gms | German Medical Science

25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Die Situation hörgeschädigter Kinder in den Regelschulen Tirols (Österreich)

Vortrag

Search Medline for

  • corresponding author presenting/speaker Franz Muigg - Universitätsklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen, Innsbruck, Österreich
  • Florian Juen - Universität Innsbruck, Institut für Psychologie, Innsbruck, Österreich

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppV26

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2008/08dgpp32.shtml

Published: August 27, 2008

© 2008 Muigg et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Nahezu 70% aller hörgeschädigten Kinder in Österreich werden in Regelschulen integriert. Auch in Deutschland ist ein deutlicher Trend zur vermehrten Integration hörgeschädigter Kinder in Regelschulen zu beobachten. Im deutschsprachigen Raum liegen erst wenige Untersuchungen zur schulischen Integration hörgeschädigter Kinder in Regelschulen vor.

In der 2007 durchgeführten Untersuchung an der Universitätsklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen in Innsbruck wurden via Fragebögen bei hörgeschädigten Kindern (N=40) bzw. deren Eltern die Konstrukte „Selbstkonzept“, „schulisches Integrationserleben“, „psychosoziale Auffälligkeiten“ und „Rahmenbedingungen für Entwicklung und Integration im schulischen Klassenverband“ erfasst. Bei den untersuchten Kindern handelt es sich um peripher hörgeschädigte Kinder, welche u.a. technisch versorgt und zwischen 8 und 15 Jahren alt sind. Alle Kinder besuchen eine Regelschule im österreichischen Bundesland Tirol.

Der Fokus der Befragung richtet sich in erster Linie auf die Qualität der Integration hörgeschädigter Kinder in den Regelschulen Tirols und welche Faktoren und Rahmenbedingungen wesentlich dazu beitragen. Es zeigten sich u.a. Zusammenhänge zwischen dem Selbstkonzept und dem Integrationserleben bzw. zwischen dem Selbstkonzept und psychosozialen Auffälligkeiten. Daraus lassen sich in der Zusammenschau mit vorangegangenen Untersuchungen Faktoren und Mechanismen ableiten, welche Impulse für die Arbeit mit hörgeschädigten Kindern (Diagnostik, Therapie, pädagogische Begleitung, Elternarbeit) mit sich bringen.

Für eine erfolgversprechende Beschulung in Regelschulen ist ein bedeutender Faktor die koordinierte Arbeit eines multidisziplinären Teams, beispielsweise eines pädaudiologischen Zentrums und dessen Partner.


Text

Einleitung

Peripher hörgeschädigte Kinder sind bezüglich ihrer Allgemeinentwicklung und besonders im Rahmen der Sprachentwicklung zahlreichen Risiken ausgesetzt, an deren Verringerung Experten aus mehreren Fachdisziplinen sowie auch Eltern und andere Bezugspersonen dieser Kinder täglich arbeiten. Nahezu 70% aller hörgeschädigten Kinder in Österreich werden in Regelschulen integriert. Auch in Deutschland ist ein deutlicher Trend zur vermehrten Integration hörgeschädigter Kinder in Regelschulen zu beobachten. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit hörgeschädigten Kindern bzw. Schülern und deren Entwicklung ist allerdings noch wenig differenziert. Erst in den letzten Jahren ist auch im wissenschaftlichen Bereich und in der praktischen Arbeit ein erhöhtes Interesse an der Thematik zu beobachten.

Studie

An der im Jahr 2007 von der Universitätsklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen in Innsbruck durchgeführten Untersuchung nahmen 40 hörgeschädigte Kinder zwischen 8 und 15 Jahren sowie deren Eltern teil. Die Einschlusskriterien für die Rekrutierung der Schüler waren:

  • Vorliegen einer zumindest geringgradigen peripheren Hörschädigung ab 30 dB mittlerer Hörverlust am besseren Ohr, bis zu einer Resthörigkeit
  • Eine zumindest einseitige technische Versorgung der Hörschädigung mit Hörgerät, Cochlea-Implantat oder BAHA (knochenverankertes Hörsystem)
  • Besuch der Regelschule zwischen der 3. Klasse Volksschule und der 4. Klasse Hauptschule bzw. 4. Klasse Unterstufe (Gymnasium) im Schuljahr 2006/07 im Bundesland Tirol (Österreich)
  • Unterrichtet nach dem Regelschullehrplan mit bzw. ohne sonderpädagogischen Förderbedarf (Stützstunden in der Klasse) oder nach dem Lehrplan für Gehörlose

Methoden

  • das Selbstkonzept hörgeschädigter Regelschulintegrierter Kinder wurde mit der Piers-Harris Selbstkonzept-Skala (sechs Subskalen und dem Gesamtwert) erfasst
  • das subjektive schulische Integrationserleben hörgeschädigter Regelschulintegrierter Kinder wurde mit dem Fragebogen zur Erfassung von Dimensionen der Integration von Schülern (FDI 4-6) (soziale Integration, emotionale Integration und leistungsmotivationale Integration) abgebildet
  • die Einschätzung der Eltern zur schulischen Integration ihres hörgeschädigten Regelschulintegrierten Kindes wurde mit dem Elternfragebogen zu Dimensionen der Integration von Schülern (drei Dimensionen, vergleichbar mit dem FDI 4-6) erhoben
  • die psychosozialen Auffälligkeiten der hörgeschädigten Regelschulintegrierter Kinder wurden mit der deutschen Elternversion des Strength and Difficulties Questionaire (SDQ-D) erfasst
  • spezifische Fragen zu Schule, Familie, Therapie und Technik aus dem Elternfragebogen und aus den medizinischen Behandlungsakten der Kinder wurden zusätzlich erhoben

Ergebnisse

Insgesamt kann man von einem positiven Selbstkonzept für die untersuchte Gruppe sprechen, wobei es bei differenzierterer Betrachtung vor allem im Bereich der Fähigkeit der Beziehungsgestaltung zu den Klassenkameraden und der allgemeinen sozialen Kompetenz natürlich Einschränkungen gibt. Bezüglich des Integrationserlebens kann für die Stichprobe (wie bei vergleichbaren deutschen Stichproben von Schmitt [5] und Vetter [6]) von einer tendenziell positiven schulischen Integration bezüglich der drei Dimensionen von Haeberlin et al. [1] gesprochen werden. Jedoch ist die Streubreite (ähnlich wie bei den deutschen Studien) sehr groß. Die Prävalenzrate für psychosoziale Auffälligkeiten und Verhaltensauffälligkeiten ist für die Kinder der vorliegenden Untersuchung im Vergleich mit den Ergebnissen der Normierungsstichprobe von Woerner [7] um das 1,3-fache erhöht (13% der Kinder sind auffällig). Die vergleichbaren Untersuchungen bezüglich hörgeschädigter Kinder von Hintermair [2] und Vetter [6] zeigten eine Prävalenzrate von 25% bzw. 26%. Bei den Interferenzstatistischen Überprüfungen ergaben sich u.a. positive Zusammenhänge zwischen dem Selbstkonzept und dem Integrationserleben bzw. ein negativer Zusammenhang zwischen dem Selbstkonzept und psychosozialen Auffälligkeiten. Weiters zeigte sich eine wesentliche Übereinstimmung zwischen der Elterneinschätzung zur schulischen Integration ihres Kindes und der Einschätzung der Kinder selbst.

Diskussion

Gerade die, für hörgeschädigte Kinder sehr nahe liegenden und zum Teil auch wissenschaftlich bestätigten Risikobereiche Peerkontakte und soziale Kompetenzen aus denen die Gefahr der Isolation in der Gruppe entsteht, sowie das Körperbild im Zusammenhang mit der Hörschädigung bzw. mit der prothetischen Versorgung, sowie die emotionale Befindlichkeit mit einem vermehrten Risiko für erhöhte Angst, Traurigkeit und Besorgnis, sind für einen Teil der untersuchten Kinder zweifellos gegeben. Als wesentlicher protektiver Faktor zeigt sich auf der anderen Seite die sprachliche bzw. kommunikative Kompetenz. Daraus lassen sich in der Zusammenschau mit vorangegangenen Untersuchungen Faktoren und Mechanismen ableiten, welche Impulse für die Arbeit mit hörgeschädigten Kindern (Diagnostik, Therapie, pädagogische Begleitung, Elternarbeit) mit sich bringen. Für eine Erfolgsversprechende Beschulung in Regelschulen ist ein bedeutender Faktor die koordinierte Arbeit eines multidisziplinären Teams, beispielsweise eines pädaudiologischen Zentrums und dessen Partner.


Literatur

1.
Haeberlin U, Moser U, Bless G, Klaghofer R. Integration in die Schulklasse. Fragebogen zur Erfassung von Dimensionen der Integration von Schülern. FDI 4-6. Bern: Haupt Verlag; 1989.
2.
Hintermair M. Sozial-emotionale Probleme hörgeschädigter Kinder - erste Ergebnisse mit der deutschen Version des Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ-D). Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie. 2006;34(1):49-61.
3.
Holzinger D et al. Chancen Hörgeschädigter auf eine erfolgreiche schulische Entwicklung. Linz: Institut für Sinnes- und Sprachneurologie. Gesundheitszentrum für Gehörlose. Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz; 2004.
4.
Piers EV. Piers Harris Children´s Self-Concept Scale. Revised Manual 1984 (6. Auflage). Los Angeles: Wester Psychological Services; 1990.
5.
Schmitt J. Hörgeschädigte Kinder und Jugendliche in allgemeinen Schulen: Untersuchung von schulischer Einzelintegration in Bayern unter besonderer Berücksichtigung des Überganges in die Sekundarstufe. Aachen: Verlag Shaker; 2003.
6.
Vetter A. Psychosoziale Aspekte und sprachliche Kompetenz bei hörgeschädigten Kindern - ein Vergleich verschiedener Schulformen. Diplomarbeit. Freiburg i. Brsg. : Albert-Ludwigs-Universität, Institut für Psychologie, Abteilung für Rehabilitationspsychologie; 2006.
7.
Woerner W, Becker A, Friedrich C, Klasen H, Goodman R, Rothenberger A. Normierung und Evaluation der deutschen Elternversion des Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ): Ergebnisse einer repräsentativen Felderhebung. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie.2002;30:105-12.