterviews, mehrere Expertenbefragungen und eine große Befragungsstudie von Menschen mit Demenz und pflegenden Angehörigen durchgeführt, die eine dichte Beschreibung der Ist-Situation in den beteiligten Ländern lieferte. Um einen angemessenen Stichprobenumfang zu generieren und so die Validität der Ergebnisse zu gewährleisten, wurde die empirische Analyse auf Basis der aggregierten Daten aller acht Länder durchgeführt. Neben einem univariaten Probit-Modell kam zusätzlich ein bivariates Probit-Modell zum Einsatz, um so das auftretende Endogenitätsproblem zu berücksichtigen. Die Datenauswertung wurde mit der Statistiksoftware STATA 14.0 durchgeführt.

Ergebnisse: Lässt man zunächst eine mögliche Endogenität zwischen dem Pflegeangebot und der Erwerbstätigkeit außer Betracht, führt die empirische Analyse zu dem Ergebnis, dass eine hohe informelle Pflegeintensität für Menschen mit Demenzerkrankungen negativ mit der Wahrscheinlichkeit korreliert, erwerbstätig zu sein. Hingegen weisen die Pflegepersonen, die eine niedrige Pflegeintensität haben, eine positive Korrelation mit der Wahrscheinlichkeit einer Erwerbstätigkeit auf. Der Effekt verstärkt sich, sobald die Endogenität zwischen beiden Variablen berücksichtigt wird. Folglich existiert ein signifikanter Einfluss von informeller Pflege auf die Erwerbstätigkeit der Pflegepersonen.

Die finanzielle Unterstützung sowohl in Form von Sachleistungen als auch in Form von Bargeld ist die beliebteste Förderungsmaßnahme, die in den einzelnen europäischen Ländern eingeführt und von den Betroffenen in Anspruch genommen wird. Die finanzielle Unterstützung wird in allen Ländern in eine direkte (für die Pflegepersonen selbst) und in eine indirekte (für die Pflegebedürftigen) Unterstützung unterschieden. Jedoch sind die Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel die Höhe der Geldleistung oder die Verfügungskriterien, sehr heterogen.

Diskussion/Praktische Implikationen: Die duale Rolle von informellen Pflegepersonen, einerseits als häusliche Pflegeperson und andererseits als Erwerbsperson, führt zu politischen Trade-Offs im Hinblick auf die Integration dieser Personen in das Langzeitpflegesystem. Besonders die Betroffenen im pflegeintensiven Bereich müssen verstärkt in den Fokus genommen werden, um den Effekt auf die Verringerung des Arbeitskräfteangebots auf dem regulären Arbeitsmarkt zu reduzieren. Während die vorhandene Literatur überwiegend die Beziehung zwischen informeller Pflege und Arbeitsstunden oder der Erwerbsbeteiligung im Allgemeinen untersucht, gibt es einen hohen Forschungsbedarf hinsichtlich der Anreizwirkungen von Seiten des Staates bzw. der Gesundheitspolitik.