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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Verwendung der Delphi-Technik zur Entwicklung von Best-Practice-Leitlinien in der Palliativversorgung – eine methodologische systematische Übersichtsarbeit

Meeting Abstract

  • Saskia Jünger - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Allgemeinmedizin, Hannover, Deutschland
  • Sheila A. Payne - Lancaster University, International Observatory on End of Life Care, Division of Health Research, Lancaster, United Kingdom
  • Jenny Brine - Lancaster University, Lancaster University Library, Academic Services, Lancaster, United Kingdom
  • Lukas Radbruch - Universitätsklinikum Bonn, Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, Bonn, Deutschland
  • Sarah G. Brearley - Lancaster University, International Observatory on End of Life Care, Division of Health Research, Lancaster, United Kingdom

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocFV67

doi: 10.3205/16dkvf030, urn:nbn:de:0183-16dkvf0304

Veröffentlicht: 28. September 2016

© 2016 Jünger et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: In der Forschung im Bereich der Palliativversorgung ist es aus ethischen, ökonomischen oder praktischen Gründen nicht immer angemessen, Evidenz hinsichtlich guter Praxis mittels randomisierter kontrollierter Studien oder großer Beobachtungsstudien zu erlangen. Viele Leitlinien gründen sich daher auf Expertenurteilen; in der Entwicklung von Praxis-Leitfäden findet die Delphi-Technik breite Anwendung. Die Ergebnisse von Delphi-Verfahren bilden somit eine tragende Grundlage für Entscheidungen mit Relevanz für die klinische Versorgung. Ziel dieser Studie war es daher, die Verwendung der Delphi-Technik zur Entwicklung von Best-Practice-Leitlinien in der Palliativversorgung systematisch zu untersuchen.

Fragestellung: „Wie wird das Delphi-Verfahren zur Entwicklung von Best-Practice-Leitlinien in der Palliativversorgung verwendet?“ mit besonderem Fokus auf die Sorgfalt bei der Durchführung der Studien sowie auf die Reporting-Qualität.

Methode: Eine methodologische systematische Übersichtsarbeit wurde vom 15. – 22. März 2015 in den Datenbanken PubMed, CINAHL, Web of Science, Academic Search Complete und EMBASE durchgeführt. Einschlusskriterium war der Einsatz der Delphi-Technik zur Entwicklung von Leitlinien für gute klinische Praxis in der Palliativversorgung. Ausgeschlossen wurden Artikel, die auf das Delphi-Verfahren Bezug nahmen, jedoch nicht über die Methodik berichteten. Zur Volltextanalyse wurden englischsprachige Originalarbeiten berücksichtigt. Das Formular zur Datenextraktion wurde in Anlehnung an die Richtlinien des „Centre for Reviews and Dissemination“ für systematische Übersichtsarbeiten entwickelt. Es wurden Daten zur Methodik (u.a. Konsens-Kriterium sowie Ziel, Design und Anzahl der Delphi-Runden) und zur Reporting-Qualität extrahiert. Im Rahmen der Datenauswertung wurde eine Qualitätsbewertung hinsichtlich der Durchführung der Studien sowie der Transparenz ihrer Darstellung in der Publikation vorgenommen.

Ergebnisse: Die Suche ergab 2654 Treffer; 35 Artikel (1997–2015) zu 30 empirischen Studien wurden zur Volltextanalyse herangezogen. Die Zielsetzung war in allen Studien klar definiert; mit Ausnahme von dreien fand sich eine methodische Begründung für die Wahl des Delphi-Verfahrens. Alle bis auf fünf Studien hatten ein a-priori Konsens-Kriterium definiert. Die Methodik war in der Mehrheit der Studien (n=25) nachvollziehbar beschrieben, wobei nur sechs ein Flow-Diagramm zur Illustration des Ablaufs nutzten. Überwiegend kamen zwei (n=14) oder drei (n=8) Runden zum Einsatz; häufigstes Ziel der Iteration war das Erreichen von Konsens bezüglich des Ratings von Items in einem standardisierten Fragebogen (n=24). Eine Vorab-Testung des Erhebungsinstruments berichteten nur fünf Studien. Während die Ergebnisse mehrheitlich (n=24) transparent dargestellt wurden, war der Prozess der Konsensbildung nicht in allen Fällen nachvollziehbar; in 8 Studien war beispielsweise nicht erläutert, wie die Synthese der Antworten einer Befragungsrunde in die Gestaltung der nachfolgenden Runde einfloss. Für 9 Studien fehlte eine angemessene Diskussion potenzieller Limitationen. Daneben fanden sich Diskrepanzen in der Beschreibung der Technik, z.B. bezüglich des Verständnisses einer „Delphi-Runde“ oder einer „modifizierten“ Delphi-Studie.

Diskussion: In den untersuchten Delphi-Studien fanden sich bedeutsame Unterschiede hinsichtlich der Qualität des Designs und der Darstellung essenzieller Prozess- und Ergebnisparameter. Wenngleich fehlende oder verkürzte Beschreibungen der Methodik und der Ergebnisse in Teilen den Autorenrichtlinien wissenschaftlicher Zeitschriften, z.B. Limitationen der Wortanzahl, geschuldet sein können, zeigen einige beispielhafte Artikel, wie auch mit begrenztem Raum eine fundierte Darstellung essenzieller Parameter des Delphi-Verfahrens möglich ist. Da Best-Practice-Leitfäden in der Palliativversorgung sich in bedeutsamem Maße auf die Delphi-Technik stützen, sind Konsistenz und Qualität bezüglich der Durchführung wie auch der Beschreibung der Studien erforderlich. Dies ist eine Voraussetzung für die Anerkennung der Methode als Beitrag zu solider Evidenz, sowie für eine höhere Würdigung von Expertenurteilen in der Evidenzbasierten Medizin.

Praktische Implikationen: Wir empfehlen eine sorgsame Anwendung der Delphi-Technik einschließlich der Begründung methodischer Details. Es wird ein Richtfaden zu Minimalanforderungen bei der Durchführung des Verfahrens erstellt; hierzu gehören u.a. das Pilotieren relevanten Materials sowie Maßnahmen zur Vermeidung von Bias. Außerdem wird ein Reporting-Standard vorgeschlagen, der die Beurteilung der Qualität des Designs sowie der daraus resultierenden Empfehlungen erlaubt. Dieser umfasst beispielsweise Hinweise zur nachvollziehbaren Beschreibung des Experten-Panels, des Ablaufs, der Konsensbildung, sowie der Bedeutung methodischer Limitationen für die Interpretation der Ergebnisse und der sich darauf gründenden Leitlinien für gute Praxis in der Palliativversorgung.