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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Versorgung vom Patienten aus gedacht: Was machen Menschen bei Krankheitssymptomen?

Meeting Abstract

  • Nadine Reibling - Universität Siegen, Seminar für Sozialwissenschaften, Siegen, Deutschland
  • Dorothea Böhr - Universität Siegen, Seminar für Sozialwissenschaften, Siegen, Deutschland
  • Monika Mischke - Universität Siegen, Seminar für Sozialwissenschaften, Siegen, Deutschland
  • Eva-Maria Lanhgans - Universität Siegen, Seminar für Sozialwissenschaften, Siegen, Deutschland
  • Claus Wendt - Universität Siegen, Seminar für Sozialwissenschaften, Siegen, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP036

doi: 10.3205/15dkvf243, urn:nbn:de:0183-15dkvf2431

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Reibling et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Menschen stehen während ihres Lebens wiederholt vor dem Entscheidungsproblem, wie sie auf Krankheitssymptome reagieren sollen. Da Krankheit und Gesundheit einen maßgeblichen Einfluss auf die Lebensbedingungen und die Lebensqualität haben, ist die Untersuchung dieses Entscheidungsproblems von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus beeinflusst das individuelle Verhalten im Krankheitsfall den Gesundheitszustand der Gesamtbevölkerung sowie die Leistungsfähigkeit und Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems. Besonders ältere Menschen stehen häufig vor der Frage, wie Sie auf körperliche und psychische Symptome reagieren sollen.

Fragestellung: Dieser Beitrag untersucht Inanspruchnahme nicht aus der Perspektive des Systems, sondern aus der Perspektive des Kranken. Er stellt die Frage, wie Personen mit alltäglichen Krankheitssymptomen umgehen und versucht Unterschiede in der Inanspruchnahme sowie in alternativen Handlungsstrategien zu erklären.

Methode: Die Autoren berichten erste deskriptive Erhebnisse aus einem DFG-Projekt (2012–2015), das eine bundesweit repräsentative Stichprobe von 3.000 Personen zwischen 40 und 75 Jahren per Telefon zu Krankheitssymptomen und dem Umgang mit diesen Symptomen befragt hat. Der zentrale Fokus liegt dabei auf dem Verhalten bei Rückenschmerzen, Verdauungsbeschwerden und Schlafstörungen. Zur Erhebung des Krankheitsverhaltens im Längsschnitt nahmen die Befragten zudem an einer 12-wöchigen paper-pencil Befragung mittels eines Gesundheitstagebuchs teil, das die Befragten alle 2 Wochen ausfüllten.

Ergebnisse: Unsere Ergebnisse bestätigen den internationalen Befund, dass Befragte in der Mehrzahl der Fälle mit Ihren Symptomen ohne eine Inanspruchnahme des Versorgungssystems auszukommen versuchen, z.B. durch Hausmittel, Lebensstiländerungen und kognitive Umstrukturierung ihrer Krankheitssymptome. Mit steigender Dauer und Intensität der Beschwerden erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Kontaktaufnahme mit Haus- und Fachärzten, allerdings nicht bei allen Befragten. Weitere Analysen untersuchen inwiefern diese Varianz im Krankheitsverhalten mit Health Literacy, Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmalen zusammenhängt.

Diskussion: Viele Menschen im mittleren Lebensalter haben regelmäßig oder hin und wieder Krankheitssymptome wie Rückenschmerzen, Verdauungsbeschwerden und Schlafstörungen. Der Mehrzahl dieser Krankheitssymptome wird ohne das Gesundheitssystem begegnet. Die Bewältigungsstrategien unterscheiden sich jedoch deutlich zwischen Individuen. Die medizinische Versorgung spiegelt daher nur einen (kleinen) Teil der Krankheitsgeschichte und des Bewältigungshandelns von Patienten wieder. Der Eintritt ins System ist nicht nur Ausdruck der Dringlichkeit der Beschwerden, sondern auch Folge unterschiedlicher Einstellungen und Erwartungen der Patienten.

Praktische Implikationen: Eine Gestaltung des Gesundheitssystems muss den Krankheitsverlauf aus Patientensicht im Blick haben. Alternative Handlungsstrategien von Patienten neben der Inanspruchnahme von Gesundheitssystemleistungen sollten im Diagnose- und Behandlungsprozess erfragt und mitbedacht werden. Die Varianz in der Reaktion auf Krankheitssymptome zeigt außerdem, dass zur Vermeidung von Über- und Unterversorgung mehr Faktoren zu berücksichtigen sind als das Krankheitsbild.