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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Der lumbale Bandscheibenvorfall – Untersuchung des Patientenkollektivs an einer Neurochirurgischen Universitätsklinik und Identifizierung einer Schwachstelle bei der Patientenzuweisung

Meeting Abstract

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  • Alexander Younsi - Universitätsklinikum Heidelberg, Neurochirurgische Klinik, Heidelberg, Deutschland
  • Hedwig Steiner-Milz - Universitätsklinikum Heidelberg, Neurochirurgische Klinik, Heidelberg, Deutschland
  • Andreas Unterberg - Universitätsklinikum Heidelberg, Neurochirurgische Klinik, Heidelberg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP083

doi: 10.3205/15dkvf166, urn:nbn:de:0183-15dkvf1662

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Younsi et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Die Indikationsstellung für die operative Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls (BSV) wird aktuell kritisch diskutiert. Wie, wann und durch wen betroffene Patienten den Operateuren zugewiesen werden findet dabei bislang kaum Beachtung. Für die Indikationsstellung durch den Chirurgen sind aber Faktoren wie der Zeitpunkt der Zuweisung oder die bisherige konservative Therapie äußerst relevant. Unterschiede in den Patientenkollektiven der verschiedenen operativen Dienstleister erschweren zudem die Diskussion.

Fragestellung: Um die Qualität der Zuweisung an eine Neurochirurgische Universitätsklinik zu überprüfen und das für eine solche Klinik typische Patientenkollektiv zu analysieren führten wir deshalb eine prospektive Analyse aller Patienten mit der Verdachtsdiagnose lumbaler BSV durch.

Methode: Neben Symptomanamnese, klinischem Befund, Bildgebung und bisherigen konservativen Therapiemaßnahmen wurde bei der Erstvorstellung auch der zuweisende Arzt erfasst. Patienten mit Spinalkanalstenose oder Spondylolisthesis wurden ausgeschlossen. Vom behandelnden Neurochirurgen mussten zusätzlich folgende Fragen beantwortet werden: Ist der Zeitpunkt der Zuweisung subjektiv „zu früh“, „genau richtig“ oder „zu spät“? Lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt eine relative, eine absolute, noch keine oder überhaupt keine Operationsindikation stellen? Die Definition der relativen und absoluten Operationsindikation wurde den AWMF-Leitlinien zur Radikulopathie (2012) entnommen.

Ergebnisse: Zwischen Juni 2012 und Juli 2013 konnten 159 Patienten (88 Männer / 71 Frauen; Alter 50±15 Jahre) eingeschlossen werden. Die meisten Zuweisungen erfolgten durch Allgemeinmediziner (38%) und Orthopäden (30%). Eine MRT-Bildgebung wurde von 87% der Patienten mitgebracht, am häufigsten zeigte sich ein lumbaler BSV dabei in der Höhe LWK 4/5 (43%). In 12% der Fälle war bereits eine lumbale Voroperation durchgeführt worden, Fehlzuweisungen ohne bildmorphologisch nachweisbaren BSV waren selten (7%). Nur bei 14% der Patienten konnte keine Operationsindikation gestellt werden, eine relative oder absolute Operationsindikation bestand in 83% der Fälle. Mehr als 50% der Zuweisungen wurden von den behandelnden Neurochirurgen als „genau richtig“ eingestuft. Bei 33% aller Patienten und bei 67% der Patienten mit einer absoluten Operationsindikation hatte die Zuweisung aber „zu spät” stattgefunden. In dieser Subgruppe betrug die mittlere Dauer der Hauptsymptome Lumboischialgie und Hyp- oder Dysästhesie 30±47 bzw. 13±12 Wochen, der Behandlungserfolg durch NSAR war im Vergleich zur gesamten Patientenpopulation dabei signifikant höher (p<0,01).

Diskussion: Unsere Daten zeigen, dass die Qualität der Zuweisung von Patienten mit der Verdachtsdiagnose lumbaler BSV an eine Neurochirurgische Universitätsklinik aus Sicht der Operateure insgesamt zufriedenstellend ist. In mehr als zwei Drittel der Fälle kann nach den gängigen Leitlinien eine Operationsindikation gestellt werden. Bei einem Drittel der Patienten erfolgt die Zuweisung aber unglücklicherweise zu spät, ein Grund hierfür könnte die chronische Einnahme von NSAR sein. Neben einem längeren Leidensweg kann dies bei den betroffenen Patienten sogar zur Irreversibilität von Symptomen führen.

Praktische Implikationen: Wir identifizieren hiermit eine Schwachstelle in der Patientenzuweisung, die entgegen der häufigen Angst vor zu frühen Operationen zu einer zu späten und somit mangelhaften Behandlung führen kann. Es scheint deshalb wichtig, dass die gängigen Leitlinien nicht nur durch die Operateure sondern auch durch die zuweisenden Ärzte besser berücksichtigt werden sollten.