gms | German Medical Science

53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

15. bis 18.09.2008, Stuttgart

Vergleich der Anwendungsarchitekturen von Krankenhausinformationssystemen – eine Fallstudie aus Japan und Deutschland

Meeting Abstract

  • Franziska Jahn - Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • Lutz Ißler - Systemantics, Aachen, Deutschland
  • Alfred Winter - Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • Katsuhiko Takabayashi - Chiba University Hospital, Chiba, Japan

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds). Stuttgart, 15.-19.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. DocMI17-5

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2008/08gmds193.shtml

Published: September 10, 2008

© 2008 Jahn et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Outline

Text

Einleitung und Fragestellung

Krankenhausinformationssysteme (KIS) unterstützen eine Vielfalt informationsverarbeitender Aufgaben, beginnend bei der Patientenbehandlung und Diagnostik bis hin zu administrativen Aufgaben und Managementaufgaben. Um die Anforderungen verschiedener Abteilungen und Nutzergruppen zu erfüllen, werden häufig unterschiedliche Softwareprodukte von verschiedenen Herstellern benötigt, was zu komplexen, heterogenen Architekturen führt [1].

Während KIS innerhalb eines Landes aufgrund ähnlicher Rahmenbedingungen auch ähnliche Architekturen aufweisen, kann der Einblick in KIS anderer Länder neue Sichtweisen in Bezug auf Vor- und Nachteile verschiedener Architekturansätze eröffnen. Um verschiedene KIS-Architekturen vergleichen zu können, werden einheitliche Beschreibungen der KIS benötigt. 3LGM²-Modelle sollen die Basis für den Vergleich des KIS des Universitätsklinikums Chiba (Japan) und des KIS des Universitätsklinikums Leipzig (UKL-KIS) bilden. Dazu ist es notwendig, mit Hilfe des 3LGM²-Ansatzes eine Vergleichsmethode zu entwickeln. Anschließend sollen die Vergleichsergebnisse der Anwendung dieser Methode vorgestellt werden.

Material und Methoden

Untersuchung von Architektur-Qualitätskriterien anhand von 3LGM²-Modellen

Mit dem Metamodell 3LGM² [2] lassen sich Informationssysteme auf drei Ebenen beschreiben. Auf der Fachlichen Ebene wird das KIS durch die Aufgaben beschrieben, die es unterstützen muss, wie z.B. Patientenaufnahme oder Krankenhausverwaltung. Die Aufgaben sind wiederum auf der Logischen Werkzeugebene Anwendungsbausteinen zugeordnet, die zur Erfüllung der Aufgaben genutzt werden. Weiterhin wird auf dieser Ebene die Kommunikation der Anwendungsbausteine über Kommunikationsverbindungen und Schnittstellen dargestellt. Die Anwendungsbausteine sind mit ihrer physischen Basis auf der Physischen Werkzeugebene, wie z.B. Servern und PCs verbunden. Das korrespondierende Werkzeug für die Erstellung von 3LGM²-Modellen ist der 3LGM²-Baukasten [3].

Es lassen sich folgende Architekturkriterien mit Hilfe von 3LGM²-Modellen analysieren, die für den qualitativen Vergleich der beiden KIS genutzt werden sollen:

(a) Vertikale Fragmentierung einer Informationssystemarchitektur nach [4] ist gegeben, wenn verschiedene Organisationseinheiten für die Erfüllung verschiedener oder gleicher Aufgaben unterschiedliche Anwendungssysteme nutzen. Auf Basis der Anwendungsbausteinkonfigurationen in einem 3LGM²-Modell soll untersucht werden, ob die Teilaufgaben der Patientenbehandlung durch ein fragmentiertes Subsystem des KIS erledigt werden.

(b) Der funktionale Redundanzfaktor FRED [5] eines KIS misst ausgehend von einzelnen Aufgaben, ob diese durch keinen, einen oder mehrere Anwendungsbausteine unterstützt werden. Ein Informationssystem IS ist funktional schlank, wenn FRED(IS)=0, in diesem Fall würde jede Aufgabe im Informationssystem durch genau einen Anwendungsbaustein unterstützt werden. FRED lässt sich in einem 3LGM²-Modell automatisch berechnen.

(c) Anhand der Kommunikationsbeziehungen zwischen Anwendungsbausteinen kann in einem 3LGM²-Modell analysiert werden, ob Kommunikationsstandards, wie z.B. HL7 genutzt werden.

Das Referenzmodell der Fachlichen Ebene von Krankenhausinformationssystemen

Ausgehend von einer gleichen Fachlichen Ebene kann die Vergleichbarkeit von 3LGM²-Modellen unterschiedlicher KIS gewährleistet werden, was insbesondere für die Kriterien (a) und (b) wichtig ist. Deshalb wurde das Referenzmodell der Fachlichen Ebene von Krankenhausinformationssystemen [6] genutzt, welches die in einem Krankenhaus zu erledigenden Aufgaben spezifiziert.

Ergebnisse

Während ein 3LGM²-Modell des KIS des Universitätsklinikums bereits vorhanden war, wurde das KIS des Universitätsklinikums in Chiba, Japan, vor Ort modelliert. Die Anwendung der oben spezifizierten Vergleichskriterien führt zu folgenden Ergebnissen:

(a) Ausgehend von der Aufgabe „1. Patientenbehandlung“ und deren Teilaufgaben weist das KIS des Universitätsklinikums Leipzig wesentlich mehr horizontale Fragmente auf. D.h. obwohl ein führendes System existiert, das die Patientenbehandlung unterstützt, werden einige Teilaufgaben der Patientenbehandlung von mehreren anderen, teilweise abteilungsspezifischen Anwendungssystemen unterstützt. Hingegen deckt im KIS des Chiba University Hospital das „EMR System“ fast alle Teilaufgaben der Patientenbehandlung ab, d.h. in jeder Klinik erfolgt eine einheitliche Unterstützung der Aufgaben durch ein zentrales Anwendungssystem.

(b) In beiden KIS treten funktionale Redundanzen auf, jedoch weist das KIS des Chiba University Hospital mit 0,1 einen geringeren Redundanzfaktor auf als das UKL-KIS (0,43).

(c) Innerhalb des UKL-KIS werden zwischen Anwendungssystemen verschiedener Hersteller häufig Kommunikationsstandards genutzt, insbesondere HL7. Hingegen kommunizieren die Anwendungssysteme im japanischen KIS über proprietäre Schnittstellen, HL7 wird nur zur Kommunikation mit einem externen Labor genutzt.

Diskussion

Der 3LGM²-Baukasten und das Referenzmodell für die Fachliche Ebene von Krankenhausinformationssystemen stellen eine gute Basis für die qualitative Vergleichbarkeit von Informationssystemen dar, einerseits durch die Nutzung gleicher Begriffe, andererseits durch gleichartige graphische Repräsentationen. Anhand der vorgestellten Ergebnisse für beide KIS können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden:

Die zentralisierte und weniger fragmentierte Anwendungsarchitektur des KIS im Chiba University Hospital (vgl. (a)) scheint weniger funktionale Redundanzen zu verursachen (vgl. (b)), was die totalen Kosten für Konfiguration und Betrieb des KIS positiv beeinflussen kann. Andererseits führt diese Architektur zu einer geringeren Nutzung von Kommunikationsstandards wie HL7 innerhalb des KIS (vgl. (c)). Für die Kommunikation mit externen Partnern gewinnt dies jedoch zunehmend an Bedeutung, was durch die HL7-Schnittstelle zu einem externen Labor angedeutet wird.

Die dezentrale, fragmentierte Architektur des UKL-KIS führt hingegen zu mehr funktionalen Redundanzen. Allerdings begünstigen der Einsatz verschiedener Anwendungssysteme und der breitere Einsatz von Kommunikationsstandards eine flexible Erweiterbarkeit des KIS und möglicherweise eine einfachere Integration in Gesundheitsinformationssysteme.

Die identifizierten Vor- und Nachteile beider KIS sind insbesondere vor dem Hintergrund verschiedener Organisationsstrukturen zu betrachten. Das Universitätsklinikum Leipzig weist eine dezentrale Organisationsstruktur mit größeren Entscheidungsbefugnissen von Chefärzten auf, was die Entstehung klinikspezifischer Anwendungssysteme fördert. Im Gegensatz dazu besitzt das Chiba University Hospital eine strenge hierarchische Organisationsstruktur, in der Entscheidungen zentral und verbindlich für alle getroffen werden.

Abschließend kann allerdings keines der beiden untersuchten KIS auf Grundlage des Architekturvergleichs als „besser“ oder „schlechter“ bewertet werden. Dazu wären weitere Untersuchungen, wie z.B. Nutzerbefragungen oder die Analyse des Nutzungsgrades der Anwendungssysteme der beiden KIS, hilfreich.


Literatur

1.
Haux R, Winter A, Ammenwerth E, Brigl B. Strategic Information Management in Hospitals. An Introduction to Hospital Information Systems. New York: Springer-Verlag; 2004.
2.
Winter A, Brigl B, Wendt T. Modeling Hospital Information Systems (Part 1): The Revised Three-Layer Graph-based Meta Model 3LGM². Methods Inf Med 2003; 5: 544-51.
3.
Wendt T, Haeber A, Brigl B, Winter A: Modeling Hospital Information Systems (Part 2): Using the 3LGM² Tool for Modeling Patient Record Management. Methods Inf Med 2004; 3: 256-267.
4.
Hasselbring W. Information System Integration. Communications of the ACM. 2000; 43(6), 33-38.
5.
Brigl B, Huebner-Bloder G, Wendt T, Haux R, Winter A. Architectural Quality Criteria for Hospital Information Systems. AMIA 2005 Symposium Proceedings. p. 81-85.
6.
Huebner-Bloder G, Ammenwerth E, Winter A, Brigl B. Specification of a Reference Model for the Domain Layer of Hospital Information Systems. Connecting Medical Informatics and Bio-Informatics 2005: 497-502.