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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Einführung eines universellen Neugeborenenhörscreenings in Westfalen-Lippe

Poster

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppP01

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Published: August 27, 2008

© 2008 Matulat et al.
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Zusammenfassung

Das universelle Neugeborenenhörscreening ist ein im Jahr 2007 begonnenes und durch private Sponsorengelder finanziertes Verbundprojekt aller 21 als Follow-Up-Stellen tätigen Phoniater und Pädaudiologen in Westfalen-Lippe mit der Trackingzentrale an der Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie am UK Münster.

Am 30.4.2008 nahmen 24 Kliniken mit einer Jahresgeburtenzahl von ca. 23.000 an den zwei Teilprojekten, dem AABR-Projekt (11 Kliniken, primäres AABR-Screening) und dem Trackingprojekt (13 Kliniken, unabhängig von der Screeningmethode) teil. In 40 Schulungen wurden 157 Personen für das Screening zertifiziert.

Die Screeningdaten der ersten 6 Monate zeigen einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess in Bezug auf die Ergebnisqualität. Die durchschnittliche Passrate beträgt in den ersten 4 Monaten des Jahres 2008 95,6% und die Referrate 3,5%. Die Ergebnisqualität differiert zwischen den Kliniken sehr und ist unabhängig von der eingesetzten Screeningmethode. Sie reicht von sehr guten Ergebnissen mit einer 100%igen Erfassungsrate, einer Passrate von 98,82% und einer Referrate von 0,97% bei einer Testverweigerungsrate von 0,19% mit alleinigem AABR-Screening (n=512) bis zu stark verbesserungsbedürftigen Ergebnissen mit einer Passrate von 65,38% und einer Referrate von 21,90% sowie 12,72% fehlenden Messungen bei unbekannter Erfassungsrate in einem primären TEOAE-Screening (N=283). Ein kontinuierliches Qualitätsmanagement ist von ausschlaggebender Bedeutung.


Text

In Westfalen-Lippe erblicken pro Jahr ca. 75.000 Kinder in 96 Geburtskliniken das Licht der Welt. Damit ist Westfalen-Lippe eine der geburtenstärksten Regionen in Deutschland.

Das universelle Neugeborenenhörscreening ist ein im Jahr 2007 begonnenes und durch private Sponsorengelder finanziertes Verbundprojekt aller 21 als Follow-Up-Stellen tätigen Phoniater und Pädaudiologen in Westfalen-Lippe mit der Trackingzentrale an der Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie am Universitätsklinikum Münster.

Erklärtes Ziel aller Beteiligten ist die Schaffung von Strukturen, die ein universelles, qualitätsgesichertes und flächendeckendes Hörscreening bei Neugeborenen (UNHS) in Westfalen-Lippe dauerhaft ermöglichen.

Notwendigkeit

Die Notwendigkeit der Einführung des UNHS in Westfalen-Lippe ergibt sich aus der Tatsache,

1.
dass angeborene Hörstörungen bei Neugeborenen die häufigste permanente Erkrankung bei Säuglingen darstellen,
2.
und die Folgen einer späten Diagnose und Therapie Störungen der Hör- und Sprachentwicklung, der sozialen, emotionalen und geistigen Entwicklung sowie Beeinträchtigungen im Bereich der schulischen und beruflichen Integration hervorrufen,

obwohl mit automatisierten objektiven Hörprüfverfahren [Messung otoakustischer Emissionen (OAE) und der Messung früher akustisch evozierter Potentiale (AABR)] Systeme zur Verfügung stehen, die mit hoher Sensitivität und Spezifität angeborene Hörstörungen ab der Geburt kostengünstig erfassen können.

Projekte

In 2007 initiierte die Klink und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie deshalb im Rahmen der Einführung eines UNHS für Westfalen-Lippe zwei Teilprojekte, das AABR-Projekt und das Trackingprojekt.

AABR-Projekt

Im AABR-Projekt soll der Nachweis erbracht werden, dass das in der Literatur als „Goldstandard“ geltende Screeningverfahren auf der Basis von automatisierten akustisch evozierten Potentialen als primäre Screeningmethode im Flächeneinsatz geeignet ist. Hierzu wurden Kliniken mit geeigneten Screeninggeräten ausgestattet, ihre Mitarbeiter geschult und die Messungen in eine automatisierte Datenerfassung einbezogen.

Trackingprojekt

Ohne zentrales Nachverfolgen der im Hörscreening auffälligen Kinder (Tracking) werden je nach Studie nur ca. 55 bis 65% der kontrollbedürftigen Befunde tatsächlich einer Nachuntersuchung zugeführt [1], [2], [3]. Im Rahmen des Trackingprojektes bieten wir allen Kliniken in Westfalen-Lippe unabhängig von der Screeningmethode an, ihre Daten zum zentralen Tracking an unsere Trackingzentrale zu übermitteln und das Follow up zu organisieren, um eine Frühdiagnostik und Frühversorgung der schwerhörigen Kinder flächendeckend sicherzustellen.

Bisher Erreichtes

Eine Zentrale für die Nachverfolgung testauffälliger Kinder gemäß den Vorgaben des Datenschutzkonzeptes wurde auf der Grundlage der Software der Firmen NENASERV und Path medical eingerichtet.

Für die Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den teilnehmenden Kliniken sowie das Tracking der kontrollbedürftigen Kinder wurde je eine halbe Stelle für eine Hörgeräteakustikermeisterin und ein Techniker eingerichtet.

Alle 21 in Westfalen-Lippe tätigen Phoniater und Pädaudiologen in 14 Praxen und Kliniken konnten als Nachuntersucher (FU2) für die Projekte gewonnen werden. Die Nachuntersuchungsstellen wurden technisch (per VPN) an die Screeningzentrale angebunden.

Am 30.4.2008 nahmen 24 Kliniken mit einer Jahresgeburtenzahl von ca. 23.000 teil. 11 von diesen führen ein primäres AABR-Screening durch, 13 Kliniken nahmen unabhängig von der Screeningmethode am Trackingprojekt teil. Acht Kliniken des AABR-Projektes wurden mit Screeninggeräten der Firma NATUS (Echoscreen TA plus Modem) ausgestattet. In mehr als 40 Schulungen wurden über 200 Personen für das Screening zertifiziert.

Ein Schulungskonzept mit theoretischen und praktischen Schulungsinhalten für die in den Kliniken tätigen Untersucher wurde erstellt.

Das Informationsmaterial für die Eltern und die Einverständniserklärungen zum Hörscreening sowie die Informationen bei einem kontrollbedürftigen Screeningergebnis wurden gemäß der Vorgaben der örtlichen Ethikkommission in 10 Sprachen übersetzt.

Qualität der Screeningdaten

Die Screeningdaten der ersten 6 Monate zeigen einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess in Bezug auf die Ergebnisqualität. Die durchschnittliche Passrate beträgt in den ersten 4 Monaten des Jahres 2008 95,6% und die Referrate 3,5%.

Die Ergebnisqualität differiert zwischen den Kliniken sehr und erscheint unabhängig von der eingesetzten Screeningmethode. Dies verdeutlicht die Gegenüberstellung der qualitativ besten Klinik mit derjenigen mit dem höchsten Verbesserungspotential in Tabelle 1 [Tab. 1].

Sie reicht bei gleichem Schulungsaufwand von sehr guten Ergebnissen mit einer 100%igen Erfassungsrate, einer Passrate von 98,82% und einer Referrate von 0,97% bei einer Testverweigerung von 0,19% mit alleinigem AABR-Screening (n=512) bis zu stark verbesserungsbedürftigen Ergebnissen mit einer Passrate von 65,38% und Referraten von 21,90% sowie 12,28% fehlenden Messungen bei unbekannten Erfassungs- und Verweigerungsraten in einem primären TEOAE-Screening (N=283).

Ein kontinuierliches Qualitätsmanagement und eine frühe Einbindung aller in einer Klinik am Prozess des Screenings beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist von ausschlaggebender Bedeutung. (Bis zum Zeitpunkt der Einreichung dieser erweiterten Kurzfassung konnten in Gesprächen mit den screenenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Leitungen der beiden am Screening beteiligten Abteilungen der Klinik (HNO- und Frauenheilkunde) Veränderungsprozesse in Gang gesetzt werden (klare Verantwortlichkeiten und Verfahrensabläufe), deren erste Ergebnisse (Einführung eines Kombinationsscreenings, Vollständigkeit der Befunde) zu Optimismus Anlass geben.)

Finanzierung

Die Teilnahme am Neugeborenenhörscreening in Westfalen-Lippe ist für die Eltern kostenlos. Die Finanzierung der Projekte erfolgt durch private Sponsoren und die Ressourcen der Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie.

Bisher konnten private Sponsorenmittel in Höhe von ca. 310.000 € für das AABR-Projekt und das Trackingprojekt eingeworben werden. (Wir bedanken uns bei der Firma auTec GmbH, deren Geschäftsführer Rainer Trunt als Hauptsponsor das Projekt ermöglicht hat.) Damit ist die Existenz der Projekte für mindestens zwei Jahre gesichert.

Datenschutz und -fluss

Laut Schreiben des Datenschutzbeauftragten der Universität Münster vom 26.8.2007 bestehen nach Prüfung des vorgelegten Datenschutzkonzeptes keine datenschutzrechtlichen Bedenken gem. DSG NRW. Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt den Datenfluss zwischen den am Screeningprozess Beteiligten.

Ethikkommission

Für das Neugeborenenhörscreening in Westfalen-Lippe liegt ein positives Votum der Ethikkommission des UKM und der Ärztekammer Westfalen-Lippe vor.

Qualitätssicherung

Ein Qualitätsmanagementsystem für die Screeningzentrale Westfalen-Lippe gemäß DIN EN ISO 9001 wird z.Z. etabliert. Eine Zertifizierung nach DIN EN ISO 9000:2000 wird angestrebt.

Informationen

Das Verbundprojekt unterhält eine eigene Webseite (http://www.hoerscreening-wl.de/ ) zur Information der Eltern bezüglich des Hörscreenings und zum Austausch von Informationen unter den beteiligten Partnern.


Literatur

1.
Neumann K, Gall V, Berger R. Newborn hearing screening in Hessen, Germany. A pilot project. Int Pediatr. 2001;16(2):109-16.
2.
Kehrl W, Geidel K, Wilkens LM, Löhler J. Universelles Neugeborenen-Hörscreening im Marienkrankenhaus Hamburg von September 1999 bis April 2002. Laryngorhinootologie. 2003;82(7):479-85.
3.
Kennedy C, McCann D. Universal neonatal hearing screening moving from evidence to practice. Arch Dis Child. 2004;89:378-83 .