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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Politikfolgenforschung mit GKV-Routinedaten zur Krebsfrüherkennung: Mehr informierte Entscheidungen seit 2007?

Meeting Abstract

  • Dirk Horenkamp-Sonntag - WINEG, Hamburg, Deutschland
  • Susanne Engel - WINEG, Hamburg, Deutschland
  • Roland Linder - WINEG, Hamburg, Deutschland
  • Beate Bestmann - WINEG, Hamburg, Deutschland
  • Udo Schneider - WINEG, Hamburg, Deutschland
  • Frank Verheyen - WINEG, Hamburg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP051

doi: 10.3205/15dkvf286, urn:nbn:de:0183-15dkvf2869

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Horenkamp-Sonntag et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Darmkrebs zählt bei Männern und Frauen zur zweithäufigsten Krebsart. Das RKI geht für 2014 von rund 64.000 Neuerkrankungen aus, etwa 26.000 Menschen sterben pro Jahr daran. Durch Vorsorgeuntersuchungen wie z.B. die Koloskopie können gutartige Vorstufen erkannt und direkt entfernt werden. Insofern gilt Darmkrebs durch rechtzeitige Vorsorgeuntersuchungen als nahezu vermeidbar.

Seit 2002 ist die Früherkennungskoloskopie neben dem Okkultbluttest Bestandteil des GKV-Leistungskatalogs. Sie kann ab dem 55. Lebensjahr genutzt und nach zehn Jahren wiederholt werden. Insgesamt haben rund 20 Millionen Versicherte Anspruch auf diese Vorsorgeuntersuchung.

In den letzten zehn Jahren gab es verschiedenste Aktivitäten auf politischer Ebene, um die Teilnahme an der Krebsfrüherkennung zu erhöhen. Im Rahmen der Gesundheitsreform von 2007 (GKV-WSG) war ursprünglich vorgesehen, dass sich für chronisch kranke Versicherte, die vor ihrer Erkrankung regelmäßig Früherkennungsuntersuchungen in Anspruch genommen haben, die Zuzahlungsgrenze reduzieren sollte. Diese Pflicht zur Teilnahme an Gesundheits- und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen wurde aber mit GBA-Beschluss vom 19.07.2007 durch eine Früherkennungsberatung ersetzt. Demnach besteht seit dem 01.01.2008 Anspruch auf halbierte Belastungsgrenzen durch Teilnahme an einer einmaligen ärztlichen Beratung über Chancen und Risiken der Krebsfrüherkennung.

Mit dem am 09.04.2013 in Kraft getretenen Krebsfrüherkennungs- und registergesetz (KFRG) wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass die Krebsfrüherkennung mehr Menschen erreicht, indem die Versicherten künftig zur Colon- und Cervix-Ca-Früherkennung eingeladen und besser informiert werden sollen. Analog zu den Forderungen des Nationalen Krebsplans ist das Ziel dieser Maßnahmen, die informierte Entscheidung der Anspruchsberechtigten zu fördern und zu unterstützen. Abgesehen von (Modell-) Projekten einzelner Krankenkassen gibt es aktuell noch kein einheitliches Einladungsverfahren in der GKV-Regelversorgung für Darmkrebs, während dies für die Mammographie seit 2005 angewandt wird.

Fragestellung: Vor dem Hintergrund der verschiedenen Maßnahmen zur politisch motivierten Erhöhung der Teilnahmequote an Vorsorgeuntersuchungen wurde untersucht, inwiefern sich Art und Umfang der Teilnahme an Maßnahmen zur Krebsfrüherkennung im Langzeitverlauf (8 Jahre) geändert haben.

Methode: Grundlage sind GKV-Routinedaten von TK-Versicherten (n > 9 Millionen) im Zeitraum 2007 bis 2014. Es wurde untersucht, inwiefern bei TK-Versicherten mit Anspruch auf Früherkennungsuntersuchung im Langzeitverlauf relevante Auffälligkeiten bei der Leistungsinanspruchnahme von Vorsorgeleistungen zum Colon-Ca aufgetreten sind. Die ambulanten Leistungsinanspruchnahmen wurden im Zeitverlauf differenziert nach der Beratung zur Krebsfrüherkennung (GOP 01740), der präventiven (GOP 01741) und kurativen Koloskopie (GOP 13421) sowie nach der Untersuchung auf Blut im Stuhl (GOP 01734).

Ergebnisse: Im Zeitraum 1. Quartal 2007 bis 3. Quartal 2014 ließen sich insgesamt 884.933 Versicherte zur Früherkennung beraten. Dabei war die Inanspruchnahme der Beratungsleistung über den Gesamtzeitraum mit -16,9% rückläufig, wobei in einzelnen Jahren zweimal (2008 +4,6% und 2013 +4,4%) Zunahmen zu verzeichnen waren. Zeitgleich waren sowohl die Teilnahme an der präventiven Koloskopie (-30,4%) als auch die Okkultbluttest-Inanspruchnahme (-17,9%) rückläufig. Bei der Krebsfrüherkennungsberatung gibt es regional ausgeprägte Unterschiede, die in Sachsen (-4,9%) und Hessen (-20,8%) geringer ausfallen als beispielsweise in Bayern (-43,1%). Hingegen sind bei der präventiven Koloskopie die Rückgänge in Hessen (-54,5%) und Sachsen (-45,3%) deutlich ausgeprägter als in Bayern (-15,6%).

Diskussionen: Im Gesamtzeitraum ist über alle Maßnahmen zur Darmkrebsfrüherkennung hinweg bundesweit ein deutlicher Rückgang der Patientenbeteiligung festzustellen. Dieser wird nicht kompensiert durch eine vermehrte Inanspruchnahme zur Beratung über Krebsfrüherkennung. Somit lässt sich nicht schlussfolgern, dass bewusst eine informierte Entscheidung getroffen wurde, nicht an Früherkennungsmaßnahmen teilzunehmen. Hierzu sind weitere Informationen erforderlich, die nicht in GKV-Routinedaten enthalten sind. In diesem Zusammenhang bleibt abzuwarten, inwiefern die aus Modellprojekten generierten Primärdatenerkenntnisse (z.B. TK mit KV Bayern) zu Patientenpräferenzen hinsichtlich Anschreibeverfahren und Beratung Einfluss auf eine informierte Entscheidung zur (Nicht-)Teilnahme an der Vorsorge haben.

Praktische Implikationen: GKV-Routinedatenanalysen sind geeignet, im Rahmen einer Politikfolgenforschung zeitnah Hinweise auf Veränderungen bei der Teilnahme an Krebsfrüherkennungsprogrammen zu geben. Die regionale Variabilität der Inanspruchnahme von Leistungen zur Krebsfrüherkennung sollte bei der Einführung von strukturierten Einladungsprogrammen berücksichtigt werden.