gms | German Medical Science

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Netzwerk für onkologische Fachberatung – (Langzeit-) Nachsorge nach einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter

Meeting Abstract

  • Kerstin Kremeike - Medizinische Hochschule Hannover, Netzwerk für die Versorgung schwerkranker Kinder und Jugendlicher e.V., Hannover, Deutschland
  • Rebecca Kampschulte - Medizinische Hochschule Hannover, Netzwerk für die Versorgung schwerkranker Kinder und Jugendlicher e.V., Hannover, Deutschland
  • Anika Mohr - Medizinische Hochschule Hannover, Netzwerk für die Versorgung schwerkranker Kinder und Jugendlicher e.V., Hannover, Deutschland
  • Stefanie Beil - Medizinische Hochschule Hannover, Netzwerk für die Versorgung schwerkranker Kinder und Jugendlicher e.V., Hannover, Deutschland
  • Jasmin Bergmann - Medizinische Hochschule Hannover, Netzwerk für die Versorgung schwerkranker Kinder und Jugendlicher e.V., Hannover, Deutschland
  • Dirk Reinhardt - Universitätsklinikum Essen, Klinik für Kinderheilkunde III, Essen, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP120

doi: 10.3205/15dkvf210, urn:nbn:de:0183-15dkvf2102

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Kremeike et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Jährlich erkranken rund 180 Kinder und Jugendliche in Niedersachsen an einer hämato-onkologischen Erkrankung. Aufgrund kontinuierlich steigender Heilungsraten kann heute die Mehrheit dieser Patienten nach Abschluss der Akuttherapie ihre Ziele und den Lebensweg weiter verfolgen oder neu ausrichten. Während eine flächendeckende Versorgung durch die Kompetenzzentren in der Akuttherapie gewährleistet ist, ergeben sich im Bereich der langfristigen Nachsorge und Beratung oftmals ausgeprägte Defizite. Das Modellprojekt „Netzwerk für onkologische Fachberatung“ (NOF) setzt hier an.

Fragestellung: Im Rahmen des Modellprojekts soll erfasst werden, wie sich der Alltag nach einer Krebserkrankung und -therapie im Kindes- oder Jugendalter darstellt; welche konkreten Ressourcen und Unterstützungsbedarfe bei den Betroffenen bestehen; welche medizinischen, psychosozialen oder sonstigen Angebote der Versorgung und Begleitung in der (Langzeit-) Nachsorge existieren, wie diese vernetzt sind und wie sie genutzt werden.

Methode: Seit 11/2013 recherchiert das NOF vorhandene regionale, landes- und bundesweite Angebote, um diese bei Bedarf weitervermitteln zu können. Die Identifikation, Vernetzung und der Austausch mit Kooperationspartnern erfolgt über telefonische und schriftliche Kontaktaufnahmen, (Hospitations-) Besuche und Kooperationspartnertreffen. Im Rahmen einer seit 01/2014 zweimal wöchentlich angebotenen Telefonsprechstunde wird Betroffenen die ganzheitliche Koordinierung von individuellen medizinischen, psychosozialen und sozialrechtlichen sowie alltäglichen Problematiken angeboten.

Begleitet wird das Projekt durch eine wissenschaftliche Untersuchung des Bedarfs. Dazu wurden zunächst qualitative leitfadengestützte Interviews mit im Kinder- und Jugendalter onkologisch erkrankten jungen Erwachsenen geführt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Rekrutiert wurden die Befragten persönlich im Rahmen des Waldpiratencamps der Kinderkrebsstiftung. Auf Basis der qualitativen Erhebung soll ein Fragebogen entwickelt und in Zusammenarbeit mit dem Kinderkrebsregister an ehemals onkologisch Erkrankte verteilt werden, um so eine umfassende Analyse des Bedarfs vornehmen zu können.

Ergebnisse: In den ersten 15 Monaten der telefonischen Sprechstunde stellten 46 Personen (31 Betroffene, 11 Fachkräfte und 4 Angehörige) insgesamt 69 Anfragen an das NOF, 57 davon konnten bereits abschließend bearbeitet werden. Die Anfragen zeigten vor allem Probleme bei der Reintegration in Schule und Beruf, bei der Kommunikation mit niedergelassenen Ärzten, medizinische Fragen – etwa zu den Bereichen Gynäkologie, Kardiologie und Endokrinologie – sowie den Bedarf an psychologischer Unterstützung. Psychosoziale Problematiken wiesen 20 der 35 Betroffenen oder Angehörigen auf. Bei zwölf davon lag der Abschluss der Akuttherapie mehr als 5 Jahre zurück, 7 von ihnen nahmen zunächst somatische Probleme zum Anlass für die Kontaktaufnahme zu den NOF-Mitarbeiterinnen, die psychosoziale Problematik wurde erst nach längerem Kontakt und mit zunehmendem Vertrauensverhältnis thematisiert. Komplexe Belastungs- oder Angststörungen zeigten 7 der Betroffenen.

Im Rahmen der wissenschaftlichen Untersuchung wurden von 12/2014 bis 03/2015 bereits 13 Interviews geführt und qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet. Dabei ließen sich bisher psychosoziale Bedarfe, die Vorbereitung auf den Alltag direkt nach der Akuttherapie, der eigene Umgang mit der Erkrankung, der Umgang mit (ehemalig) Erkrankten durch das soziale Umfeld und das Gesundheitssystem, die Gestaltung der Nachsorge durch Professionelle bzw. im Gesundheitswesen, Informationsbeschaffung, Langzeitfolgen sowie Prävention als relevante Kernkategorien identifizieren.

Diskussionen: Im Rahmen der bisherigen Arbeit des NOF und der begleitenden wissenschaftlichen Untersuchung zeigten sich bei einer erheblichen Anzahl der Betroffenen deutliche Einschränkungen ihrer Lebensqualität. Als Grund hierfür wird neben den medizinischen Langzeitfolgen der onkologischen Erkrankung und Therapie vor allem das Fehlen diesbezüglicher Ansprechpartner genannt, aber auch der Umgang mit ehemalig Erkrankten und ihren besonderen Herausforderungen durch das soziale Umfeld und im Gesundheitssystem. Dabei bewegen sich die Betroffenen häufig im Spannungsfeld zwischen gesund bzw. geheilt sein und gleichzeitig – oft chronischen – Krankheitsfolgen und damit auch zwischen dem Wunsch nach Normalität und dem Bedürfnis nach Anerkennung ihrer besonderen Bedürfnisse. U.a. aus diesem Spannungsfeld begründen sich umfassende und komplexe, v.a. psychosoziale Bedarfe.

Praktische Implikationen: Ziel ist es, die Strukturen der Langzeitnachsorge auszubauen und dabei – auch auf Basis der wissenschaftlichen Untersuchung – Angebote zu etablieren, die den langfristigen Bedarfen von Überlebenden einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter gerecht werden. Ein besonderer Fokus gilt hier dem psychosozialen Bereich.