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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Untersuchung hyperfunktioneller Dysphonien auf Basis des Einschwingens der Stimmlippen

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Elena Kourteva - Universitätsklinikum Jena, Universitätsklinikum Jena, HNO-Klinik, Institut für Phoniatrie und Pädaudiologie, Jena, Deutschland
  • author Petra Schelhorn-Neise - Universitätsklinikum Jena, Universitätsklinikum Jena, HNO-Klinik, Institut für Phoniatrie und Pädaudiologie, Jena, Deutschland
  • author Jörg Flaschka - Universitätsklinikum Jena, Universitätsklinikum Jena, HNO-Klinik, Institut für Phoniatrie und Pädaudiologie, Jena, Deutschland
  • author Sven Koczielny - Universitätsklinikum Jena, Universitätsklinikum Jena, HNO-Klinik, Institut für Phoniatrie und Pädaudiologie, Jena, Deutschland
  • author Thomas Braunschweig - Universitätsklinikum Jena, Universitätsklinikum Jena, HNO-Klinik, Institut für Phoniatrie und Pädaudiologie, Jena, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppP18

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2008/08dgpp67.shtml

Veröffentlicht: 27. August 2008

© 2008 Kourteva et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Stimmstörungen können funktionelle oder organische Ursachen haben.

Funktionelle Stimmstörungen gehören zu den häufigsten Stimmstörungen. Sie sind Krankheiten, die durch die Störung des Stimmklangs und der stimmlichen Leistungsfähigkeit gekennzeichnet sind, ohne dass sich klinisch primär organische Veränderungen der an der Stimmgebung beteiligten Strukturen zeigen. Sie können Folge falschen Stimmgebrauchs, von Überlastung oder Umwelteinflüssen sein.

Es wird zwischen hyper- und hypofunktionellen Störungen unterschieden.

Das Einschwingverhalten kann mit Hilfe der Hochgeschwindigkeits-Videotechnik (HVT) untersucht werden. Unter Zuhilfenahme eines Modells [1] war es möglich ein objektives Diagnoseverfahren zu entwickeln, welches die Anforderungen des klinischen Alltags weitestgehend erfüllt. Normale Stimmen und hypofunktionelle Stimmstörungen unterscheiden sich in den beiden untersuchten Hauptparametern signifikant [2]. Breite Streuungen bezüglich der Hauptparameter [3] zeigen hyperfunktionelle Dysphonien. Die unterschiedliche Einbeziehung supraglottischer Strukturen scheint hier eine wesentliche Rolle zu spielen.

Es werden die Ergebnisse einer Untersuchung vorgestellt, die nach einem Zusammenhang zwischen dem Einfluss der supraglottischen Strukturen und dem Einschwingverhalten der Stimmlippen sucht. In die Studie wurden 80 Patientinnen einbezogen.


Text

Einleitung

Der menschliche Stimmapparat vereinigt verschiedene, primär unabhängige, Organsysteme, die als Funktionseinheit zentralnervös koordiniert sind, um Stimme und Sprache als sog. Sekundärfunktionen zu produzieren.

Der klinische Begriff „Stimmstörung“ kann Ausdruck organischer oder funktioneller Veränderungen sein. Funktionelle Stimmstörungen sind Krankheiten der Stimme mit einer Störung des Stimmklanges und der stimmlichen Leistungsfähigkeit ohne krankhafte, primär organische Veränderungen am Stimmapparat. Funktionelle Störungen können bei längerem Bestehen durch fehlerhaften Stimmgebrauch sekundär organische Veränderungen hervorrufen. Auch zunächst organische Störungen können von funktionellen Dysphonien überlagert werden. Besonders wenn eine organische Ursache der Beschwerden nicht eindeutig feststellbar oder auszuschließen ist, ist es notwendig, neue, objektive Hilfsmitteln vorzustellen, die auf den Charakter einer möglichen funktionellen Stimmstörung hinweisen und es dem Arzt ermöglichen, eine Diagnose zu stellen und eine Therapie zu planen.

Funktionelle Stimmstörungen lassen sich in hyperfunktionelle, hypofunktionelle und gemischte Dysphonien einteilen. Man kann zwischen einer primären und einer sekundären hyperfunktionellen Dysphonie unterschieden. Bei der primären Hyperfunktion wird das stimmerzeugende System permanent überlastet, während bei der sekundären Hyperfunktion der Patient eine stimmliche Mangelleistung zu kompensieren versucht. Es liegt in diesem Fall eine primäre hypofunktionelle Dysphonie mit einer sekundären Hyperfunktion vor.

Mit der optischen Hochgeschwindigkeits-Videotechnik (HVT) kann man im Gegensatz zu den bisherigen optischen Methoden auch den Einschwingvorgang der Stimmlippen aufzeichnen [4]. Nach einer Bildverarbeitung kann man mit Hilfe mathematischer Methoden die Einschwingvorgänge so beschreiben, dass eine Einteilung der funktionellen Dysphonien erleichtert wird.

Wir nutzen das unterschiedliche Einschwingverhalten der Stimmlippen für die Diagnostik. Ein aussagekräftiger Parameter ist der Schwellwert des Anstiegs der Amplituden am Anfang des Phonationsvorganges.

Der Schwellwert entspricht dem Anstieg der Amplituden beim Übergang von der Aphonie zur Phonation. Er ist etwa proportional zur Spannung der Stimmlippen und korrespondiert mit dem subglottischen Schwelldruck.

In vorangegangenen Studien [2] hat sich gezeigt, dass der Schwellwert des Anstiegs speziell bei hyperfunktionellen Dysphonien relativ stark streut. Das könnte mit den verschiedenen Ansatztechniken während des Phonationseinsatzes zusammenhängen, die man bei der Auswertung der Hochgeschwindigkeitsaufnahmen beobachten kann. Deshalb wurde eine systematische Untersuchung begonnen, in die eine Reihe subjektiv zu bewertender Kriterien aufgenommen wurden. Dies sind die präphonatorische Glottisstellung, der Einsatz der Taschenfalten, die Stellung der Aryknorpel, Knarren, Schwingungsweite, Glottisschluss und Bewegungen der Schleimhaut. Erste Teilergebnisse sollen vorgestellt werden.

Material

In der vorliegenden Studie wurden 95 Frauen mit der Methode der HVT untersucht. Der Median der Altersverteilung beträgt 20 Jahre. Die jüngste Teilnehmerin war 17, die älteste 74 Jahre alt, wobei 83% aller untersuchten Frauen jünger als 30 Jahre waren. Der überwiegende Teil der Patientinnen war ohne Leidensdruck, da sie ihre Eignung für stimmintensive Berufe untersuchen ließen.

Methode

Bei allen Patientinnen wurden zu Beginn der ärztliche und der logopädische Stimmbefund auf Basis der Leitlinie zur Diagnostik von Dysphonien der Deutschen Gesellschaft für Hals- Nasen- Ohren- Heilkunde erhoben. Die Zuordnung zu den Störungsbildern geschah auf der Grundlage dieses ärztlichen Befunds. Nur Patientinnen mit funktionellen Stimmstörungen wurden in die Studie aufgenommen, bei der Hochgeschwindigkeitsaufnahmen hergestellt wurden. Mit der HVT wurde eine Methode entwickelt, die die komplette Bewegung der Stimmlippen, einschließlich des Einschwingvorganges in Echtzeit aufzeichnet und als Videosequenz ausgibt. Für die Untersuchungen wurde die Hochgeschwindigkeitskamera HS-ENDOCAM 5560 der Firma Wolf verwendet. Die Bildrate betrug immer 4000 Bilder/s. Am Kamerakopf befindet sich zusätzlich ein Mikrofon, mit dem der Phonationsschallpegel während der Aufnahme gemessen werden kann. Die Probanden haben während der Messung den Vokal /i:/ über eine Zeit von 2–4 s konstant gehalten, bei mehreren Aufzeichnungen mit verschiedenen Phonationsschallpegeln von gerade hörbar bis bequem laut. Mit der kamerainternen Software wurden die Orts-Zeit-Kurven von Punkten auf den Stimmlippen berechnet. Die Bahnkurven dieser Punkte repräsentieren die Schwingung der Stimmlippen. Die mit Hilfe der HVT-Analyse gewonnenen physikalischen Parameter wurden den Ergebnissen der stimmärztlichen Untersuchung zugeordnet und ihre Verteilung ermittelt. In einer daran anschließenden Analyse wurden die hyperfunktionellen Stimmstörungen genauer untersucht.

Ergebnisse

Bisher wurden die Zusammenhänge zwischen dem Schwellwert des Amplitudenanstiegs und der präphonatorischen Glottisstellung, der Stellung der Aryknorpel und der Einbeziehung der Taschenfalten ausgewertet.

Dabei zeigte sich, dass sich die Schwellwerte sehr signifikant unterscheiden, wenn die Taschenfalten kompensatorisch mit verwendet werden oder nicht. Die Schwellwerte sind geringer, wenn die Taschenfalten in den Schwingungseinsatz nicht mit einbezogen werden.

Einen signifikanten Unterschied der Verteilung der Schwellwerte findet man in Abhängigkeit von der präphonatorischen Glottisstellung. Die Schwellwerte sind deutlich niedriger, wenn die Stimmlippen bei der Phonation eines Vokaleinsatzes geschlossen sind.

Nicht signifikant ist die Abhängigkeit von der Stellung der Aryknorpel während des Schwingungseinsatzes. Werden die Aryknorpel während des Einsatzes zusammengedrückt, dann sind die Schwellwerte tendenziell niedriger.

Diskussion

Niedrige Schwellwerte korrespondieren mit einem niedrigen Tonus der Stimmlippen [2]. Um den notwendigen Anblasedruck aufbauen zu können, werden bei der Phonation weicher Vokaleinsätze die Stimmlippen präphonatorisch geschlossen. Ein bereits geringfügiger Druck der Taschenfalten bei der Phonation geringer Stimmschallpegel führt dazu, dass der Anblasedruck so stark erhöht werden muss, dass die Amplituden der Stimmlippen während des Einsatzes schnell auf ihren maximalen Wert ansteigen, was mit der sehr signifikanten Erhöhung des Schwellwertes korrespondiert. Das verwundert, wenn man davon ausgeht, dass die Taschenfalten einen Tonusverlust kompensieren sollen.

Einen geringfügigen Einfluss auf die Verteilung der Schwellwerte beobachtet man, wenn die Aryknorpel während des Schwingungseinsatzes aneinander drücken.

Insgesamt können mit diesen Ergebnissen die relativ starken Streuungen der Schwellwerte noch nicht befriedigend erklärt werden. Das bedeutet, dass die Studie systematisch weiter ausgedehnt werden muss.


Literatur

1.
Mergell P, Herzel H, et al. Phonation onset: vocal fold modeling and high-speed glottography. J Acoust Soc Am. 1998;104(1):464-70.
2.
Braunschweig T, et al. Die Untersuchung funktioneller Stimmstörungen mit Hilfe der Hochgeschwindigkeitsvideotechnik. Laryngo-Rhino-Otol. 2008;87:323-30.
3.
Braunschweig T, et al. High-speed video analysis of the phonation onset, with an application to the diagnosis of functional dysphonias. Med Eng Phys. 2008;30(1):59-66. Epub 2007 Feb 20.
4.
Tigges M, Wittenberg T, Pröschel U, Rosanowski F, Eysholdt U. Hochgeschwindigkeitsglottographie des Einschwingvorgangs bei verschiedenen Stimmeinsatzmoden. Sprache - Stimme - Gehör. 1996;20:128-33.