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100 Jahre Phoniatrie in Deutschland
22. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie
24. Kongress der Union Europäischer Phoniater

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

16. bis 18.09.2005, Berlin

Cisplatin-induzierte Hörstörungen bei Kindern – linke Ohren sind stärker betroffen

Cisplatin-induced hearing loss in children - left ears are more affected

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Agatha Katharina Lagosch - Universitätsklinikum Münster, Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
  • author Claus-Michael Schmidt - Universitätsklinikum Münster, Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
  • author Arne Knief - Universitätsklinikum Münster, Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
  • author Dirk Deuster - Universitätsklinikum Münster, Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
  • author Achim Heinecke - Universitätsklinikum Münster, Koordinierungszentrum für klinische Studien, Münster, Deutschland
  • author Antoinette G. Dinnesen - Universitätsklinikum Münster, Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland

100 Jahre Phoniatrie in Deutschland. 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, 24. Kongress der Union der Europäischen Phoniater. Berlin, 16.-18.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05dgppP08

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2005/05dgpp026.shtml

Published: September 15, 2005

© 2005 Lagosch et al.
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Zusammenfassung

Für die Cisplatin-Ototoxizität gilt neben Tinnitus und vestibulärer Symptomatik vor allem der symmetrische Hochton-Hörverlust als charakteristisch. Die Haarzellschädigung durch Cisplatin wird als Hauptursache für den Hörverlust angesehen. Eigene pädaudiologische Beobachtungen in der Nachsorgesprechstunde zeigten jedoch nicht immer den postulierten symmetrischen Hörverlust. Tonschwellenaudiogramme von 67 Kindern, die von 1999 bis 2004 im Universitätsklinikum Münster mit Cisplatin therapiert wurden oder sich in der Nachsorge befanden, konnten ausgewertet werden. Wir verglichen die Hörschwellen vor Therapie, das erste auffällige Audiogramm sowie die Abschlussaudiogramme der Patienten bei 1000, 2000, 4000, 6000 und 8000 Hz. In der Gesamtgruppe waren die mittleren Hörschwellen nach Therapie von 2000 bis 8000 Herz links höher als rechts (im Median ab 4000 Hz). Der intraindividuelle Vergleich bei den 52 Patienten, die im Verlauf eine Hörstörung erlitten (28m, 24w), zeigte bei 4000 und 6000 Hz links eine signifikant schlechtere Hörschwelle als rechts (Wilcoxon-Rangtest für paarige Stichproben). Dieser Effekt fiel bei den Jungen sehr deutlich aus, während er bei den Mädchen nicht signifikant nachweisbar war. Das Resultat unterstreicht die Notwendigkeit, die Pathophysiologie der Cisplatin-Ototoxizität weiter zu untersuchen und auch supracochleäre Schädigungsmechanismen mit einzubeziehen.


Text

Einleitung

Die Ototoxizität infolge einer cisplatinhaltigen Chemotherapie kann sich als Hörverlust, Schwindel und Tinnitus manifestieren. Die zunächst den Hochtonbereich betreffende Hörschädigung kann unerkannt und unversorgt Auswirkungen auf die Sprachentwicklung und somit auf die intellektuelle und soziale Entwicklung behandelter Kinder haben. Als Mechanismus gilt in erster Linie eine toxische Schädigung zunächst der basocochleären äußeren Haarzellen, jedoch können auch die inneren Haarzellen und die Stria vascularis betroffen sein, auch neuropathische Schädigungsmechanismen werden diskutiert [1]. Der Hörverlust nach Cisplatingabe wird typischerweise als bilateral und symmetrisch charakterisiert [2], [3]. Eigene Beobachtungen bei den Verlaufs- und Nachsorgeuntersuchungen der mit Cisplatin behandelten Kinder zeigten jedoch nicht immer den postulierten symmetrischen Hochtonhörverlust, sondern lassen eine linksseitig stärkere Ausprägung vermuten. Die retrospektive Betrachtung der eigenen audiologischen Daten soll klären, ob der Hörverlust eine Seitendifferenz zeigt und ob das linke Ohr vulnerabler für eine Cisplatinschädigung ist.

Methoden

Audiogramme von 67 Kindern (35 Jungen, 32 Mädchen) im Alter zwischen 0,67 und 19,67 Jahren (mittleres Alter 9,4 Jahre, SD 4,9 Jahre), die zwischen 1999 bis 2004 im Universitätsklinikum Münster mit Cisplatin therapiert wurden oder sich in der Nachsorge befanden, wurden ausgewertet. Schallleitungsstörungen sowie Bestrahlung oder Tumorlokalisation im audiologisch relevanten Bereich waren ausgeschlossen. Eingangsvoraussetzungen waren eine periphere Normakusis im Tonschwellenaudiogramm zu Therapiebeginn bzw. altersgerechte Hörreaktionen in der Freifeldaudiometrie und beidseits nachweisbare TEOAE, sowie das Vorliegen eines Tonschwellenaudiogramms zum Therapieabschluss. Die Hörschwellen wurden bei 1000, 2000, 4000, 6000 und 8000 Hz ausgewertet. Zur Ermittlung des Schweregrades verwendeten wir die „Münsteraner Klassifikation", die besonders den Hörverlust im Hochtonbereich berücksichtigt. Abschlussaudiogramme, die einen Hörverlust größer 20 dB in mindestens einer Frequenz auf mindestens einem Ohr aufwiesen (≤ Grad 2a der Münsteraner Klassifikation), wurden weiter analysiert: Bei diesen 52 Kindern (m=28, w=24) verglichen wir die Hörschwellen nach Therapie rechts und links im Mittelwert und Median sowie im Hinblick auf eine signifikante Seitendifferenz. Die Hypothese: „Linksseitig entwickelt sich ein größerer Hörverlust als rechtsseitig" wurde mit dem „Wilcoxon Rangtest für paarige Stichproben" bei 4000 und 6000 Hz überprüft.

Ergebnisse

Von 67 Kindern zeigten 52 Kinder (28 Jungen, 24 Mädchen) bei Abschluss der Therapie einen relevanten Hörverlust (mindestens Grad 2a). Neun Kinder zeigten keinen Hörverlust (4 Jungen und 5 Mädchen). Weitere 6 zeigten einen Hörverlust bis 20 dB bei mindestens einer Frequenz oder Tinnitus (3 Jungen, 3 Mädchen). Innerhalb der Gruppe der Kinder mit relevantem Hörverlust ergaben sich die in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellten mittleren Hörschwellen.

In der Gruppe der 52 Patienten sowie bei Jungen und Mädchen zeigte sich ab 4000 Hz ein im Mittel links stärker ausgeprägter Hörverlust. Bei 4000 Hz (p=0,0071) und 6000 Hz (p=0,0227) war die Hörschwelle links signifikant schlechter als rechts (Wilcoxon-Test für paarige Stichproben), bei 8000 Hz zeigte sich keine signifikante Seitendifferenz. Auch im intraindividuellen Vergleich war bei mehr als der Hälfte der Patienten mit Hörstörung (n=52) bei 4000 und 6000 Hz das linke Ohr schlechter als das rechte, deutlich seltener waren das rechte Ohr stärker betroffen bzw. die Hörschwelle gleich (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass der Hörverlust nicht immer den postulierten symmetrischen Verlauf hat, vielmehr ist das linke Ohr stärker betroffen. Diese Tendenz ist über alle Frequenzen erkennbar, bei 4000 und 6000 Hz ist die Differenz signifikant. Das Ausbleiben dieses Effektes bei 8000 Hz könnte auch als bereits erreichtes Maximum der Ototoxizität im Hochtonbereich interpretiert werden. Das Resultat unterstreicht die Notwendigkeit, die Pathophysiologie der Cisplatin-Ototoxizität weiter zu untersuchen. Hierbei sind auch supracochleäre Schädigungsmechanismen einzubeziehen.


Literatur

1.
Hansen SW, Helweg-Larsen S, Trojaborg W. Long-term neurotoxicity in patients treated with cisplatin, vinblastine, and bleomycin for metastatic germ cell cancer. J Clin Oncol. 1989, 7(10):1457-1461
2.
Komune S, Asakuma S, Snow JB Jr. Pathopysiology of the ototoxity of cisdiamminedichloroplatinum. Otolaryngol Head Neck Surg. 1981, 2: 275-282
3.
Berg AL, Spitzner JB, Garvin JH Jr. Ototoxic Impact of cisplatin in pediatric oncology patients. Laryngoscope 1999, 11: 1806-1814