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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Gruppentherapie vor Einzeltherapie verbessert die Depressivität und reduziert den Psychotherapiebedarf von Patienten mit körperlichen Erkrankungen und depressiven Störungen oder Anpassungsstörungen

Meeting Abstract

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  • Miriam Rüsch - Institut für Psychologie Universität Freiburg, Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie, Freiburg, Deutschland
  • Almut Helmes - Institut für Psychologie Universität Freiburg, Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie, Freiburg, Deutschland
  • Jürgen Bengel - Institut für Psychologie Universität Freiburg, Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie, Freiburg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP123

doi: 10.3205/15dkvf213, urn:nbn:de:0183-15dkvf2131

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Rüsch et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Jeder dritte Patient mit einer chronischen körperlichen Erkrankung leidet auch unter einer psychischen Störung. Komorbide psychische Störungen wirken sich negativ auf Morbidität, Mortalität und Lebensqualität der Betroffenen aus und gehen mit höheren Gesundheitskosten einher. Eine zeitnahe Behandlung der psychischen Störung ist von hoher Bedeutung, jedoch liegen die Wartezeiten für eine ambulante Psychotherapie in Deutschland bei knapp sechs Monaten. Eine gestufte Versorgung bestehend aus Gruppentherapie vor Einzeltherapie könnte die Versorgungssituation verbessern. Zu diesem Zweck wurde das Gruppenprogramm STEpS entwickelt, an dem Patienten mit körperlichen Erkrankungen und depressiven Störungen oder Anpassungsstörungen in der Wartezeit auf ihre Einzeltherapie teilnehmen können.

Fragestellung: Die Studie untersucht neben der Wirksamkeit dieses Gruppenprogramms auch die Frage, ob sich mit der Teilnahme am Gruppenprogramm der selbstbeurteilte Psychotherapiebedarf und die tatsächliche Einzeltherapieinanspruchnahme reduzieren lassen.

Methode: Patienten mit körperlichen Erkrankungen und depressiven Störungen oder Anpassungsstörungen (SKID-I) wurden randomisiert zugeteilt, in der Wartezeit auf Einzeltherapie an einem kognitiv-verhaltenstherapeutischen Gruppenprogramm mit acht Doppelsitzungen (STEpS) teilzunehmen (EG) oder die normale Wartezeit zu durchlaufen (KG). Depressivität (HADS) sowie der selbstbeurteilte Psychotherapiebedarf (Eigenentwicklung) wurden vor dem Erstgespräch (pre-treamtent; T0), 10 Wochen nach Randomisierung (post-treamtent; T1) und 18 Wochen nach Randomisierung (follow-up; T2) gemessen. Des Weiteren wurde erfasst, ob im Anschluss tatsächlich eine Einzeltherapie in Anspruch genommen wurde. Zweifaktorielle ANOVAs mit Messwiederholung und Post-hoc-Analysen sowie ein Chi²-Test wurden berechnet. Alle Analysen erfolgten nach dem Intention-to-treat Prinzip.

Ergebnisse: Für die HADS-Depressionsskala fanden sich keine signifikanten Haupteffekte. Es zeigte sich ein signifikanter Interaktionseffekt (F(2,106)=4.195, p=.018). Post-hoc Analysen ergaben, dass sich Interventions- und Kontrollgruppe zum Prämesszeitpunkt nicht signifikant unterschieden und die Werte der Kontrollgruppe über die Zeit stabil blieben. In der Interventionsgruppe nahm die Depressivität von T0 zu T1 signifikant ab (T0: M=10.926, SD=.659 vs. T1: M=9.519, SD=.862, p=.013). Zu T2 stieg der Mittelwert wieder nahezu auf das Ausgangsniveau (T2: M=10.852, SD=.839 vs. T1: M=9.519, SD=.862, p=.035).

Für den selbst eingeschätzten Psychotherapiebedarf (Item: „Ich habe derzeit hohen Psychotherapiebedarf“) fanden sich ebenfalls keine signifikanten Haupteffekte, jedoch wurde der Interaktionseffekt signifikant (F(2,104)=4.049 p=.020). Post-hoc Analysen zeigten, dass sich Interventions- und Kontrollgruppe zum Prämesszeitpunkt nicht signifikant unterschieden und die Werte der Kontrollgruppe über die Zeit stabil blieben. In der Interventionsgruppe nahm der Psychotherapiebedarf von T0 zu T1 signifikant ab (T0: M=3.360, SD=.169 vs. T2: M=2.800, SD=.179, p=.006). Zu T2 nahm der Psychotherapiebedarf wieder zu (T2: M=3.160, SD=.180 vs. T1: M=2.800, SD=.179, p=.077).

Des Weiteren fanden sich Hinweise, dass sich Interventions- und Kontrollgruppe in der tatsächlichen Inanspruchnahme einer Einzeltherapie unterscheiden: So nahmen in der Interventionsgruppe 11 von 28 Patienten und in der Kontrollgruppe 6 von 31 Patienten keine Einzeltherapie mehr in Anspruch. Der Chi²-Test (nach Yates korrigiert) wurde jedoch nicht signifikant (χ²(1, N=59)=1.960, p=.161). Allerdings lagen zum Zeitpunkt der Analysen von 7 Patienten noch keine Informationen zur Weiterbehandlung vor.

Diskussion: Die Teilnahme am STEpS-Gruppenprogramm verbessert die Depressivität und reduziert den Psychotherapiebedarf der Patienten. Jedoch sind die Effekte nur unmittelbar nach der Teilnahme nachzuweisen. Acht Wochen nach dem Ende des Gruppenprogramms steigen Depressivität und Psychotherapiebedarf in der Interventionsgruppe wieder nahezu auf das Ausgangsniveau. Dieser Anstieg lässt sich vermutlich darauf zurückführen, dass die Gruppe als Unterstützung wegfällt und die Einzeltherapie noch nicht begonnen hat. Dennoch nehmen Patienten der Interventionsgruppe nach der Wartezeit in der Tendenz seltener eine Einzeltherapie in Anspruch, was ein Hinweis dafür sein könnte, dass manche Patienten mit dem Gruppenprogramm ausreichend behandelt werden können. Inwiefern sich mit dem gestuften Versorgungskonzept langfristig Kosten und Ressourcen sparen lassen bleibt abzuwarten.

Praktische Implikationen: Mit dem Gruppenprogramm STEpS steht ein wirksames Therapieangebot für die Wartezeit zur Verfügung, das die aktuelle Versorgungssituation verbessert. Bei Anwendung in der Routineversorgung wäre es eventuell sinnvoll das Gruppenprogramm so einzusetzen, dass der Zeitraum zwischen der letzten Gruppensitzung und dem Beginn der Einzeltherapie kürzer ausfällt.