gms | German Medical Science

20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Auswirkungen der Protrusion der Zunge auf elektroglottographische Schwingungsparameter

Vortrag

Suche in Medline nach

  • corresponding author C. Jilek - Phoniatrie and Pädaudiologie der HNO-Universitätsklinik, Universität Regensburg, 93042 Regensburg, Tel.: +49 941 944-9471, Fax: +49 941 944-9472
  • J. Marienhagen - Institut für Nuklearmedizin, Universität Regensburg, 93042 Regensburg
  • T. Hacki - Phoniatrie and Pädaudiologie der HNO-Universitätsklinik, Universität Regensburg, 93042 Regensburg

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocV07

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2003/03dgpp013.shtml

Veröffentlicht: 12. September 2003

© 2003 Jilek et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Elektroglottographische Schwingungsparameter von 33 gesunden Stimmen (23 weibliche, 10 männliche) wurden zu zwei Zeitpunkten paarweise miteinander verglichen. Die elektroglottographische Untersuchung wurde einmal mit Protrusion der Zunge durchgeführt, das andere Mal ohne Manipulation der Zunge.Ziel der Studie war zu prüfen, ob die Protrusion der Zunge, wie sie bei stroboskopischen bzw. hochgeschwindigkeitsglottographischen Untersuchungen notwendig ist, die Schwingung der Stimmlippen beeinflusst.Im paarweisen, studentischen T-Test zeigten sich keine signifikanten Unterschiede (p<.05) zwischen elektroglottographischen Schwingungsparametern, die mit bzw. ohne Protrusion der Zunge erhoben wurden.Die Ergebnisse unterstützen indirekt die Beurteilung der Stimmlippenschwingung in ihrer Mikrostruktur mit Hilfe der Hochgeschwindigkeitsglottographie, da die Protrusion der Zunge keine signifikante Effekte auf die Stimmlippenschwingung zeigt.


Text

Einleitung

Stroboskopie ist ein wichtiges diagnostisches Instrument, um die Funktion des Kehlkopfes zu untersuchen und damit sowohl organische als auch funktionelle Dysphonien zu erkennen.

In der Vergangenheit gab es Vorbehalte gegenüber der Stroboskopie, könnte Sie doch durch Ihre Invasivität eine physiologische Phonation erschweren oder behindern. Mit der Entwicklung der flexiblen Endoskope schien ein Faktor der Beeinflussung des artikulatorischen Systems, nämlich das Herausziehen der Zunge, gelöst zu sein. Pascher [1] stellte fest, dass flexible Endoskope keine nennenswerte Vorteile gegenüber starren böten, während hingegen Saito [2] die glottale Schwingung bei der flexiblen Endoskopie weniger behindert sieht als bei der starren, da die Zunge nicht herausgezogen werden muss. Sodersten [3] unterstützt diese Beobachtung, indem er unvollständigeren Glottisschluss bei der starren Laryngostroboskopie feststellte als bei der flexiblen.

Die Diskussion über Einflüsse der Untersuchungstechnik auf die Funktion der Stimmlippenschwingung gewinnt an Bedeutung, sobald die glottale Schwingung in ihrer Mikrostruktur untersucht wird, wie dies bei der Hochgeschwindigkeitsglottographie der Fall ist (mit einem starren Endoskop durchgeführt). Eine Technik, die Schwingung für Schwingung untersucht, ist anfälliger für Einflüsse, die durch die Manipulation der Untersuchung entstehen, als eine Technik wie die Stroboskopie, die eine Schwingung untersucht, die aus mehreren Phasen verschiedener Perioden zusammengesetzt ist.

Grundsätzlich kann man bei einer stroboskopischen Untersuchung drei Einflussfaktoren auf die Stimmlippenschwingung identifizieren, die durch den Mechanismus der Untersuchung verursacht werden:

Einsatz von Anästhetika in der Mundhöhle und dem Pharynx, die die starre stroboskopische Untersuchung ermöglicht bzw. erleichtert.

Vorhandensein eines Fremdkörpers (starres Stroboskop) in der Mundhöhle.

Herausziehen (Protrusion) der Zunge, um einen guten Einblick in den Larynx sicherzustellen.

Holland [4] konnte zeigen, dass der Gebrauch von Anästhetika keinen Einfluss auf Parameter der Hochgeschwindigkeitsglottographie hat. Das Vorhandensein eines starren Stroboskops in der Mundhöhle sollte - von einem erfahrenen Untersucher ausgeführt - keine gröberen Missempfindungen verursachen, die wiederum den Phonationsvorgang beeinflussen könnten. Mögliche Missempfindungen können durch Schleimhautanästhesie gemildert werden.

Ziel der Studie ist zu untersuchen, ob das Herausziehen der Zunge, wie es bei stroboskopischen und hochgeschwindigkeitsglottographischen Untersuchungen Anwendung findet, die Regelmäßigkeit der Stimmlippenschwingung beeinflusst. Die Regelmäßigkeit der glottalen Schwingung wird anhand elektroglottographischer Perturbationsparameter bestimmt.

Testpersonen and Methode

Testpersonen

Elektroglottographische Daten wurden von 33 gesunden NichtraucherInnen aufgezeichnet (23 weiblich, 10 männlich, Durchschnittsalter 35.36 Jahre, sd 12.32 Jahre).

Jede stimmgesunde Testperson ging einem stimm- und sprechintensiven Beruf nach (z.B. Lehrer, Logopädin) und hatte bisher keine Anzeichen einer Stimm- oder Hörstörung, auch hat sie bisher keine Stimmtherapie erhalten. Alle Testpersonen hatten eine negative Anamnese in Bezug auf Allergien, Medikamente, Tabakrauchexposition, Lungen- und Atemwegserkrankungen, systemische Erkrankungen oder Schwangerschaft.

Sichtbare Kehlkopfpathologien wurden durch eine laryngoskopisch-stroboskopische Untersuchung ausgeschlossen.

Methode

Die Studienprozedur beinhaltete zwei Untersuchungsschritte: eine erste elektroglottographische Untersuchung, wobei sich die Testperson die Zunge selbst herauszog, und eine zweite ohne Manipulation der Zunge.

Zur EGG-Messung wurde die Haut am Hals mit Skinsept® gründlich gereinigt. Die Elektroden wurden mit Ultraschall-Kontakt-Gel (Caesar & Loretz, Hilden) benetzt, um die Leitfähigkeit zwischen Elektrode und Haut zu verbessern. Nach Befestigung der EGG-Elektroden auf der Haut über den Laminae thyroideae wurden die ProbandInnen aufgefordert in ihrer individuellen Sprechstimmlage auf der Silbe [la:] bei 75 dB Schalldruckpegel zu phonieren. Die gewöhnliche Sprechstimmlage wurde dadurch gesichert, dass die ProbandInnen vor der Phonation der Silbe [la:] in entspannter Tonlage von 1 bis 3 zählten. Der Schalldruckpegel konnte am Monitor von den Testpersonen kontrolliert werden.

Für den ersten Untersuchungsschritt zogen sich die Testpersonen ihre Zungen selbst heraus und hielten sie fest, so wie es von stroboskopischen Untersuchungen bekannt ist. Anschließend phonierten sie in oben beschriebener Weise. Beim zweiten Untersuchungsschritt phonierten die ProbandInnen ohne Manipulation der Zunge.

Pro Untersuchungsschritt wurden 3 Proben aufgezeichnet. Die EGG-Signale wurden mit dem „Electro-Glottograph Type EG 830" (FJ Electronics, Copenhagen) über die Software „Elektroglottographie" (Additive GmbH, Friedrichsdorf) aufgezeichnet (Tiefpassfilter: 2500 Hz, Hochpassfilter: 25 Hz, Abtastrate: 44.1 kHz). Das Audio-Signal wurde mit einem Richtmikrophon (Sennheiser MD 441) aufgenommen. Der Mund-Mikrophon-Abstand betrug 30 cm. Die Daten wurden mittels μ-Musics automatisch digitalisiert.

Aus den drei gewonnen Proben wurde diejenige ausgewählt, die die geringste Abweichung vom Zielschalldruckpegel aufwies. Die ersten 500 Millisekunden der gewählten Probe wurden verworfen.

Aus dem verbleibenden Abschnitt der Aufzeichnung wurden bei Frauen 0,5 sec, bei Männern 1 sec analysiert.

Die Nulllinie wurde nach dem Integralverfahren berechnet. Dabei wird die Nulllinie derart angelegt, dass innerhalb einer Periode die Fläche oberhalb der Nulllinie derjenigen unterhalb der Nulllinie entspricht.

Aus den analysierten Proben wurden mit der Software „Famos" (IMC) folgende Parameter berechnet: Perturbationen der Frequenz, der Amplitude, des quasi-open-quotient (QOQ) und des contact-index (CI) (vgl. [Abb. 1]).

Die Perturbation eines Schwingungsparameters war definiert als der mean percent jitter (Jitt): [Abb. 2]

Statistik

Perturbationen, die in den zwei Untersuchungsschritten aufgezeichnet wurden, wurden mit dem studentischen T-Test (Signifikanzniveau p£.05) paarweise miteinander verglichen. Die Daten waren normalverteilt.

Null-HypothesePerturbationsparameter, die mit herausgezogener Zunge aufgezeichnet wurden, unterscheiden sich nicht von Perturbationsparametern, die ohne Manipulation der Zunge aufgezeichnet wurden.

Alternativ-Hypothese: Perturbationsparameter, die mit herausgezogener Zunge aufgezeichnet wurden, unterscheiden sich von Perturbationsparametern, die ohne Manipulation der Zunge aufgezeichnet wurden.

Ergebnisse

Unterschiede zwischen Perturbationsparametern gemessen mit und ohne herausgezogener Zunge

Dreiunddreißig Proben von gesunden Stimmen mit herausgezogener Zunge wurden mit den jeweiligen Proben verglichen, die ohne Manipulation der Zunge gewonnen wurden. Die zwei Stichproben zeigten keine Unterschiede: weder in der phonierten Frequenz noch im Schalldruckpegel noch in der Anzahl der analysierten Proben (vgl. [Abb. 3]).

Im paarweisen studentischen T-Test fanden wir keine signifikanten (p≤.05) Unterschiede zwischen Perturbationen der Frequenz, der Amplitude, des quasi-open-quotient und des contact-index gemessen mit und ohne Protrusion der Zunge (vgl. [Abb. 4]).

Unterschiede zwischen Perturbationsparametern weiblicher und männlicher Stimmen gemessen mit und ohne herausgezogener Zunge

Dreiundzwanzig Proben von Perturbationsparametern weiblicher Stimmen wurden mit 10 von männlichen Stimmen verglichen. Im studentischen T-Test zeigten sich keine signifikanten (p≤.05) Unterschiede zwischen Perturbationen der Frequenz, der Amplitude, des quasi-open-quotient und des contact-index zwischen weiblichen und männlichen Stimmen weder mit, noch ohne Protrusion der Zunge (vgl. [Abb. 5]).

Diskussion

Die Elektroglottographie ist eine nicht-invasive Technik, um Veränderungen in der Stimmlippenkontaktfläche während der Stimmlippenschwingung zu messen. Sie erlaubt damit Rückschlüsse auf die Dynamik der Stimmlippenschwingung ohne die Kehlkopffunktion zu beeinflussen.

Das elektroglottographische Signal ist "essentially free of supraglottal influence" [5]. Dies bedeutet: Ein Prozess, der auf die supraglottale Ebene beschränkt ist, spiegelt sich im elektroglottographischen Signal nicht wider. Auf der anderen Seite erkennt die Elektroglottographie supraglottale Prozesse, die sich auch auf die glottale Schwingung auswirken.

In unserer Untersuchung veränderten wir die Stellung der Zunge (mit Protrusion der Zunge versus ohne Protrusion der Zunge) und simulierten damit eine Komponente einer stroboskopischen bzw. hochgeschwindigkeits-glottographischen Untersuchung.

Die Zunge der Testperson wurde zuerst vom Untersucher herausgezogen, um dem Studienteilnehmer einer Gefühl zu vermitteln, wie stark die Zunge herauszuziehen sei. Dies stellte sicher, dass die Zunge während der elektroglottographischen Untersuchung in richtiger Weise und Stärke herausgezogen wurde. Der Umstand, dass die Testperson sich selbst die Zunge herauszog, war in unseren Augen ein weiterer Faktor für die Stabilität des Testdesigns.

Wir untersuchten überdies drei Kontrollparameter: mittlere phonierte Frequenz, mittlerer phonierter Schalldruckpegel und die Anzahl der analysierten Perioden. Die Kontrollparameter zeigten zu allen zwei Untersuchungszeitpunkten keinen signifikanten Unterschied (p≤.05) (vgl. [Abb. 3]). Eine Beeinflussung der elektroglottographischen Perturbationsparameter durch die erwähnten Parameter ist damit vernachlässigbar. Gleichheit der phonierten Frequenz ist wichtig, da Orlikoff [6] einen indirekt-proportionalen Effekt zwischen phonierter Frequenz und Größe elektroglottographischer Perturbationen beschreibt.

Wie in der Einleitung erwähnt, hat für uns die Protrusion der Zunge den größten Einfluss der drei identifizierten Faktoren (Gebrauch von Anästhetika, starres Endoskop in der Mundhöhle, Herausziehen der Zunge) auf die Stimmfunktion. Somit übertragen wir unsere Beobachtungen auf die gesamte stroboskopische bzw. hochgeschwindigkeitsglottographische Untersuchung: Manipuliationen im Artikulationstrakt (z.B. Protrusion der Zunge), wie sie bei stroboskopischen bzw. hochgeschwindigkeitsglottographischen Untersuchungen von Nöten sind, haben keinen Effekt auf die Regelmäßigkeit der Stimmlippenschwingung.

Unsere Ergebnisse bekräftigen die Erforschung der Stimmlippenschwingung in ihrer Mikrostruktur mit Hilfe der starren-endoskopischen Hochgeschwindigkeitsglottographie.


Literatur

1.
Pascher W, Neumann G (1976): Fiber-Stroboskopie, Technik und Anwendungsmöglichkeiten. Arch Ohr-Nas-Kehlk-Heilk 213:464-5.
2.
Saito S, Fukuda H, Kitahara S, Kokawa N (1978): Stroboscopic observation of vocal fold vibration with fiberoptic. Folia Phoniatr 30:241-4.
3.
Sodersten M, Lindestad PA (1992): A comparison of vocal fold closure in rigid telescopic and flexible fiberoptic laryngostroboscopy. Acta Otolaryngol 112:144-50.
4.
Holland K, Tigges M, Wittenberg T, Mergell P, Eysholdt U (1999): Untersuchungen zur Auswirkungen der Oberflächenanästhesie auf die Stimmlippenschwingungen mit Hilfe der Hochgeschwindigkeitsglottographie. In: Gross M (ed.): Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 1998/99. Volume 6. Heidelberg 1999. p. 87-89.
5.
Baken RJ (1992): Electroglottography. J Voice 6:98-110.
6.
Orlikoff RF (1995). Vocal stability and vocal tract configuration: an acoustic and electroglottographic investigation. J Voice 9:173-81.