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21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

10. bis 12.09.2004, Freiburg/Breisgau

Komplikationen von Stimmventilprothesen

Vortrag

  • author presenting/speaker Peter Kummer - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland
  • author Maria Schuster - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland
  • author Ulrich Eysholdt - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland
  • author Frank Rosanowski - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Freiburg/Breisgau, 10.-12.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04dgppV43

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Published: September 9, 2004

© 2004 Kummer et al.
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Zusammenfassung

In den letzten Jahren haben sich Ventilprothesen zum Mittel der Wahl bei der Stimmrehabilitation Laryngektomierter entwickelt. Ihr größter Vorteil ist die Ähnlichkeit der Prothesenstimme mit der ursprünglichen Stimme des Betroffenen. Die Prothesen sind komplikationsarm, aber nicht frei davon. Darüber wird hier berichtet. Basis der retrospektiven Erhebung sind die EDV-gestützt dokumentierten Krankengeschichten von 175 im Zeitraum von 1990 bis 2002 in der berichtenden Abteilung mit Stimmventilprothesen vom Typ Provox® versorgten Patienten. Insgesamt werden 477 Patientenjahre überblickt. 18 Patienten konnten ihre Prothese nicht zur Stimmbildung nutzen. Chirurgisch zu behandelnde Shuntkomplikationen traten in 6 Fällen auf, unabhängig davon bei 4 Patienten gravierende Aspirationspneumonien, in 1 Fall mit letalem Ausgang. Zusätzlich traten eine Vielzahl unterschiedlicher kleinerer Komplikationen auf, die in gewissen Grenzen dem Prothesentyp 1 oder 2, dem Zeitpunkt der Einlage sowie der Gesamtliegedauer zugeordnet werden können: Ein signifikanter Unterschied der Liegedauer beider Typen konnte nicht gesehen werden. Zum einen liegen nunmehr für die präoperative Aufklärung der Patienten „harte“ Daten über Behandlungsergebnisse vor, zum anderen zu möglichen Komplikationen. Teilaspekte beeinflussen grundsätzlich die Therapiestrategie, so z.B. die Frage nach Sekundäreinlagen. Stimmventilprothesen sind auch im Umfeld einer spezialisierten Einrichtung nicht komplikationsfrei.


Text

Einleitung

Neben den klassischen onkologischen Aspekten finden als Erfolgskriterien bei der kompletten Laryngektomie der Erhalt bzw. die Wiederherstellung von körperlichen, geistig-seelischen und sozialen Funktionen eine gleichwertige Berücksichtigung. Die Wiederherstellung der Stimmfunktion hat dabei eine herausragende Bedeutung [6]. Für ihre Rehabilitation hat sich in den letzten 15 Jahren die Versorgung mit Stimmventilprothesen als „state of the art" etabliert [1], [3], [2].

Diese Versorgung ist jedoch nicht komplikationsfrei. „Geringfügige" Komplikationen sind weitaus am häufigsten und können meist durch den Austausch der Prothese beherrscht werden. Dies sind z.B. eine Pilzbesiedelung und eine Aspiration durch die Prothese sowie die Ausbidlung von periprothesealem Granulationsgewebe. „Gravierende" Komplikationen erfordern oft eine stationäre Behandlung, wie z.B. eine Dislokation, ein „Einwachsen" der Prothese oder Shunterweiterungen (z.B. [4], [5]).

Ziel dieser Untersuchung war, nach Faktoren zu suchen, die den Erfolg der Behandlung im Sinne einer effektiven, aber aufwands- und komplikationsarmen Methode beeinflussen. Untersucht wurde die Frage, ob der Zeitpunkt der Einlage der Prothese, d.h. eine Einlage nach vorausgehender Bestrahlung, den funktionellen Erfolg, die Komplikationen und den damit verbundenen Aufwand der Behandlung beeinflusst.

Patienten und Methoden

Basis der retrospektiven Erhebung waren die mittels EDV dokumentierten Krankengeschichten (InterMediNet®) von 176 Patienten, die im Zeitraum von 1990 bis 2002 in der berichtenden Abteilung wegen einer Laryngektomie mit Stimmventilprothesen vom Typ Provox® und Provox2® versorgt wurden. Das Durchschnittsalter der 167 Männer lag bei 61±10 Jahren, das der 9 Frauen bei 55 ±14 Jahren. Der Median der Nachbeobachtungsdauer lag bei 18 Monaten, insgesamt werden 478 Patientenjahre überblickt.

Bei 145 der 176 Patienten (82%) war der Zeitpunkt der Protheseneinlage exakt dokumentiert. Bei 117 davon (82%) erfolgte die Einlage der Prothese primär im Rahmen der Laryngektomie, bei 36 Patienten (25%) wurde die Prothese sekundär eingelegt. Bei 17 der 145 Patienten (12%) wurde die Prothese erstmals nach einer vorausgegangenen cervikalen Bestrahlung eingelegt, in 14 Fällen als Sekundäreinlage, in drei Fällen als Primäreinlage.

Um den Einfluss einer Bestrahlung zu untersuchen, die der Protheseneinlage vorausgeht, wurden Risiken für das Fehlschlagen der prothetischen Stimmrehabilitation und für das Auftreten von Komplikationen verglichen und mittels Chi-Quadrat Test auf ihre statistische Signifikanz geprüft.

Ergebnisse

Erfolg und Misserfolg der prothetischen Stimmrehabilitation

Nach Einschätzung der Patienten und der behandelnden Ärzte war die Versorgung bei 157 der 176 Patienten (89%) funktionell erfolgreich, d.h. die Prothese wurde „überwiegend bis ständig" zur Ersatzstimmbildung verwendet. Insgesamt 19 Patienten (11%) konnten ihre Prothese nicht zur Stimmproduktion nutzen. Bei 13 Patienten (7%) musste die primär erfolgreiche prothetische Stimmrehabilitation sekundär auf Grund von Komplikationen abgebrochen und der Shunt verschlossen werden.

Komplikationen der prothetischen Stimmrehabilitation

Gravierende Komplikationen der Versorgung mit Stimmventilprothesen waren im beschriebenen Krankengut selten. Aspirationspneumonien traten bei vier Männern im Alter von 62 bis 81 Jahren und einer 47-jährigen Frau auf. Sie wurden in zwei Fällen ambulant und in drei Fällen während einer stationären Behandlung erworben, während ein spontaner Shuntverschluss abgewartet wurde. Gravierende Shunterweiterungen im Sinne einer Shuntnekrose wurden in zwei Fällen beobachtet.

Bei einem 75-jährigen Patienten war eine Shunterweiterung aufgetreten, nachdem die Prothese wegen Granulationen entfernt werden musste und sekundär eine Neueinlage in den konsolidierten Shunt erfolgte. Während der gegen ärztlichen Rat intermittierend ambulant weitergeführten Behandlung trat eine Pneumonie auf und auf dem Boden eines vorbestehenden Pleuraergusses ein Pleuraempyem, in dessen Folge der Patient verstarb.

Vergleichsweise „kleinere" Komplikationen wurden bei einem Großteil der Patienten beobachtet, am häufigsten Aspiration neben der Prothese (54%), Granulationsgewebsbildung (45%) oder Shunterweiterungen (23%); nicht mitgezählt wurde eine nur in Einzelfällen mykologisch bewiesene Candidabesiedelung und die dadurch bedingte Aspiration durch die Prothese.

Komplikationshäufigkeit nach vorausgehender cervikaler Bestrahlung

In Folge einer cervikalen Bestrahlung, die bei 17 der 145 Patienten (12%) der tracheoösophagealen Protheseneinlage vorausgegangen war, kam es deutlich häufiger zu shuntassoziierten Komplikationen als bei den anderen 128 Patienten.

Das relative Risiko einer Shunterweiterung (47 vs. 20%, p=0,014) bzw. Aspiration neben der Prothese (77 vs. 55%, p=0,046) lag nach vorausgehender Bestrahlung bei 2,32 bzw. 1,51. Das relative Risiko einer ösophagealen (29 vs. 12%, p=0,013) oder trachealen Dislokation (41 vs. 13%, p=0,0023) der Prothese war ebenfalls deutlich erhöht und lag bei 2,51 bzw. 3,29. In beiden Fällen war in der Regel eine stationäre Behandlung erforderlich. Das Risiko seltenerer Komplikationen wie Pneumonie (6 vs. 3%, p=0,56) oder einer gravierenden Shunterweiterung (6 vs. 1%, p=0,09) war nicht signifikant erhöht. Die Zahl stationärer Aufenthalte war 35% größer (0,59 vs. 0,44 / Jahr, p=0,039), die stationäre Aufenthaltsdauer 95% länger (3,7 vs. 1,9 Tage / Jahr, p=0,011). Ebenso wurden bei den Patienten, bei denen die Protheseneinlage nach einer cervikalen Bestrahlung erfolgte, aufgrund von Stimmlosigkeit oder von Komplikationen deutlich mehr Shuntverschlüsse vorgenommen - sei es spontan (29 vs. 12%, p=0,047) oder operativ (18 vs. 5%, p=0,037). Das relative Risiko lag bei 2,51 bzw. 3,76.

Rehabilitationserfolg nach vorausgehender cervikaler Bestrahlung

Von 17 Patienten, die so behandelt wurden, konnten fünf (31%) ihre Prothese primär nicht nutzen. Gegenüber einer Versagensquote von 10% bei den anderen Patienten war das aus der Vorbestrahlung resultierende relative Risiko eines Therapieversagens 2,9 (p=0,023).

Diskussion

In der Literatur wird vermutet, dass die tracheoösophageale Punktion bestrahlten Gewebes als traumatisch und daher potentiell komplikationsträchtig angesehen werden muss [1]. Aus größeren Untersuchungen ist bislang jedoch nur ein „grenzwertiger" Einfluss einer Radiotherapie auf die Lebensdauer der Prothese bekannt, nicht jedoch auf Erfolg oder Komplikationen der Versorgung [3]. Nach den hier vorgelegten Daten nehmen Misserfolg wie auch Komplikationen der Versorgung nach vorausgegangener cervikaler Bestrahlung deutlich zu. Dies muss bei der Planung der Stimmrehabilitation und Beratung der Patienten berücksichtigt werden. Das onkologische Konzept einer „salvage surgery" ist insofern davon berührt, als die guten Chancen einer prothetischen Stimmrehabiltation nach Laryngektomie in diesen Fällen als eingeschränkt angesehen werden müssen.


Literatur

1.
Blom ED. "Tracheoesophageal voice restoration: origin--evolution--state-of-the-art." Folia Phoniatr Logop. 2000 Jan-Jun;52(1-3):14-23
2.
Brown DH, Hilgers FJ, Irish JC, Balm AJ. World J Surg. 2003 Jul;27(7):824-31. Postlaryngectomy voice rehabilitation: state of the art at the millennium
3.
Hilgers FJ, Balm AJ Long-term results of vocal rehabilitation after total laryngectomy with the low-resistance, indwelling Provox voice prosthesis system. Clin Otolaryngol. 1993 Dec;18(6):517-23
4.
Manni JJ, Van den Broek P. Surgical and prosthesis-related complications using the Groningen button voice prosthesis. Clin Otolaryngol. 1990 Dec;15(6):515-23
5.
Neumann A, Schultz-Coulon HJ. "Management of complications after prosthetic voice rehabilitation." HNO. 2000 Jul;48(7):508-16
6.
Schuster M, Lohscheller J, Kummer P, Hoppe U, Eysholdt U, Rosanowski F. Folia Phoniatr Logop. 2003b Sep-Oct;55(5):211-9. Quality of life in laryngectomees after prosthetic voice restoration