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31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

18.09. - 21.09.2014, Lübeck

Traktographie des Fasciculus arcuatus in prälingual ertaubten Patienten

Postervortrag

  • corresponding author presenting/speaker Theresa Finkl - Sächsisches Cochlear Implant Centrum, Universitätsklinikum Dresden, Abteilung für HNO, Dresden, Deutschland
  • author Alfred Anwander - Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig, Deutschland
  • author Angela Friederici - Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig, Deutschland
  • author Johannes Gerber - Universitätsklinikum Dresden, Abteilung Neuroradiologie, Dresden, Deutschland
  • author Alexander Mainka - Sächsisches Cochlear Implant Centrum, Universitätsklinikum Dresden, Abteilung für HNO, Dresden, Deutschland
  • author Dirk Mürbe - Sächsisches Cochlear Implant Centrum, Universitätsklinikum Dresden, Abteilung für HNO, Dresden, Deutschland
  • author Anja Hahne - Sächsisches Cochlear Implant Centrum, Universitätsklinikum Dresden, Abteilung für HNO, Dresden, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Akademie für Hörgeräte-Akustik. 31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik. Lübeck, 18.-21.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocP13

doi: 10.3205/14dgpp42, urn:nbn:de:0183-14dgpp424

Veröffentlicht: 2. September 2014

© 2014 Finkl et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Um Faserverbindungen im Gehirn zu erforschen, wurde die auf der Magnetresonanztomographie (MRT) basierende diffusionsgewichtete Bildgebung (DTI) bereits erfolgreich eingesetzt. Mehrere Studien konnten mittels DTI zeigen, dass bei gehörlos geborenen Patienten im Vergleich zu Normalhörenden verschiedene subkortikale Stationen der Hörbahn eine geringere fraktionale Anisotropie (FA) aufweisen, was ein Maß für die Gerichtetheit und den Myelinisierungsgrad der Nervenfasern ist. Prälingual ertaubte Patienten, die im Erwachsenenalter ein Cochlea Implantat (CI) erhalten, entwickeln in den meisten Fällen trotz nun ermöglichten Hörens auch nach mehreren Monaten kein oder nur ein sehr eingeschränktes Sprachverstehen. Daher ist anzunehmen, dass sich die oben beschriebenen Unterschiede auch in dem für die Sprachverarbeitung wichtigen Fasciculus arcuatus widerspiegeln.

Material und Methoden: Sieben beidseits prälingual ertaubte, erwachsene Patienten (2 Männer, Durchschnittsalter 32 J.) sowie sieben nach Alter, Geschlecht und Bildung angepasste Kontrollprobanden nahmen an der Studie teil. Von allen Probanden wurden mittels MRT ein T1- sowie ein diffusionsgewichteter Datensatz erhoben und traktographisch ausgewertet.

Ergebnisse: Keiner der Probanden wies neuroanatomische Auffälligkeiten in der T1-Bildgebung auf. Die DTI zeigte bei den Patienten beidseits eine Reduktion der FA im superioren Anteil des Fasciculus arcuatus. In der probabilistischen Traktographie ergab sich für beide Gruppen eine höhere Faserzahl in der linken Hemisphäre, zwischen den Gruppen jedoch war kein Unterschied erkennbar.

Diskussion: Der Fasciculus arcuatus verbindet unter anderem das Broca- mit dem Wernicke-Areal und ist damit tragender Bestandteil des Sprachnetzwerks. Die vorliegenden Ergebnisse deuten an, dass prälingual ertaubte Patienten im Vergleich zu Normalhörenden zwar über eine ähnliche Anzahl von Fasern im Fasciculus arcuatus verfügen, diese jedoch schwächer myelinisiert und weniger dicht organisiert sind. Da sich die Ausbildung der für die Sprachverarbeitung relevanten Bahnen bereits im frühen Kindesalter vollzieht, findet dies bei fehlendem auditivem Input offenbar nur begrenzt statt, was neben anderen Faktoren dafür verantwortlich sein könnte, dass bei spät implantierten prälingual ertaubten Patienten das Sprachverstehen limitiert bleibt.


Text

Hintergrund

Um Faserverbindungen im Gehirn zu erforschen, wurde die auf der Magnetresonanztomographie (MRT) basierende diffusionsgewichtete Bildgebung (DTI) bereits erfolgreich eingesetzt. Verschiedene Studien konnten mittels DTI zeigen, dass bei gehörlos geborenen Patienten im Vergleich zu Normalhörenden verschiedene subkortikale Stationen der Hörbahn eine geringere fraktionale Anisotropie (FA) aufweisen [1], [2]. Diese ist ein Maß für den Myelinisierungsgrad der Nervenfasern und ihre Dichte innerhalb eines Bündels, wobei die FA in stark myelinisierten und dicht gepackten Faserbündeln aufgrund der stark anisotropen Diffusion einen höheren Wert annimmt.

Prälingual (vor dem Spracherwerb) ertaubte Patienten, die im Erwachsenenalter ein Cochlea Implantat (CI) erhalten, entwickeln in den meisten Fällen trotz nun ermöglichten Hörens auch nach mehreren Monaten kein oder lediglich ein sehr eingeschränktes Sprachverstehen. Daher ist anzunehmen, dass sich die oben beschriebenen Unterschiede auch in dem für die Sprachverarbeitung wichtigen Fasciculus arcuatus widerspiegeln. In unserer Studie untersuchten wir mittels DTI, inwiefern sich die Fasciculi arcuati prälingual ertaubter Patienten von jenen der hörenden Kontrollgruppe hinsichtlich Faseranzahl und fraktionaler Anisotropie unterscheiden.

Material und Methoden

Sieben beidseits prälingual ertaubte, erwachsene Patienten (zwei Männer, Durchschnittsalter 32 Jahre, alle rechtshändig) sowie sieben nach Alter, Geschlecht, Bildung und Händigkeit angepasste Kontrollprobanden nahmen an der Studie teil. Von allen Probanden wurden mittels MRT ein T1- sowie ein diffusionsgewichteter Datensatz erhoben und mittel einer ROI-Analyse (region of interest) traktographisch sowie statistisch ausgewertet.

Ergebnisse

Keiner der Probanden wies neuroanatomische Auffälligkeiten in der T1-Bildgebung auf. Die DTI zeigte bei den Patienten beidseits eine Reduktion der FA im superioren Anteil des Fasciculus arcuatus (p<0,05). In der probabilistischen Traktographie ergab sich für beide Gruppen eine höhere Faserzahl im linken Fasciculus arcuatus (p<0,05), zwischen den Gruppen jedoch war kein signifikanter Unterschied erkennbar.

Diskussion

Das Sprachnetzwerk im Gehirn umfasst zahlreiche Regionen, von denen das Broca-Areal essentiell für die syntaktische und das Wernicke-Areal unerlässlich für die semantische Sprachverarbeitung ist. Als tragender Bestandteil des Sprachnetzwerks verbindet der Fasciculus arcuatus unter anderem diese beiden Areale und ist damit sowohl für die Sprachproduktion als auch das Verstehen von gesprochener Sprache von zentraler Bedeutung [3], [4]. Bei normalhörenden Rechtshändern besteht in der Regel eine linkshemisphärische Dominanz des Fasciculus arcuatus, welche in unserer Studie ebenfalls für beide Gruppen zu finden war. Die vorliegenden Ergebnisse deuten darüber hinaus an, dass prälingual ertaubte Patienten im Vergleich zu Normalhörenden zwar über einen ähnlich starken Fasciculus arcuatus verfügen, dessen Fasern jedoch schwächer myelinisiert bzw. weniger dicht organisiert zu sein scheinen, was sich in dem niedrigeren FA-Wert der Patientengruppe widerspiegelt. Da sich die Ausbildung und Festigung der für die Sprachverarbeitung relevanten Bahnen bereits im frühen Kindesalter vollzieht, findet dies bei fehlendem auditivem Input offenbar nur begrenzt statt, was neben anderen Faktoren dafür verantwortlich sein könnte, dass bei spät implantierten prälingual ertaubten Patienten das Sprachverstehen auch nach Implantation und Hör-Rehabilitation limitiert bleibt. Dass jedoch auch in der Patientengruppe ein relativ starker Fasciculus arcuatus zu finden ist, unterstreicht die wichtige Funktion dieses Trakts dahingehend, dass er nicht nur für die Verarbeitung von Lautsprache von Bedeutung ist, sondern ein breiteres Funktionsspektrum umfasst, welches sich unabhängig von auditiver Stimulation ausbildet und auch die Prozessierung von Gebärdensprache beinhalten könnte.

Fazit

Fehlt es in der sensiblen Phase des Spracherwerbs an auditivem Input, können sich sprachassoziierte Bahnen wie der Fasciculus arcuatus in prälingual ertaubten Patienten offenbar nur unzureichend ausbilden. Dies betrifft vor allem die Myelinisierung und Strukturierung der Fasern innerhalb des Fasciculus arcuatus, wohingegen sich dieser Effekt nicht in der Anzahl der Fasern niederschlägt. Auch die Hemisphärendominanz des Sprachnetzwerks scheint in prälingual ertaubten Patienten erhalten zu bleiben. Dies könnte eine Einbeziehung des Fasciculus arcuatus in andere Prozesse bedeuten, welche sich unabhängig von der Stimulation über das Gehör ausbilden.


Literatur

1.
Li Y, Ding G, Booth JR, Huang R, Lv Y, Zang Y, He Y, Peng D. Sensitive period for white-matter connectivity of superior temporal cortex in deaf people. Hum Brain Mapp. 2012 Feb;33(2):349-59. DOI: 10.1002/hbm.21215 Externer Link
2.
Lin Y, Wang J, Wu C, Wai Y, Yu J, Ng S. Diffusion tensor imaging of the auditory pathway in sensorineural hearing loss: changes in radial diffusivity and diffusion anisotropy. J Magn Reson Imaging. 2008 Sep;28(3):598-603. DOI: 10.1002/jmri.21464 Externer Link
3.
Catani M, Mesulam M. The arcuate fasciculus and the disconnection theme in language and aphasia: history and current state. Cortex. 2008 Sep;44(8):953-61. DOI: 10.1016/j.cortex.2008.04.002 Externer Link
4.
Brauer J, Anwander A, Friederici AD. Neuroanatomical prerequisites for language functions in the maturing brain. Cereb Cortex. 2011 Feb;21(2):459-66. DOI: 10.1093/cercor/bhq108 Externer Link