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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Habituation im Hörkortex bei Stotternden

Habituation of auditory cotex in persons who stutter

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Arne Knief - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Nike Hoster - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Dirk Deuster - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Claus-Michael Schmidt - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Christo Pantev - Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppV43

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Published: August 27, 2008

© 2008 Knief et al.
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Zusammenfassung

Hörgestörte Kinder zeigen eine niedrige Prävalenz einer Stottersymptomatik [8]. Zudem binden sprechflüssigkeitsinduzierende Maßnahmen bei Stotternden die Rückkopplung über den Hörkortex ein. Stotterereignisse zeigen oftmals einen repetitiven Charakter. So stellt sich die Frage, ob in der kortikalen Verarbeitung von aufeinander folgenden Tönen Unterschiede zwischen Stotternden und Kontrollen bestehen.

In einer MEG-Studie wurden 12 Stotternden und 12 Kontrollen mit vier im Abstand von 500 ms folgenden 500 Hz-Tönen (500 ms lang) stimuliert. Beidseits wurden die Quellen der Komponente N1 geschätzt und deren Wellenform berechnet. Die Latenz der N1 auf den ersten Ton war bei Stotternden 115 ms li/ 117 ms re, bei Kontrollprobanden 107ms li/104 ms re. Diese Latenzen unterschieden sich rechts signifikant (Wilcoxon p<0,01). Links wurde die Signifikanz nicht erreicht (p=0,06). Für die folgenden Töne wurden keine signifikanten Unterschiede gefunden, bei den Stotternden blieben die N1 bei ähnlicher Latenz wie die erste N1, bei den Kontrollen gab es eine Verzögerung, wie sie aufgrund der Habituation erwartet wurde. Im Hörkortex differierte die zeitliche Verarbeitung zwischen Stotternden und Kontrollen. Dies kann Auswirkungen auf die Rückkopplung des Gesprochenen über den Hörkortex und der dann folgenden Verarbeitung haben. Es ist ebenso möglich, dass die zeitlichen Unterschiede eine Folge der Kompensation bei Stotternden sind.


Text

Einleitung

Der Schwerpunkt bei der hirnorganischen Betrachtung einer Stottersymptomatik liegt meist auf Steuerung und Kontrolle des Sprachvorgangs. In verschiedenen Studien wurde ein gestörter Ablauf zwischen Sprachplanung und Motorplanung im Zusammenhang mit dem Stottern gefunden [9], [10], [11]. In der Morphologie der beiden Gehirnhälften werden eine geringere Asymmetrie als bei Normalsprechenden, ein vergrößertes Planum Temporale und ein vergrößerter superior temporaler Gyrus gefunden [2], [4], [5]. Eine Fehlfunktion der Basalganglien steht außerdem mit der Stottersymptomatik in Zusammenhang [1], [7].

Über die Störung der Sprachplanung und Kontrolle hinaus, gibt es Hinweise, dass das Hörsystem beim Stotternden betroffen sein kann. Eine niedrigere Prävalenz einer Stottersymptomatik tritt bei hörgestörten im Vergleich zu normalhörenden Kindern auf [8]. Zudem binden sprechflüssigkeitsinduzierende Maßnahmen die Rückkopplung über den auditorischen Kortex ein. Fox et al. [6] berichten von einer geringeren Aktivierung des linken superior temporalen Kortex während des Stotterns und schließen daraus auf eine vermindertes Selbstmonitoring währenddessen. Im linken auditorischen Kortex wird über die Messung der Mismatch Negativity eine veränderte Repräsentation von Phonemen beobachtet [3]. Nach van Riper [12] soll die auditive Rückmeldung im Zuge der kindlichen Entwicklung an Bedeutung verlieren, sobald keine Meldungen über falsch gesprochene Wörter mehr auftreten. Im Verlauf der Sprachentwicklung wird diese Kontrollfunktion vom taktil-kinästhetischen System und der Tiefensensibilität des Sprechapparates übernommen. Bei Stotterern soll die Dominanz des akustischen Kontrollsystems bestehen bleiben.

Unbestritten ist, dass der auditorische Kortex eine wesentliche Rolle in der Kontrolle der gesprochenen Sprache einnimmt. Bei Stotterern konnte gezeigt werden, dass sowohl zeitliche Kontrollschleifen in Bereichen der Sprache als auch die Morphologie des auditorischen Kortex verändert sind. Diese Kontrollschleifen basieren auf exzitatorischen und inhibitorischen Mechanismen. Es stellt sich daher die Frage, ob auch die zeitliche Verarbeitung und die Habitiuation im auditorischen Kortex verändert sind. Dies sollte gerade bei komplexen Stimuli evident werden. Um eine Aussage über die zeitliche Verarbeitung im auditorischen Kortex zu erhalten, wurden Einzelstimuli kurz aufeinander folgend in Gruppen wiederholt und die Latenzen und die Habituation der Hirnantworten betrachtet. Um die zeitliche Dynamik der Hirnantworten auflösen zu können, wurde die Aktivität des auditorischen Kortex über die Magnetenzephalographie aufgezeichnet.

Material und Methoden

Insgesamt nahmen 10 Stotternde und 10 Kontrollprobanden an der Studie teil. Alle Probanden waren Männer in einer Altersspanne bei den Stotterern von 20 bis 65 Jahren und bei den Kontrollen von 23 bis 67 Jahren. Die Voraussetzungen zur Teilnahme waren idiopathisches Stottern, Rechtshändigkeit, normales Gehör, Muttersprache deutsch, keine andere Sprachstörung, insbesondere kein Poltern, keine neurologische Erkrankung und kein Medikamentenkonsum. Die Patienten und die Kontrollprobanden wurden über die Art der Studie aufgeklärt und gaben ihr Einverständnis zur Teilnahme. Die Durchführung erfolgte unter der Zustimmung der Ethikkommission der Universität Münster.

Die Stimulation erfolgte beidohrig mit einer Folge von vier Tönen bei einer Lautstärke von 60 dB SL. Diese Stimuli waren mit 40 Hz amplitudenmodulierte 500 Hz Töne der Länge 500 ms mit einem Abstand in der Folge von 500 ms. Die Stimulus Onset Asynchrony betrug 7 s. Die Folge wurde insgesamt 1080-mal wiederholt.

Die magnetische Aktivität des Gehirns während dieser Stimulation wurde mit einem Ganzkopfmagnetometer Omega 2000 aufgezeichnet (275 Sensoren, CTF, Kanada). Das gemessene Magnetfeld wurde gemittelt und mit 30 Hz tiefpassgefiltert. Für die Komponente N100 bei etwa 100 ms nach dem ersten Stimulus der Folge wurde mit dem Modell des äquivalenten Stromdipols für beide Hemisphären eine Quelle geschätzt. Die zeitliche Aktivität dieses Dipols wurde dann für die Antworten auf alle vier Stimuli berechnet (Abbildung 1 [Abb. 1]). Dies diente der räumlichen Filterung des gemessenen Signals und erlaubt eine Auswertung von Amplitude und Latenz der N100 Komponenten.

Ergebnisse

Es konnten für alle Stotternden und Kontrollen Dipole im superior temporalen Kortex für die N100 Komponente auf den ersten Stimulus geschätzt werden. Die Latenz der N100 betrug bei Stotternden links 115 ms und rechts 117 ms, bei Kontrollprobanden 107 ms links und 104 ms rechts. Diese Latenzen unterschieden sich rechts zwischen Stotternden und Kontrollen signifikant (Wilcoxon, p<0,01). Links wurde die Signifikanz nicht erreicht (p=0,06). Für die folgenden Töne wurden keine signifikanten Unterschiede gefunden. Bei den Stotternden blieben die Latenzen der N100 ähnlich der ersten N100, bei den Kontrollen gab es eine Verzögerung der N100 (Abbildung 2 [Abb. 2]). Dieser Latenzunterschied war bei den Kontrollprobanden auf der linken Seite signifikant zwischen dem ersten Stimulus und den weiteren Stimuli (Wilcoxon, p=0,023).

Diskussion

Bei der Stimulation mit komplexen Stimuli differiert im auditorischen Kortex die zeitliche Verarbeitung zwischen Stotterern und Kontrollprobanden. In der rechten Hemisphäre konnte ein deutlicher Unterschied auf den ersten Stimulus der Reizfolge zwischen beiden Gruppen gefunden werden. Dieser Unterschied in der zeitlichen Verarbeitung tritt damit in der nicht-sprachdominanten Seite auf. Es ist daher möglich, dass die zeitlichen Unterschiede eine Folge der Kompensation bei Stotterern sind und eine Anpassung an nachfolgende gestörte Strukturen vorliegt. Dies könnten Kontrollschleifen sein wie sie von Salmelin et al. [10] oder Giraud et al. [7] beschrieben werden. Diese Störung in der zeitlichen Verarbeitung findet sich auch in der fehlenden Habituation auf die nachfolgenden Stimuli. Bei den Stotternden tritt die Antwort auf den ersten Ton in einem Zeitfenster auf, wie es bei den Kontrollprobanden erst durch die Habituation auf die Reize erreicht wird. Dies deutet auf eine gestörte Inhibition im auditorischen Kortex hin.

Die unterschiedliche zeitliche Verarbeitung kann Auswirkungen auf die Rückkopplung des Gesprochenen über den auditorischen Kortex und die dann folgende Verarbeitung haben. Die Rückkopplung wäre verzögert und gäbe ein verzögertes Signal an die folgenden Kontrollschleifen weiter.


Literatur

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Foundas AL, Corey DM, Angeles V, Bollich AM, Crabtree-Hartman E, Heilman KM. Atypical cerebral laterality in adults with persistent developmental stuttering. Neurology. 2003;61:1378-85.
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Fox PT, Ingham RJ, Ingham JC, Hirsch TB, Downs JH, Martin C, Jerabek P, Glass T, Lancaster JL. A PET study of the neural systems of stuttering. Nature. 1996;382(6587):158-61.
7.
Giraud AL, Neumann K, Bachoud-Levi AC, von Gudenberg AW, Euler HA, Lanfermann H, Preibisch C. Severity of dysfluency correlates with basal ganglia activity in persistent developmental stuttering. Brain Lang. 2008;104:190-9.
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9.
Neumann K, Euler HA, von Gudenberg AW, Giraud AL, Lanfermann H, Gall V, Preibisch C. The nature and treatment of stuttering as revealed by fMRI A within- and between-group comparison. J Fluency Disord. 2003;28:381-409; quiz 409-10.
10.
Salmelin R, Schnitzler A, Schmitz E, Freund HJ. Single word reading in developmental stutterers and fluent speakers. Brain. 2000;123:1184-202.
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Sommer M, Koch MA, Paulus W, Weiller C, Buchel C. Disconnection of speech-relevant brain areas in persistent developmental stuttering. Lancet. 2002;360(9330):380-3.
12.
Van Riper C. The nature of stuttering. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall; 1982.