gms | German Medical Science

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Externe Diagnosevalidierung von Routinedaten am Beispiel ausgewählter kardiovaskulärer Risikofaktoren

Meeting Abstract

  • Katrin Christiane Reber - Institut für Community Medicine, Abteilung Allgemeinmedizin, Greifswald, Deutschland
  • Aniela Angelow - Institut für Community Medicine, Abteilung Allgemeinmedizin, Greifswald, Deutschland
  • Carsten Oliver Schmidt - Institut für Community Medicine, Abteilung Study of Health in Pomerania - Klinisch-epidemiologische Forschung, Greifswald, Deutschland
  • Sebastian Baumeister - Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin, Regensburg, Deutschland
  • Jean-François Chenot - Institut für Community Medicine, Abteilung Allgemeinmedizin, Greifswald, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocFV07

doi: 10.3205/15dkvf093, urn:nbn:de:0183-15dkvf0933

Veröffentlicht: 22. September 2015

© 2015 Reber et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Ambulant kodierte ICD-Diagnosen weisen häufig eine eingeschränkte Kodierqualität (z.B. Über- bzw. Unterkodierung oder Fehlkodierung) auf. Das kann auf Abrechnungsdaten basierende Analyseergebnisse verzerren. Eine Validierung mit einem externen Goldstandard, beispielsweise unter Verwendung klinischer Messdaten einer epidemiologischen Beobachtungsstudie, ist daher notwendig, um die zu erwartenden Messfehler besser zu quantifizieren. Bisher gibt es für Deutschland nur wenige externe Validierungsstudien für Routinedaten.

Fragestellung: Ziel der Studie ist die Validierung von ICD-10-GM-kodierten Diagnosen mit Fokus auf kardiovaskuläre Risikofaktoren in kassenärztlichen Abrechnungsdaten auf Basis von Primärdaten einer epidemiologischen Beobachtungsstudie.

Methoden: In einer Querschnittsanalyse wurden Daten einer prospektiven bevölkerungsbasierten Kohortenstudie mit ambulanten Versorgungsdaten für den Zeitraum 2008 bis 2012 verglichen. Untersucht wurden die fünf kardiovaskulären Risikofaktoren (1) arterielle Hypertonie (I10), (2) Diabetes mellitus (E10-E14), (3) Dyslipidämie (E78) sowie (4) Adipositas (E65-E68) und (5) Rauchen (F17). Die Beschreibung der Übereinstimmung zwischen Primärdaten und ambulanter Kodierung erfolgt mittels Sensitivität, Spezifität, positivem und negativem prädiktiven Wert (PPW bzw. NPW). Berücksichtigt wurden Abrechnungsdiagnosen, die das M2Q-Kriterium (Auftreten derselben Diagnose in ≥ 2 Quartalen eines Jahres) erfüllen.

Ergebnisse: In die Analyse wurden 1941 Probanden eingeschlossen. 46% der Probanden waren männlich. Das mittlere Alter lag bei 57,7 (SD:13,3) Jahren.

(1) 1423 (73%) der eingeschlossenen Probanden hatten auf Basis der Primärdaten eine arterielle Hypertonie. In Bezug auf die Erkennung in den Primärdaten hatte die ICD-Diagnose I10 eine Sensitivität von 51%, eine Spezifität von 97%, einen PPW von 98% und einen NPW von 42%.

(2) Anhand der Primärdaten wurden 305 (16%) Probanden mit Diabetes mellitus identifiziert. Bezogen auf die Erkennung in den Primärdaten betrug für die Abrechnungsdiagnosen E10-E14 die Sensitivität 68%, die Spezifität 97%, der PPW 83% und der NPW 94%.

(3) Bei 70% der Probanden lag eine Gesamtcholesterolkonzentration von ≥ 5 mmol/l oder eine LDL-Cholesterolkonzentration von ≥ 3 mmol/l vor. Bezogen auf die Erkennung in den Primärdaten betrug für die Diagnose E78 die Sensitivität 22%, die Spezifität 72%, der PPW 65% und der NPW 28%.

(4) In den Primärdaten wiesen 1437 Probanden einen BMI ≥ 25 kg/m² auf, davon waren 44,8% adipös (BMI ≥ 30 kg/m²). Bezogen auf die Erkennung von Probanden mit Übergewicht oder Adipositas in den Primärdaten betrug für die Abrechnungsdiagnosen E65-E68 die Sensitivität 9,3%, die Spezifität 99,8%, der PPW 99,3% und der NPW 27,7%.

(5) 21% der eingeschlossenen Probanden gaben an, Raucher zu sein. In Bezug auf die Erkennung in den Primärdaten hatte die Abrechnungsdiagnose F17 eine Sensitivität von 6,3%, eine Spezifität von 99,8% und einen PPW von 89,7% (NPW: 79,8%).

Diskussion: Die Sensitivität variiert stark zwischen den untersuchten kardiovaskulären Risikofaktoren. Insgesamt weisen die analysierten Abrechnungsdaten eine relevante Unterkodierung auf, wobei für chronische Erkrankungen eine höhere Übereinstimmung festgestellt werden konnte als für Adipositas oder Rauchen. Grundsätzlich werden abrechnungsrelevante Diagnosen besser kodiert. Demgegenüber ist die Spezifität hoch, so dass die Abrechnungsdaten für Subgruppenanalysen mit entsprechenden Kodierungen genutzt werden können.

Praktische Implikationen: Ambulante Abrechnungsdaten sind aufgrund der ausgeprägten Unterkodierung – insbesondere für nicht abrechnungsrelevante Endpunkte – nur eingeschränkt nutzbar. Prävalenzberechnungen auf Basis von Abrechnungsdaten können zu einer deutlichen Unterschätzung führen. In Abhängigkeit vom Ausmaß der Abweichung sollten Analyseergebnisse korrigiert werden, um korrekte Prävalenz- oder Zusammenhangschätzer zu erhalten. Auf Basis unserer Analysen ist es grundsätzlich möglich, den Fehler bei der Nutzung von Routinedaten für epidemiologische Zwecke zu beschreiben. Dabei ist zu beachten, dass die Validität einzelner Abrechnungsdiagnosen nicht verallgemeinert werden kann. Es ist kodierungsspezifisch zu prüfen, welche Datenquellen und Variablendefinitionen als externer Goldstandard herangezogen werden sollten.