Artikel
Diffusionsgewichtete Bildgebung des Sprachnetzwerks bei hörgeschädigten Patienten
Suche in Medline nach
Autoren
Veröffentlicht: | 5. September 2013 |
---|
Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Hörgeschädigte Patienten, die im Erwachsenenalter ein Cochlea Implantat (CI) erhalten, zeigen nach Implantation unterschiedliche Erfolge beim Sprachverstehen, wobei prälingual ertaubte Patienten in der Regel ein schlechteres Sprachverständnis entwickeln als postlingual Ertaubte. Um Faserverbindungen zwischen sprachverarbeitende Zentren zu visualisieren, wurde die auf der Magnetresonanztomographie (MRT) basierende diffusionsgewichtete Bildgebung (DTI) bereits erfolgreich eingesetzt. Im Bereich der auditorischen Verarbeitung konzentrierten sich DTI-Studien bisher jedoch überwiegend auf Unterschiede zwischen Normalhörenden und Hörgeschädigten. Da jedoch für erfolgreiche Sprachverarbeitung nicht nur die Integrität der Hörbahn, sondern auch die des sprachassoziierten Netzwerks relevant ist, untersuchten wir den Zusammenhang zwischen prä- versus postlingualer Ertaubung und Faserverlauf der für die Sprachverarbeitung wichtigen Bahnen.
Material und Methoden: Je zwei prä- bzw. postlingual ertaubte, erwachsene Patienten (3 Frauen, Durchschnittsalter prälingual 26,5 J., postlingual 48,5 J.) nahmen an der Studie teil, wobei alle vier Patienten eine langjährige bilaterale Hörschädigung aufweisen. Von jedem Patienten wurden mittels MRT ein T1- sowie ein diffusionsgewichteter Datensatz erhoben und mit einer VOI-Analyse (voxel of interest) traktographisch ausgewertet.
Ergebnisse: Alle Patienten wiesen in der T1- Bildgebung intrakraniell regelrechte morphologische Befunde auf. Im DTI zeigte sich bei den prälingual ertaubten Patienten eine deutliche Verkürzung des linken Fasciculus arcuatus sowie ein schwach ausgebildeter linker Fasciculus uncinatus.
Diskussion: Diese Ergebnisse bestätigen die tragende Rolle der beiden Fasciculi bei der Sprachverarbeitung und unterstreichen die Bedeutung einer sensiblen Phase für den Spracherwerb im frühen Kindesalter, in welcher sich das sprachverarbeitende Netzwerk ausbildet. Wie wir mittels DTI zeigen konnten, kommt es bei fehlendem auditivem Input in prälingual ertaubten Patienten zu einer Restrukturierung der neuronalen Verbindungen, wodurch die Entwicklung eines Sprachverstehens mit CI im Erwachsenenalter erschwert wird. Somit birgt das DTI ein hohes diagnostisches Potential, um bereits vor Implantation auf mögliche Schwierigkeiten beim Erwerb eines Sprachverstehens mit CI hinzuweisen.
Text
Hintergrund
Hörgeschädigte Patienten, die im Erwachsenenalter ein Cochlea Implantat (CI) erhalten, entwickeln nach Implantation ein unterschiedlich gutes Sprachverstehen, wobei sich eine Ertaubung vor dem Spracherwerb (prälingual) im Gegensatz zu einem Hörverlust nach dem Spracherwerb (postlingual) sowie eine längere Dauer der Ertaubung negativ auf das Sprachverstehen mit CI auswirken [1]. Finney und Kollegen [2] konnten zeigen, dass sich der auditorische Cortex prälingual ertaubter Patienten aufgrund der verminderten Stimulation über das Gehör umorganisiert und dort dann beispielsweise visuelle Informationen verarbeitet werden. Ziel dieser Studie ist es, zu prüfen, inwiefern sich diese für die graue Substanz belegte Reorganisation auch in der weißen Substanz widerspiegelt.
Um Faserverbindungen im Gehirn zu visualisieren, wurde die auf der Magnetresonanztomographie (MRT) basierende diffusionsgewichtete Bildgebung (DTI) bereits erfolgreich eingesetzt. Studien mit Hörgeschädigten konzentrierten sich bisher jedoch überwiegend auf Faserbahnen, die für die auditorische Verarbeitung wichtig sind und zeigten, dass diese bei Hörgeschädigten im Vergleich zu Normalhörenden schwächer ausgebildet sind [3]. Da für eine erfolgreiche Sprachverarbeitung aber nicht nur die Integrität der Hörbahn, sondern auch die des sprachassoziierten Netzwerks relevant ist, untersuchten wir den Zusammenhang zwischen prä- versus postlingualer Ertaubung und Faserverlauf der für die Sprachverarbeitung wichtigen Bahnen.
Material und Methoden
Je zwei prä- bzw. postlingual ertaubte, erwachsene Patienten (3 Frauen, Durchschnittsalter prälingual 26,5 Jahre, postlingual 48,5 Jahre) nahmen an der Studie teil, wobei alle vier Patienten eine langjährige bilaterale Hörschädigung aufweisen. Von jedem Patienten wurden mittels MRT ein T1- sowie ein diffusionsgewichteter Datensatz erhoben und mit einer VOI-Analyse (voxel of interest) traktographisch ausgewertet.
Ergebnisse
Alle Patienten wiesen in der T1-gewichteten Bildgebung intrakraniell regelrechte morphologische Befunde auf. Traktographisch zeigte sich bei den prälingual ertaubten Patienten eine deutliche Verkürzung des linken Fasciculus arcuatus sowie ein schwach ausgebildeter linker Fasciculus uncinatus.
Diskussion
Wie aus zahlreichen Studien zur Sprachverarbeitung im Gehirn bekannt ist [4], [5], stellt der Fasciculus arcuatus eine wichtige Faserbahn im Sprachnetzwerk dar. Er verbindet unter anderem das Broca- mit dem Wernicke-Areal und ist damit essentieller Bestandteil sowohl der Sprachproduktion als auch des Sprachverstehens. Da viele prälingual ertaubte Patienten nur eine eingeschränkte Lautsprache entwickeln, ist anzunehmen, dass diese Verbindung nach Reorganisationsvorgängen nur noch unzureichend ausgebildet ist. Dem Fasciulus uncinatus hingegen wurde eine Beteiligung am auditorisch-verbalen Gedächtnis sowie an semantischen Prozessen zugeschrieben [6], was für ein erfolgreiches Sprachverstehen ebenfalls von großer Bedeutung ist.
Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen die tragende Rolle dieser beiden Fasciculi bei der Sprachverarbeitung und unterstreichen die Bedeutung einer sensiblen Phase für den Spracherwerb im frühen Kindesalter, in welcher sich das sprachverarbeitende Netzwerk ausbildet und festigt. Wie wir mittels DTI zeigen konnten, kommt es bei verminderter auditiver Stimulation während dieser kritischen Phase zu einer Restrukturierung der neuronalen Verbindungen, wodurch die Möglichkeiten einer Sprachrehabilitation trotz der durch ein CI verbesserten Hörwahrnehmung limitiert bleiben. Unsere Ergebnisse fügen damit dem Mosaik der Prädiktoren für den Erwerb eines guten Sprachverstehens nach CI-Implantation einen wichtigen Stein hinzu und zeigen das hohe diagnostische Potential der diffusionsgewichteten Bildgebung, um bereits vor Implantation auf mögliche Schwierigkeiten beim Erwerb eines Sprachverstehens mit CI hinzuweisen.
Fazit
Der Fasciculus arcuatus und der Fasciculus uncinatus als wichtige Bestandteile des Sprachnetzwerks sind in erwachsenen, prälingual ertaubten Patienten nur unzureichend ausgebildet, was ein erfolgreiches Sprachverstehen mit CI stark beeinträchtigt. Um dies zu zeigen und diagnostisch zu nutzen, eignet sich die diffusionsgewichtete Bildgebung sehr gut, da sie sich leicht in die MRT-Routineuntersuchung der Patienten integrieren lässt und wertvolle Zusatzinformationen über die neuroanatomischen Voraussetzungen für die Hör- und Sprachentwicklung der Patienten nach Cochlea-Implantation liefert.
Literatur
- 1.
- Holden LK, Finley CC, Firszt JB, Holden TA, Brenner C, Potts LG, et al. Factors Affecting Open-Set Word Recognition in Adults With Cochlear Implants. Ear Hear. 2013;34(3):342-60. DOI: 10.1097/AUD.0b013e3182741aa7
- 2.
- Finney EM, Fine I, Dobkins KR. Visual stimuli activate auditory cortex in the deaf. Nat Neurosci. 2001 Dec;4(12):1171-3. DOI: 10.1038/nn763
- 3.
- Li Y, Ding G, Booth JR, Huang R, Lv Y, Zang Y, et al. Sensitive period for white-matter connectivity of superior temporal cortex in deaf people. Hum Brain Mapp. 2012 Feb;33(2):349-59. DOI: 10.1002/hbm.21215
- 4.
- Catani M, Mesulam M. The arcuate fasciculus and the disconnection theme in language and aphasia: History and current state. Cortex. 2008 Sep;44(8):953-61. DOI: 10.1016/j.cortex.2008.04.002
- 5.
- Brauer J, Anwander A, Friederici AD. Neuroanatomical Prerequisites for Language Functions in the Maturing Brain. Cereb Cortex. 2011 Jan 2;21(2):459-66. DOI: 10.1093/cercor/bhq108
- 6.
- Papagno C, Miracapillo C, Casarotti A, Lauro LJR, Castellano A, Falini A, et al. What is the role of the uncinate fasciculus? Surgical removal and proper name retrieval. Brain. 2011 Jan 2;134(2):405-14. DOI: 10.1093/brain/awq283