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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Anamnestische Erhebungen im Rahmen des Neugeborenenhörscreenings

Investigating familiar risk factors during neonatal hearing screening

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Ursel Katharina Tharra - Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe, Kreiskrankenhaus Grevenbroich-St. Elisabeth, Grevenbroich, Deutschland
  • author Wofgang Angerstein - Selbständiger Funktionsbereich für Phoniatrie und Pädaudiologie des Univ.-Klinikums, Düsseldorf, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppV12

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2008/08dgpp12.shtml

Published: August 27, 2008

© 2008 Tharra et al.
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Zusammenfassung

Einleitung: Anlässlich des Neugeborenenhörscreenings wurden nicht nur Risikofaktoren für eine Hörstörung, sondern erstmals auch systematisch die Herkunftsländer und Blutsverwandtschaftsgrade der Eltern sowie Hörstörungen in der Verwandtschaft erfragt.

Patienten und Methoden: 667 Kinder wurden mit dem Echo-Screen der Firma Fischer Zoth (Germering) untersucht. Die Eltern wurden zu Risikofaktoren einer kindlichen Hörstörung befragt.

Ergebnisse: 20 Kinder hatten Risikofaktoren für eine Hörstörung nach Definition des „Joint Committee on Infant Hearing“: 18-mal familiäre Hörstörung, jeweils 1-mal craniofaziale Anomalie und Verdacht auf Syndrom. Der Ausländeranteil unter den Eltern lag bei 49%. Von 658 Familien hatten 114 Familien mindestens ein Familienmitglied mit einer Hörstörung. 37 Elternpaare waren blutsverwandt (30 Verwandte 3. Grades, 7 entfernter als 3. Grades). Die Rate testauffälliger Kinder bei Entlassung betrug 1,4%.

Diskussion: In unserer Studie wurden Neugeborene einer geburtshilflichen Entbindungsstation ohne angegliederte Kinderklinik untersucht. Somit waren die Kinder keine Risikoneugeborenen, und nur auf 3% traf einer der 11 Risikoindikatoren für eine Hörstörung des “Joint Committee on Infant Hearing” zu. Der Anteil ausländischer Eltern war mit 49% sehr hoch (Vergleich Düsseldorf 17,2%, BRD 8,9%), was dem Einzugsbereich der o.g. Geburtsklinik entspricht. Die Häufigkeit konsanguiner türkischer Elternpaare lag mit 27,8% im Bereich der Literaturangaben (21%).


Text

Einleitung

Ziel dieser klinischen Studie ist es, durch die Identifizierung ursächlicher Faktoren für angeborene Hörstörungen Risikokollektive neugeborener Säuglinge zu bilden. Insbesondere wurden dabei die Herkunft der Eltern, das Vorliegen einer Blutsverwandtschaft der Eltern, sowie Hörstörungen in der Verwandtschaft betrachtet.

Patienten und Methode

Im Düsseldorfer Marienhospital wurden in 19 Monaten bei 667 Neugeborenen anamnestische Daten durch Befragung der Eltern und Auswertung des Geburtenbuches der Klinik erhoben, außerdem wurde ein Hörscreening mittels transitorisch evozierter otoakustischer Emissionen durchgeführt. Bei einem auffälligen Primär-Screening vor dem vollendeten zweiten Lebenstag wurde noch während des Klinikaufenthaltes ein Re-Screening angeschlossen. Sowohl beim primären als auch beim Re-Screening wurde jeweils das Gerät „Echo-Screen“ (Fischer Zoth GmbH, Germering) verwendet.

Ergebnisse

Insgesamt wiesen 20 von 667 Kindern (3,0%) mindestens einen Risikofaktor für eine Hörstörung nach Definition des „Joint Committee on Infant Hearing“ [1] auf: 18 Kinder hatten mindestens einen Familienangehörigen mit einer angeborenen Hörstörung. Bei jeweils einem Kind lag eine Craniofaziale Anomalie bzw. der Verdacht auf ein Syndrom vor.

658 Elternpaare gaben auf die Frage nach ihrem Herkunftsland 66 verschiedene Länder an. Für eine übersichtlichere Darstellung wurden die Herkunftskontinente verwendet mit Ausnahme der beiden häufigsten Herkunftsländer Deutschland und Türkei, die separat dargestellt wurden (s. Tabelle 1 [Tab. 1]). Von den befragten 658 Elternpaaren stammten 329 Väter und 342 Mütter aus Deutschland. Aus der Türkei kamen 80 Väter und 77 Mütter. Aus dem „restlichen Europa“ (ohne Deutschland und Türkei) 111 Väter und 121 Mütter, aus Afrika 59 Väter und 63 Mütter, aus Asien 57 Väter und 46 Mütter. Mit zwei Vätern und neun Müttern kam der kleinste Teil der Eltern aus Amerika. 20 Mütter wollten bzw. konnten keine Auskunft über das Herkunftsland der Väter machen. Die Herkunftsländer der Mütter waren in allen Fällen bekannt. Die Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt die Herkunft der befragten 658 Elternpaare. In der grau unterlegten Diagonalen der Tabelle befindet sich die Zahl derjenigen Kinder, bei denen beide Eltern aus dem gleiche Herkunftsland/-kontinent stammten.

Nach Angaben von 658 Elternpaaren hatten 114 Familien mindestens ein Familienmitglied mit einer Hörstörung. Insgesamt gaben diese 114 Elternpaare 204 Verwandte mit Hörstörungen an. Diese 204 Verwandten waren 36-mal der Vater, 30-mal die Mutter und 138-mal weitere Familienangehörige. Die Verwandtschaftsgrade der Neugeborenen zu den Familienangehörigen mit einer Hörstörung gliederten sich folgendermaßen auf: 70 Verwandte 2. Grades (vier Geschwister, 66 Großväter und Großmütter), 20 Verwandte 3. Grades (Onkel und Tanten), 48 Verwandte 4. Grades (elf Cousins und Cousinen, 37 Urgroßväter, Urgroßmütter, Großonkel und Großtanten). Bei acht Familien konnte eine familiäre Häufung von Hörstörungen auf einer Seite des Stammbaumes (entweder väterlicher- oder mütterlicherseits) eruiert werden. Das Hörscreening dieser Neugeborenen war unauffällig. Im Hinblick auf eine mögliche Vererbung waren zwei der o.g. acht Familien besonders interessant: Einmal hatten drei Cousinen väterlicherseits eine angeborene beidseitige Taubheit (jeweils mit Cochlearimplantat versorgt), einmal hatten der Urgroßvater und zwei Großtanten väterlicherseits eine angeborene Hörstörung (jeweils beidseits mittelgradige Schwerhörigkeit).

Die Frage, ob zwischen den Kindeseltern Konsanguinität besteht, wurde von 658 Elternpaaren 37-mal mit „ja“ beantwortet. In 30 Familien waren die Eltern der Neugeborenen Cousin und Cousine und somit Verwandte 3. Grades. Sieben Elternpaare waren entfernter als 3. Grades verwandt. Konsanguinität 1. und 2. Grades ließ sich in keinem Fall eruieren. Von den 37 konsanguinen Elternpaaren kamen 20 aus der Türkei, sieben aus Marokko, zwei aus Afghanistan und jeweils ein Elternpaar aus Ägypten, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Deutschland, Irak, Kongo, Libanon und Russland.

Die Rate auffälliger Messungen nach der 1. Stufe des Screenings lag bei 2,2% (19 von 880 Kindern). Mit Hilfe eines innerklinischen Re-Screenings konnte die Rate auffälliger Messungen beim Verlassen der Klinik auf 1,4% (zwölf von 880 Kindern) gesenkt werden. Die Lost-to-Folllow-up-Rate lag bei 0,4% (vier von 880 Kindern). Bei den Nachuntersuchungen wurden keine sprachrelevanten Hörstörungen gefunden.

Diskussion

Vom “Joint Committee on Infant Hearing” wurden im “Position Statement 2007” [1] elf Risikoindikatoren für eine kindliche Hörstörung angegeben. In unserer Studie wurden Neugeborene einer geburtshilflichen Entbindungsstation ohne angegliederte Kinderklinik untersucht. Somit ist verständlich, dass die Kinder keine Risikoneugeborenen waren und nur auf 3% jeweils einer der elf Indikatoren zutraf.

Der Anteil in Düsseldorf lebender Ausländer liegt mit 17,2% [2] über dem Landesdurchschnitt der BRD mit 8,8% [3]. In unserer Studie war der Prozentsatz ausländischer Eltern mit 49% wesentlich höher. Die Zahlen der Studie spiegeln die Einwohnerstruktur des Einzugsbereichs der Klinik sehr gut wieder.

In der eigenen Studie betrug die Häufigkeit konsanguiner Elternpaare insgesamt 5,5% (37 von 658), unter den nicht türkischen Elternpaaren 2,9% (17 von 569), unter den türkischen Elternpaaren 27,8% (20 von 72). Dieser Unterschied war bei Anwendung des exakten Tests nach Fischer signifikant (p=0,0001). Tunçbílek und Koc nennen als Mittelwerte für die Konsanguinität in der Bevölkerung der Türkei 21% [4]. Damit lag der Prozentsatz in unserer Studie etwas höher.

Als Risikofaktor mit größerer Bedeutung für eine kindliche Hörstörung nennt das „Joint Committee on Infant Hearing“ [1] die „Familienanamnese einer permanenten kindlichen Hörstörung“. In unserer Studie wurde von den Eltern der Neugeborenen erfragt, ob mindestens ein Verwandter eine Hörstörung hat. War dies der Fall, wurden der Grad der Verwandtschaft und die Ausprägung der Hörstörung dokumentiert. Derartig genaue Angaben fehlen im „Position Statement“ des „Joint Committee on Infant Hearing“ [1], zumal dort auch nicht genau definiert wurde, was unter der „Familienanamnese einer permanenten kindlichen Hörstörung“ zu verstehen ist. Die Bedeutung des genetischen Faktors wird durch Zahlen aus der Literatur unterstrichen, nach denen mindestens 50% der angeborenen Hörstörungen genetisch bedingt sind [5], [6].


Literatur

1.
Joint Committee on Infant Hearing. Year 2007 Position Statement: Principles and Guidelines for Early Hearing Detection and Intervention Programs. Pediatrics. 2007;120:898-921.
2.
Amt für Statistik und Wahlen Landeshauptstadtt Düsseldorf. Düsseldorfer Statistik Information 1/2008. http://www.duesseldorf.de/statistik/duesseldorfer_statistik_1_2008_bev.pdf (Zugriff am 13.05.2008) External link
3.
Statistische Ämter des Bundes und der Länder. Gebiet und Bevölkerung - Ausländische Bevölkerung. http://www.statistik-portal.de/Statistik-Portal/de_jb01_jahrtab2.asp (Zugriff am 23.06.2008). External link
4.
Tunçbílek E, Koc I. Consanguineous marriage in Turkey and it´s impact on fertility. Annals of Human Genetics. 1994;58:321-9.
5.
Marazita ML, Ploughman LM, Rawlings B, Remington E, Arnos KS, Nance WE. Genetic epidemiological studies of early onset deafness in the U.S. school-age population. Am J Med Genet. 1993;46:486-91.
6.
Van Laer L, Van Camp G. Genes in the ear: what have we learned over the last years? Scand Audiol Suppl. 2001;53:44-53.