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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Ganz sicher ist man sich nie – Unterschiede zwischen Hoch- und Nierdrigverordnern von Antibiotika bei Atemwegsinfektion in der Hausarztpraxis – Eine Analyse von Routinedaten der KV-Bayern

Meeting Abstract

  • Susann Schaffer - Universitätsklinikum Erlangen, Allgemeinmedizinisches Institut, Erlangen, Deutschland
  • Nina Lindner - Universitätsklinikum Erlangen, Allgemeinmedizinisches Institut, Erlangen, Deutschland
  • Roman Gerlach - Kassenärztliche Vereinigung Bayern, München, Deutschland
  • Martin Tauscher - Kassenärztliche Vereinigung Bayern, München, Deutschland
  • Angela Schedlbauer - Universitätsklinikum Erlangen, Allgemeinmedizinisches Institut, Erlangen, Deutschland
  • Marco Roos - Universitätsklinikum Erlangen, Allgemeinmedizinisches Institut, Erlangen, Deutschland
  • Thomas Kühlein - Universitätsklinikum Erlangen, Allgemeinmedizinisches Institut, Erlangen, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP037

doi: 10.3205/15dkvf274, urn:nbn:de:0183-15dkvf2743

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Schaffer et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Bei Atemwegsinfekten werden unstrittig zu oft Antibiotika verschrieben. Gleichzeitig sind Atemwegsinfekte unvermeidlich ein Bereich großer diagnostischer Unsicherheit. Ob ein viraler oder bakterieller Infekt vorliegt, lässt sich nie ganz sicher sagen. Ärzte zeigen in dieser Situation sehr unterschiedliche Verordnungsraten von Antibiotika. Es gibt Hinweise, dass Hochverordner auch häufiger Atemwegserkrankungen diagnostizieren, die eine bakterielle Infektion vermuten lassen. Dies legt nahe, dass manchmal die Diagnose der Rechtfertigung des Verschreibungsverhaltens dient. Zudem zeigt sich, dass Ärzte die generell viele Medikamente verschreiben, auch bei Antibiotika unter den Hochverordnern sind. Variablen wie Alter, Geschlecht, Facharztrichtung und Scheinzahl werden als weitere Einflussgrößen für das Verordnungsverhalten diskutiert. Auch Persönlichkeitsmerkmale der Ärzte – wie die individuelle Unsicherheitstoleranz – könnten von Bedeutung zu sein. Patientenseitig können individuelle Variablen wie Alter und Komorbidität einen durchaus rationalen Grund darstellen, trotz geringer Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eine bakteriellen Infekts Antibiotika zu verschreiben. Da das Arzt-Patient-Verhältnis in der ambulanten Medizin ausgewogener ist als im Krankenhaus, können auch Erwartungshaltung und Unsicherheitstoleranz der Patienten eine Rolle spielen.

Fragestellungen: In erster Annäherung an dieses komplexe Thema wollten wir folgende Fragen beantworten: Lässt sich bestätigen, dass Hochverordner von Antibiotika auch häufiger diagnostische Kategorien wählen, die diese Verordnungen – und sei es auch nur scheinbar – begründen? Verschreiben Hochverordner auch mehr Breitspektrum-Antibiotika und Neuraminidasehemmer? Unterscheiden sich Hoch- und Niedrigverordner anhand soziodemografischer oder geografischer Faktoren voneinander? Und zuletzt: In wie weit lassen sich Antibiotikaverordnungen durch patientenseitige Faktoren erklären?

Methode: Retrospektive multivariate Analyse von Routinedaten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern aus den Jahren 2011 und 2012 (insgesamt acht Abrechnungsquartale). Einschlusskriterien: Daten aller Patienten älter als 18 Jahre mit Infektionen der Atemwege, die eine Hausarztpraxis aufsuchten. Ausschlusskriterien: Patienten mit Harnwegsinfekt.

Ergebnisse: Resultate werden erst zum Kongresstermin vorliegen. Sie sollen Aussagen, über eine Unterscheidung in Hoch- und Niedrigverordner und deren Diagnose-Verordnungsmuster liefern. Die gefundenen Unterschiede sollen außerdem für patientenseitige Faktoren (Alter, Geschlecht) kontrolliert werden.

Diskussion und praktische Implikationen: Die Aussage, dass bei Virusinfekten zu viele Antibiotika verordnet werden greift zu kurz. Man sollte davon ausgehen, dass Ärzte wissen, dass bei viralen Infekten Antibiotika nicht helfen. Die fälschliche Annahme bakterieller Beteiligung, sowie die unvermeidliche diagnostische Unsicherheit, verbunden mit variabler Unsicherheitstoleranz auf Seiten von Arzt und Patient dürften erhebliche Rollen spielen. Die Anerkennung einer hohen Komplexität der Verordnungssituation, das Wissen um Unterschiede im Diagnose-Therapie-Muster zwischen Hoch- und Niedrigverordnern und eine vertiefte Kenntnis individueller Faktoren könnte es ermöglichen, in einem zweiten Schritt mit neuen Interventionen der Überverordnung von Antibiotika zu begegnen.