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10. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung, 18. GAA-Jahrestagung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.
Gesellschaft für Arzneimittelanwendungsforschung und Arzneimittelepidemiologie e. V.

20.-22.10.2011, Köln

Individualisierte Versorgungsempfehlungen für Patienten und Patientinnen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen – Erprobung eines proaktiven Versorgungskonzeptes

Meeting Abstract

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  • corresponding author presenting/speaker Angelika Hüppe - Institut für Sozialmedizin der Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • author Jana Langbrandtner - Seniorprofessur für Bevölkerungsmedizin an der Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • author Heiner Raspe - Seniorprofessur für Bevölkerungsmedizin an der Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland

10. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. 18. GAA-Jahrestagung. Köln, 20.-22.10.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dkvf127

doi: 10.3205/11dkvf127, urn:nbn:de:0183-11dkvf1276

Veröffentlicht: 12. Oktober 2011

© 2011 Hüppe et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Patientinnen und Patienten mit Morbus Crohn (MC) oder Colitis ulcerosa (CU) müssen sich im Verlauf der chronischen Erkrankung mit verschiedensten körperlichen, psychischen und sozialen Problemen auseinandersetzen [1]. Manche Problembereiche entziehen sich dabei leicht der spontanen ärztlichen Wahrnehmung. Im Jahr 2009 veröffentlichte Versorgungspfade (VP) [2] empfehlen für den ambulanten Versorgungssektor die regelmäßige Durchführung eines fragebogengestützten Problemscreenings („Assessment“). Für aktive Problemfelder werden aussichtsreiche Behandlungen, Beratungen, Schulungen oder Programme vorgeschlagen („Assignment“). Dabei sind in der Regel Angehörige verschiedener Disziplinen gefragt. Um die Umsetzung der Empfehlungen aus den VP für eine wohnortnahe, inter- und multidisziplinäre Versorgung zu erproben, wurde im Rahmen eines Pilotprojektes in einer Region in Schleswig-Holstein ein Versorgungsnetzwerk für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen aufgebaut. Anfang 2010 wurden 114 ärztliche und 59 nichtärztliche Behandler für die Netzwerk-Idee gewonnen.

Material und Methoden: Zur Prüfung der Machbarkeit des Problemscreenings kam ein 14seitiger Selbstausfüllfragebogen für Betroffene (ab 18 Jahre, MC o. CU Diagnose) zum Einsatz (04–06/2010). 22 Problemfelder wurden zweimal im Abstand von 6 Monaten erfasst. Der Bogen wurde über Arztpraxen des Netzwerkes sowie zusätzlich über die Selbsthilfeorganisation DCCV sowie die Presse ausgegeben. Nach Auswertung am Institut für Sozialmedizin erhielten die Teilnehmenden eine schriftliche Rückmeldung ihres individuellen Problemprofils mit Behandlungsempfehlungen nach den VP. Alle erhielten zusätzlich ein Verzeichnis der Netzwerker sowie eine laienverständliche Kurzfassung der VP. Zeitgleich wurden in 2 Kontrollregionen (Minden, Herne) Vergleichsgruppen über Arztpraxen rekrutiert, eine Rückmeldung der Problemprofile erfolgte hier erst zum 2. Erhebungszeitpunkt.

Ergebnisse: Für die Modellregion lagen 287 Fragebögen vor (151 über Arztpraxen, 109 DCCV, 27 Presse), 254 nahmen auch an der 2. Befragung teil (Dropout 11.5%). Für die Vergleichsgruppe konnten 190 Betroffene gewonnen werden, von diesen antworteten nach 6 Monaten 177 (Dropout 6,8%). Die Gesamtstichprobe ist im Mittel 46 Jahre alt, 61% sind Frauen, 51% haben MC, mittlere Erkrankungsdauer 14 Jahre, 61% sind erwerbstätig.

Es zeigt sich in beiden Gruppen zu beiden Messzeitpunkten eine vielfältige Problemlast von im Durchschnitt 3 Problemfeldern. Etwa jeder Fünfte weist kein „aktives“ Problemfeld auf, jeder Zehnte kommt auf neun und mehr Problemfelder. Am häufigsten berichtet werden gefährdete Teilhabe am Arbeitsleben (34%), beeinträchtigte Sexualität (26%), anhaltende Stressbelastung (26%), erhöhte Depressivität (21%).

82% der Teilnehmer in der Modellregion bewerten das Vorgehen als (sehr) gut, 89% würden es anderen weiterempfehlen. 50% gaben an, alle/einige der erhaltenen Empfehlungen umgesetzt zu haben. 15% besprachen die Auswertungsergebnisse mit ihrem Arzt. Für Teilnehmende der Modellregion finden sich Hinweise auf eine verbesserte soziale Teilhabe (IMET) [3].

Schlussfolgerung: Die „maßgeschneiderten“ Informationen zu individuellen Problemen und Risiken scheinen Betroffenen nach den Ergebnissen der Machbarkeitsstudie helfen zu können, sich aktiv(er) in ihre Behandlung einzuschalten. Ob dadurch auch eine günstigere Entwicklung des Gesundheitszustandes erreicht werden kann, wird aktuell in einer bundesweiten randomisierten kontrollierten Studie mit GKV-Versicherten überprüft.


Literatur

1.
Hardt J, Muche-Borowski C, Conrad, S, Balzer K, Bokemeyer B, Raspe H. Chronisch entzündliche Darmerkrankungen als multifokale Erkrankungen: Körperliche und psychosoziale Probleme von Patienten mit CED. Ergebnisse eines Fragebogen-Surveys. Z f Gastroenterol. 2010; 47:381-391.
2.
Raspe H, Conrad S, Muche-Borowski C. Evidenzbasierte und interdisziplinär konsentierte Versorgungspfade für Patientinnen/Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Z Gastroenterol. 2009; 47: 541-562.
3.
Deck R, Mittag O, Hüppe A, Muche-Borowski C, Raspe H. Index zur Messung von Einschränkungen der Teilhabe (IMET) – Erste Ergebnisse eines ICF-orientierten Assessmentinstruments. Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation. 2007; 76:113-12.