gms | German Medical Science

49. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
19. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI)
Jahrestagung 2004 des Arbeitskreises Medizinische Informatik (ÖAKMI)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Schweizerische Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI)

26. bis 30.09.2004, Innsbruck/Tirol

Simulation und Parameteridentifikation von Diabetes mellitus I für Patientenschulung und -überwachung

Meeting Abstract (gmds2004)

  • corresponding author presenting/speaker Markus Havemann - Institut für Medizinische Informatik, Technische Universität Braunschweig, Braunschweig, Deutschland
  • Oliver J. Bott - Institut für Medizinische Informatik, Technische Universität Braunschweig, Braunschweig, Deutschland
  • Ina Hoffmann - Institut für Medizinische Informatik, Technische Universität Braunschweig, Braunschweig, Deutschland
  • Dietrich Peter Pretschner - Institut für Medizinische Informatik, Technische Universität Braunschweig, Braunschweig, Deutschland

Kooperative Versorgung - Vernetzte Forschung - Ubiquitäre Information. 49. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 19. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI) und Jahrestagung 2004 des Arbeitskreises Medizinische Informatik (ÖAKMI) der Österreichischen Computer Gesellschaft (OCG) und der Österreichischen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (ÖGBMT). Innsbruck, 26.-30.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04gmds072

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2004/04gmds072.shtml

Published: September 14, 2004

© 2004 Havemann et al.
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Problemstellung

Bei Diabetes mellitus I ist die Befähigung des Patienten, den Zustand und Verlauf der Erkrankung selbst zu überwachen und damit aktiv an der Gestaltung seiner Therapie teilzunehmen und Verantwortung gegenüber dem eigenen Körper zu übernehmen, eine wesentliche Aufgabe für den behandelnden und beratenden Mediziner. Dies sowohl, um die Gefahr von Folgeerkrankungen zu verringern, als auch, um dem Patienten das Gefühl zu nehmen, hilflos der Krankheit ausgesetzt zu sein, und somit die Lebensqualität zu steigern.

Im Bereich der Patientenschulung und -überwachung können computergestützte Simulationen des Glukosestoffwechsels bzw. der Insulinwirkung viel zum Verständnis und damit zum positiven Umgang mit der Erkrankung beitragen. Je näher sich dabei die Simulation am realen Zustand und Erleben des Patienten befindet, umso größer kann dabei der Lerneffekt sein.

Die Bestimmung der patientenspezifischen und zeitvarianten Parameter ist dabei von entscheidender Bedeutung. Nicht weniger wichtig ist es jedoch, die Ergebnisse in einer sowohl für den Patienten als auch den Mediziner leicht verständlichen Form zu präsentieren. Dies schließt auch ein, den Weg zu Simulationsresultaten und daraus ableitbaren Therapievorschlägen nachvollziehbar darzustellen und eine Adaption der dem Modell zugrunde liegenden Annahmen an die Erfahrungen des Nutzers ohne tiefe Kenntnisse der Modellbildung zu ermöglichen.

Methoden

Untersucht werden aus der Literatur bekannte Ansätze sowohl klassischer analytischer Art als auch regelbasierter Simulationen hinsichtlich ihrer Eignung zur Parameteridentifikation und -abbildung. Hierbei stehen folgende Fragen im Vordergrund:

1) Welche Anforderungen werden an die Messwertaufnahme gestellt, wie können vorhandene Messwerte so aufgearbeitet werden, dass sie möglichst erfolgreich als Datenbasis eingesetzt werden können?

2) Welche Testszenarien sind zur Parameterbestimmung geeignet?

3) Wie zuverlässig können Parameter bei gegebener Messwertdichte und -auflösung bestimmt werden?

4) Wie verständlich sind die Ergebnisse präsentiert, wie leicht lässt sich die Simulation vom Nutzer an seine Anforderungen anpassen?

Es werden Modelle unterschiedlicher Modellierungstiefe und Darstellungsform ausgewählt, unter MatLab/Simulink (http://www.mathworks.com/) nachgebildet und mit zuvor gewonnenen Daten beaufschlagt. Spezielle Testeingangsmuster dienen dazu, die Unterschiede zwischen den Modellen hervorzuheben. Da diese Modelle überwiegend für traditionelle Insulingabe und nicht für Insulinpumpen entwickelt wurden, ist die Erweiterbarkeit für die Simulation bei Pumpenträgern dabei besonders interessant.

Klassisch regelungstechnische Modelle sind die aufeinander aufbauenden Modelle aus [1] und [2]. Das Modell aus [3] ist speziell für Pumpenträger entwickelt worden. Demgegenüber stehen einfachere web-basierte Modelle wie Glucosim (http://216.47.139.198/glucosim/) und AIDA (http://www.2aida.org/).

Das Modell aus [4] dient als Beispiel für ein auf Fuzzy Sets basierendes System. Auch linguistische Regelwerke (http://www.mellibase.de/) werden in den Modellvergleich einbezogen.

Ergebnisse des Modellvergleichs

Modelle hoher Modellierungstiefe benötigen eine große und zuverlässige Datenbasis. Ist diese nicht vorhanden, so sind Modelle niedrigeren Grades überlegen. Durch eine höhere Messfrequenz bis hin zur quasikontinuierlichen Messung kann die Zuverlässigkeit der Parameterbestimmung erheblich verbessert werden.

Die Bedeutung der Nahrungszusammensetzung und Körperbewegung für den Stoffwechsel bilden die genannten Modelle nur unzureichend ab.

Insbesondere die komplexeren Simulationen und Simulationswerkzeuge haben nur selten den Weg in den praktischen Einsatz in Schulung und Therapie gefunden. Ursache dafür ist oft eher die Benutzerschnittstelle als die Leistungsfähigkeit der Simulation.

Regelbasierte Systeme, sog. Expertensysteme und Fuzzy Sets erlauben eine auch für den regelungstechnischen Laien leicht durchschaubare Modellbildung. Daher bieten sie sich insbesondere für Anwendungen außerhalb klassischer Regelungsaufgaben (Motorensteuerung, Energieversorgung etc.) an. Sowohl Mediziner als auch Patienten können davon profitieren. Bedeutend bessere Simulationsergebnisse dürfen hier prinzipbedingt jedoch nicht erwartet werden.

Ableitung eines neuen Simulationsansatzes

Aus den gewonnenen Erkenntnissen heraus wird ein Simulationssystem einschließlich Benutzerschnittstelle entwickelt, das die Vorteile der verschiedenen Ansätze kombinieren soll. Insbesondere wird hierbei auf eine bessere Messung und Abbildung des bewegungsabhängigen Glukoseumsatzes Wert gelegt.

Ein Schwerpunkt bei der Messwertaufnahme liegt auf den Möglichkeiten, die sich aus quasi-kontinuierlicher Blutzuckermessung und Insulinabgabe ergeben. Der Kern der Aufgabe besteht darin, die Eingangsgrößen des Modells aus den Protokollen einer Reihe von auf dem Markt befindlichen Geräten zu gewinnen. Dies betrifft die Protokollierung von Nahrungsaufnahme mittels elektronischen Tagebuchs, die Messung des Blutzuckers mittels Glukometer und die Bestimmung des Kalorienverbauchs mittels Körpermonitor. Schnittstellen zwischen den herstellerabhängigen Protokollen der Einzelgeräte und einem zu diesem Zweck entwickelten "Hyperprotokoll" unter MatLab/Simulink helfen hierbei.

Die so gewonnenen Daten unterliegen in unterschiedlichem Maße systematischen und statistischen Messunsicherheiten. Daher ist eine Vorverarbeitung notwendig. Es werden unterschiedliche Verfahren der Kurvenanpassung untersucht, ein Schwerpunkt liegt auf den Vorteilen, die NURBS und andere rationale Splines, die in der Mess- und Regelungstechnik im Gegensatz zur Bildgenerierung bislang eine untergeordnete Rolle spielen, im Bereich der Interpolation haben.

Ausblick

Die neu eingeführten Testmuster bedürfen einer Verifikation durch klinische Bestimmungsverfahren. Insbesondere sollte der Einfluss der Nahrungszusammensetzung und der körperlichen Bewegung näher untersucht werden. Einsatzbereiche des resultierenden Simulationssystems können die Patientenschulung und Therapieoptimierung ebenso sein, wie überindividuelle Systembetrachtungen z.B. im Rahmen der Gesundheitsökonomie.

Insbesondere im EU-Projekt INCA (Intelligent Control Assistant for Diabetes http://www.ist-inca.org) soll geprüft werden, ob das dort mit dem Simulationswerkzeug MOSAIK-M [5] erstellte Modell der telemedizinischen Betreuung von Diabetikern bei algorithmischer Steuerung einer Insulinpumpe auf Basis kontinuierlicher Blutzuckermessung um die patientenindividuelle Simulation des Stoffwechselgeschehens erweitert werden kann.


Literatur

1.
Bergeler J. Ein Rechnergestütztes Therapieverfahren zur Behandlung von Diabetikern auf der Basis eines Modellregelsystems. Darmstadt; 1986
2.
Höfig B. Physiologische Modellierung des menschlichen Glukose Metabolismus für die simulationsgestützte Therapie des insulinabhängigen Diabetes mellitus. Stuttgart; 1998
3.
Gessler, R. Ein portables System zur subkutanen Messung und Regelung der Glukose bei Diabetes mellitus Typ-I, Ulm; 2000
4.
Abbas S. Fuzzy logic approach to the analysis of medical systems and medical decision processes; diabetes as medical implementing example. Illmenau; 1993
5.
Martin JO, Terstappen A, Walter M.: Simulation medizinischer Prozesse - Der Braunschweiger Krankenhaussimulator. in: Carolo-Wilhemina, Forschungsmagazin der Technischen Universität Braunschweig, Jahrgang XXXVI, Heft 1/2001. ISSN 1334 4645. TU Braunschweig. 2001:78-86