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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Einflussfaktoren auf den Diagnoseweg seltener Erkrankungen aus Hausarztperspektive – Ergebnisse aus dem BMG-Projekt Denies

Meeting Abstract

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  • Anita Hausen - Universität Ulm, Institut für Allgemeinmedizin, Ulm, Deutschland
  • Marta Natan - Universität Ulm, Institut für Allgemeinmedizin, Ulm, Deutschland
  • Philippine Liffers - Universität Ulm, Institut für Allgemeinmedizin, Ulm, Deutschland
  • Hans-Peter Zeitler - Universität Ulm, Institut für Allgemeinmedizin, Ulm, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP043

doi: 10.3205/15dkvf279, urn:nbn:de:0183-15dkvf2797

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Hausen et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Seltene Erkrankungen sind unter anderem charakterisiert durch eine schwierige Diagnosestellung (Pommerening et al., 2008). Bei vielen dieser Menschen wird die Diagnose nicht gestellt, weil sie an einer seltenen Krankheit leiden, die den Ärzten nicht bekannt ist. Die Gefahr, dass seltene Krankheiten nicht diagnostiziert werden, ist dann besonders groß, wenn die Symptome der Krankheit mehrere Organsysteme betreffen und sich nicht einem einzigen medizinischen Fachgebiet zuordnen lassen (BMG, 2009). Definiert werden seltene Erkrankungen als Erkrankungen mit einer Häufigkeit von unter 5 betroffenen Personen bezogen auf 10.000 Einwohner.

Im Projekt Denies wurde als Ausgangspunkt der Betrachtung auf den Diagnoseweg seltener Erkrankungen der Hausarzt gewählt, da er bei gesundheitlichen Beschwerden oftmals die erste Anlaufstelle für seine Patienten darstellt. Hausärzten werden Defizite hinsichtlich einer zeitnahen und zutreffenden Diagnosestellung bei seltenen Erkrankungen sowie einer schnelleren Überweisung zu einem Facharzt zugeschrieben (Reimann, Bend & Dembiski, 2007). Deshalb ist es von Bedeutung aus Sicht der Hausärzte zu erfahren, welche Faktoren den Diagnoseweg einer seltenen Erkrankung beeinflussen können.

  • Fragestellung:
  • Welches Verständnis haben Hausärzte von seltenen Erkrankungen?
  • Welche Faktoren beeinflussen den Diagnoseweg seltener Erkrankungen in der Hausarztpraxis?
  • Wie gehen Hausärzte mit diagnostischer Unsicherheit um?
  • Zeigen sich Unterschiede in der Vorgehensweise beispielsweise in den Regionen, in der Abhängigkeit der Praxisgröße,...?

Methode: Die Strategie der Studie basiert auf einen explorativen und beschreibend angelegten Ansatz (qualitatives Design). Die Rekrutierung der Hausärzte erfolgte in mehreren Schritten. Zur Klärung der Einflussfaktoren auf den Diagnoseweg seltener Erkrankungen wurden schwerpunktmäßig qualitative Datenerhebungen mittels teilstandarisiertem Leitfadeninterview durchgeführt. Interviewt wurden 35 Hausärzte, die an der Diagnosestellung einer seltenen Erkrankung beteiligt waren. Eine Beschränkung auf bestimmte seltene Erkrankungen ist nicht festgelegt. Einzige Ausnahme stellen seltene Krebserkrankungen dar, diese werden nicht in die Studie aufgenommen. Die Hausärzte wurden im Vorfeld gebeten, sich für das Interview einen konkreten Fall oder zwei konkrete Fälle von seltenen Erkrankungen heraus zu suchen. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet, transkribiert und inhaltsanalytisch nach Mayring (2012) ausgewertet. Zur Standardisierung der Auswertung erfolgte die Zuordnung von bedeutsamen Textstellen zu Kategorien auf Basis zuvor festgelegter Regeln. Dieser Kodierleitfaden wurde zunächst an 10 Transkripten erprobt und entsprechend der Erfahrungen modifiziert und dann auf alle Transkripte angewendet. Die Entwicklung der Kodes erfolgte deduktiv an den Interviewleitfaden angelehnt, aber auch induktiv aus dem Textmaterial heraus.

Ergebnisse: Die Rekrutierung der Hausärzte erfolgte mit Schwerpunkt in Baden-Württemberg. In die Studie konnte ein breites Spektrum an Fällen von seltenen Erkrankungen eingeschlossen werden, beispielsweise Muskelerkrankungen, Amyotrophe Lateralsklerose, Mischkollagenosen, Muskelstoffwechselerkrankungen. Das Durchschnittsalter der Hausärzte liegt bei circa 52,7 Jahre (SD 9,9 Jahre), die Geschlechterverteilung ist nahezu ausgeglichen, zwei Drittel der Hausärzte arbeiten in einer Einzelpraxis und ein Drittel in einer Gemeinschaftspraxis. Der Kodierleitfaden umfasst 93 unterschiedliche Kodings. Diese Kodings wurden vier Hauptkategorien zugeordnet: Versorgungsstruktur, Arzt, Patient und Erkrankungsbild. Beispielsweise zeigt die Hauptkategorie Arzt die Bedeutung kognitiver Aspekte wie Fehlinterpretationen aufgrund von Vorurteilen als möglicher negativer Einfluss auf den Weg der Diagnosestellung auf. Als positiver Faktor ist das Suchen nach Informationen bei diagnostischer Unsicherheit zu nennen. In der Hauptkategorie Erkrankungsbild stellen gleichbleibende Symptome und Befunde einen eher negativen Faktor und Symptom- und Befundveränderungen einen eher positiven Faktor entlang der Diagnosestellung dar.

Diskussion: Die Analyse der Transkripte zeigt eine Vielzahl an Einflussfaktoren aus der Hausarztperspektive auf, die sich positiv, aber auch negativ auf den Diagnoseweg einer seltenen Erkrankung auswirken. Aus einigen der Einflussfaktoren lassen sich Hypothesen für vertiefende Forschungsaktivitäten ableiten. Das qualitative Studiendesign weist aber auch Limitationen auf, deshalb ist weitere Forschung erforderlich.

Praktische Implikationen: Aus den Ergebnissen können Anregungen für praktische Implikationen abgeleitet werden, beispielsweise im Hinblick auf das Wissen. Zu empfehlen ist spezifisch für den Hausarztbereich die Entwicklung und Implementierung von Fortbildungsangebote zur Thematik der seltenen Erkrankungen. Zudem ist eine bessere Vernetzung unter Ärzten sowie regionale Ansprechpartner bei diagnostischer Unsicherheit zu empfehlen.