gms | German Medical Science

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Gibt es eine Über- und Fehlversorgung mit Galantamin bei der Behandlung von Alzheimer-Patienten?

Meeting Abstract

  • Stefan Christiansen - Axa AG, Medizinisches Gesundheitsmanagement, Köln, Deutschland
  • Isabelle Stoffregen - Axa AG, Medizinisches Gesundheitsmanagement, Köln, Deutschland
  • Jörg-Peter Klötzer - Axa AG, Medizinisches Gesundheitsmanagement, Köln, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP038

doi: 10.3205/15dkvf275, urn:nbn:de:0183-15dkvf2754

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Christiansen et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Bis 2050 wird eine Verdopplung der Anzahl der Demenzkranken in Deutschland vorhergesagt. Dies führt einerseits zu einem signifikanten Kostenanstieg bei der Behandlung Demenzkranker und andererseits zu der Herausforderung, für diese Patienten eine adäquate medizinische Versorgung sicherzustellen. Andererseits existieren bei der Behandlung mit Antidementiva jedoch grosse Unterschiede zwischen den in den medizinischen Leitlinien beschriebenen Therapiestrategien und der tatsächlichen Versorgung.

Fragestellung: Wir untersuchten anhand unserer Versichertendaten, ob bei der Behandlung Demenzkranker mit Galantamin eine Über- und/oder Fehlversorgung vorliegt.

Methodik: Im Zeitraum vom 01.01.10 bis zum 30.06.14 wurden alle Versicherten identifiziert, die Galantamin einnahmen. Diesen wurden alle psychiatrischen ICD10-Diagnosen zugeordnet. Anschliessend erfolgte eine Einteilung in drei Gruppen: Patienten mit einer ICD10-Diagnose, für deren Behandlung Galantamin zugelassen ist (Gruppe 1), Patienten mit einer psychiatrischen ICD10-Diagnose, für deren Behandlung Galantamin nicht zugelassen ist (Gruppe 2) und Patienten ohne psychiatrische ICD10-Diagnose (Gruppe 3). Anschliessend wurde untersucht, ob das Galantamin von entsprechenden Fachärzten (FÄ für Neurologie, Psychiatrie oder Nervenheilkunde, FA-Gruppe 1) oder Fachärzten anderer Disziplinen (FA-Gruppe 2) verordnet wurde. Zusätzlich wurden die Patienten ermittelt, die ein Original-Präparat (Gruppe-O), ein Generikum (Gruppe-G) oder beides (Gruppe O&G) erhielten. Diese Gruppen wurden, auf Basis der oben genannten Kriterien wiederum in drei Patientengruppen unterteilt (Patientengruppe 1-3). Zuletzt wurde noch das Einsparpotential pro Jahr in unserem Patientenkollektiv kalkuliert. Dazu wurde zugrunde gelegt, dass eine Drei-Monats-Packung des Original-Präparates 409,32 Euro und des Generikums 202,97 Euro kostet [1]. Weiterhin wurde der Kalkulation zugrunde gelegt, dass das Original-Präparat bei allen Patienten durch das Generikum ersetzt wird und bei allen Patienten, bei denen eine Über- und Fehlversorgung vorliegt, das Antidementivum nicht weiter verabreicht wird.

Ergebnisse: Bei 157 Patienten (Gruppe 1, 48,5%) wurde das Galantamin entsprechend der Zulassung verordnet, während bei 167 Patienten (Gruppen 2 und 3, 51,5%) das Galantamin ausserhalb der Zulassung verabreicht wurde. Auffällig war, dass Galantamin in über der Hälfte der Fälle von Fachärzten anderer Disziplinen (FA-Gruppe 2) verordnet wurde (63% versus 37%). Die weitere Auswertung zeigte, dass der überwiegende Anteil der Patienten (73%, 234 Patienten) das Originalpräparat einnahm, während lediglich 48 Patienten (15%) ein Generikum erhielten. Bei 12% der Patienten (42 Patienten) waren im zeitlichen Verlauf sowohl das Originalpräparat als auch das Generikum verordnet worden. Die Kalkulation des Einsparpotentials gemäss der o. g. Kriterien ergab einen Betrag von 331.203,76 Euro pro Jahr.

Diskussion: Unsere Studie bestätigt für das Galantamin, dass es bei der Behandlung von Patienten mit Alzheimer-Demenz zu einer Über- und Fehlversorgung kommt. Ähnliche Ergebnisse berichten Fiss et al. [2], in deren Studie 19,8% aller Patienten ein Antidementivum bekamen ohne eine entsprechende Erkrankung zu haben. Aber auch das Phänomen der Unterversorgung mit Antidementiva ist in Deutschland bekannt und basiert auf der „Sorge“ der Ärzte, mit der Verordnung teurer Antidementiva das vorgegebene Budget zu sprengen [3].

Praktische Implikationen: Ein Grund für die Über- und Fehlversorgung könnte die hohe Verordnungshäufigkeit durch Fachärzte anderer Disziplinen sein, da in dieser Facharztgruppe möglicherweise weniger bekannt ist, dass Galantamin zwar zur Substanzgruppe der Antidementiva gehört aber nur zur Behandlung der leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz zugelassen ist. Daraus wäre dann die Forderung abzuleiten, daß alle Demenzkranken von Fachärzten entsprechender Disziplinen behandelt werden müßten. Durch den Abbau der Über- und Fehlversorgung könnten dann auch die möglichen Nebenwirkungen der Antidementiva bei den Patienten vermieden werden, die das Antidementivum ausserhalb der Zulassung erhalten und so die medizinische Versorgungsqualität gesteigert werden. Weiterhin könnte durch die eingesparten finanziellen Mittel die Unterversorgung abgebaut werden.


Literatur

1.
Rote Liste. http://online.rote-liste.de (Zugriff am 05.12.14) Externer Link
2.
Fiss T, Thyrian J, Fendrich K, van den Berg N, Hoffmann W. Cognitive impairment in primary ambulatory health care: pharmacotherapy and the use of potentially inappropriate medicine. Int J Geriatr Psychiatry. 2013;28:173-181
3.
Nur jeder zweite Alzheimer-Betroffene bekommt überhaupt ein Medikament. http://www.zeit.de/2009/51/M-Rationierung/seite-2 (Zugriff am 04.12.14) Externer Link