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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Transferprobleme von Studien der Versorgungsforschung am Beispiel einer Schulung für Selbsthilfegruppen

Meeting Abstract

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  • Erik Farin-Glattacker - Universitätsklinikum Freiburg, Qualitätsmanagement und Sozialmedizin, Freiburg, Deutschland
  • Andrea Schöpf - Universitätsklinikum Freiburg, Institut Qualitätsmanagement und Sozialmedizin, Freiburg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP052

doi: 10.3205/15dkvf287, urn:nbn:de:0183-15dkvf2876

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Farin-Glattacker et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Bei Studien der Versorgungsforschung stellt sich in besonderer Weise das Problem des Transfers von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis. Dieses Problem wird international unter den Begriffen „knowledge translation“ oder „implementation science“ diskutiert. Berichtet wird hier von einem BMBF-geförderten Projekt („Kommunikationskompetenzen chronisch Kranker“, kurz KoKoPa), welches nach der Durchführung eine ebenfalls vom BMBF geförderte „Umsetzungsbegleitung“ zur Förderung des Transfers erhielt. Die Umsetzungsbegleitung fand mit Unterstützung der Prognos AG statt. Im KoKoPa-Projekt wurde eine Patientenschulung zur Förderung von Kommunikationskompetenzen in Arztgesprächen konzipiert (KOKOS) und in einer Pilotstudie erprobt. Das Umsetzungsbegleitungsprojekt verfolgte das Ziel der Intensivierung der Dissemination der Schulung mit dem Prinzip der Kostendeckung. Ferner sollte zur Erleichterung der Verbreitung die Evidenzbasis zur Wirksamkeit der Schulung erhöht werden.

Fragestellung: Zu welchen Resultaten führte die wissenschaftliche Evaluation der KOKOS-Schulung? Welches sind die Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Projekt der Umsetzungsbegleitung?

Methode: Im Rahmen von drei qualitativen Studien sowie zwei quantitativen Studien wurden Daten an insgesamt über 2.400 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, Brustkrebs bzw. chronisch-ischämischer Herzkrankheit erhoben. Basierend auf den Resultaten der qualitativen Studien und der ersten quantitativen Studie wurde eine Patientenschulung zu folgenden Themen entwickelt: Vorbereiten von Gesprächen, Barrieren für aktives Verhalten, Aktives Verhalten während des Gesprächs (z.B. Rückfragen stellen), Nachbereiten von Gesprächen. Die Schulung wurde in einer Pilotstudie mit Selbsthilfegruppen erprobt und auf Akzeptanz und Nutzen getestet. Im Rahmen der Umsetzungsbegleitung wurden Flyer fertiggestellt, auf systematische Weise Selbsthilfegruppen und andere Institutionen (z.B. Krankenkassen) kontaktiert und eine Manualisierung des Schulungskonzepts vorgenommen.

Ergebnisse: Die Patienten haben die Schulung in allen bei der Evaluation abgefragten Kriterien als „gut“ bis „sehr gut“ bewertet. Bezüglich der Frage, ob das Training ihr Verhalten in zukünftigen Arztbesuchen ändern würde, gaben 79,4% der Teilnehmer die Antwort „ja“. Alle Teilnehmer würden das Training weiterempfehlen. Kritisch angemerkt wurden die Kürze der Zeit und ein noch höherer Bedarf an Rollenspielen zur Einübung der vermittelten Verhaltensweisen.

Die Erfolge der Umsetzungsbegleitung waren gemischt: Einerseits gelang eine finanzierte Durchführung nur in wenigen Selbsthilfegruppen. Krankenkassen stellen zwar Mittel zur Förderung der Selbsthilfe bereit, es gelang uns aber nicht, diese für eine direkte Durchführung der KOKOS-Schulung zu gewinnen. Nur wenige Selbsthilfegruppen besaßen die Mittel, um eine über die Forschergruppe durchgeführte KOKOS-Schulung zu finanzieren. Andererseits war auf der Forschungsebene als Erfolg zu verzeichnen, dass (gefördert von der Deutschen Rheumaliga) ein Folgeprojekt gewonnen werden konnte, das u.a. eine vertiefte Evaluation der KOKOS-Schulung mittels einer prospektiven, clusterrandomisierten Studie beinhaltet. Das Finanzierungsproblem der Dissemination soll hier durch ein Train-the-trainer-Konzept und die Implementierung über Selbsthilfegruppenleiter der Deutschen Rheumaliga gemildert werden.

Diskussionen: Studien zur Knowledge Translation Research (z.B. Jahed et al, 2012) verweisen darauf, dass die den Transferprozess beeinflussenden Faktoren vier Ebenen zugeordnet werden können: 1. die zu implementierende Intervention, 2. beteiligte Individuen (z.B. Forscher, Behandler, Patienten), 3. die Organisation (d.h. die Einrichtung, die die Intervention implementiert) und 4. Gesellschaft und Politik. Unsere Transferprobleme basierten wesentlich auf Finanzierungsbedingungen auf der Ebene 4. Auf Seiten der Patienten und der Selbsthilfegruppen waren ein großes Interesse und eine große Offenheit für die Schulung festzustellen. Bezüglich Ebene 1. arbeiten wir in dem Folgeprojekt an einer verbesserten Evidenzbasierung.

Praktische Implikationen: Praxisnahe Studien der Versorgungsforschung sollten schon bei der Planung und in den ersten Phasen der Projektdurchführung eventuelle Implementierungsprobleme (wie hier das der Finanzierung der Schulung in der Alltagsversorgung) berücksichtigen. Strukturelle Probleme lassen sich nur begrenzt durch eine Umsetzungsbegleitung der hier durchgeführten Art beheben. Kurzfristig aussichtsreicher sind u.U. inhaltliche Anpassungen der Implementierungsstrategie (hier durch das Train-the-trainer-Konzept über Betroffene). Diese sollten aber nicht den Blick auf die Notwendigkeit von Maßnahmen auf der strukturellen Ebene verstellen.