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21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

10. bis 12.09.2004, Freiburg/Breisgau

Lebensqualität und Stimmbeeinträchtigung Laryngektomierter mit tracheoösophagealer Ersatzstimme

Vortrag

  • author presenting/speaker Hikmet Toy - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland
  • Jörg Lohscheller - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland
  • Ulrich Hoppe - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland
  • Ulrich Eysholdt - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland
  • Maria Schuster - Universitätsklinikum Erlangen, Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Erlangen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Freiburg/Breisgau, 10.-12.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04dgppV41

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Published: September 9, 2004

© 2004 Toy et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Subjektive Aspekte des Krankheitserlebens spielen in der Onkologie eine zunehmend größere Rolle. Sie sind mittlerweile gleichberechtigte Parameter bei der Bewertung von Therapien („Outcome“). Die Lebensqualität gilt dabei als Globalmaß, sie ist bei Laryngektomierten eingeschränkt. Die Bedeutung der Ersatzstimme wird dabei unterschiedlich eingeschätzt. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Größen ist Gegenstand dieser Studie.

Probanden und Methode: Untersucht wurden 20 männliche Laryngektomierte im Alter von 62 ± 8 Jahren, die seit mindestens einem Jahr über eine tracheoösophageale Ersatzstimme verfügten. Testverfahren waren der SF-36 Fragebogen und eine deutsche Version des Voice Handicap Index VHI.

Ergebnisse: Ein signifikanter Zusammenhang besteht zwischen dem VHI und einzelnen Skalen des SF-36, nämlich der allgemeinen Gesundheitswahrnehmung und der Vitalität. Ein Zusammenhang zu sozialen oder psychischen Skalen wurde nicht nachgewiesen.

Schlussfolgerung: Die Kombination beider Instrumente erlaubt die Darstellung von Zusammenhängen zwischen allgemeinen und spezifischen Bereichen des Krankheitserlebens von Laryngektomierten sowie den Vergleich zu Patienten mit anderen Erkrankungen. Die subjektive Stimmbeeinträchtigung steht eher mit allgemeinen Aspekten der Befindlichkeit im Zusammenhang, erstaunlicherweise jedoch nicht mit psychosozialen Gesichtspunkten.


Text

Hintergrund

In den letzten 20 Jahren hat die Bedeutung subjektiver Aspekte körperlicher Krankheiten sowohl in der Forschung als auch in der Praxis deutlich zugenommen. Unter methodischem Gesichtspunkt gilt heute v.a. die gesundheitsbezogene Lebensqualität als ein allgemeiner Index dieser „subjektiven" Aspekte. In diese multidimensionale Größe gehen das psychische Befinden, die körperliche Verfassung, soziale Beziehungen und die funktionale Kompetenz der Patienten ein. Die Frage nach sozial-kommunikativen Aspekten laryngektomierter Patienten sollte für die klinisch-praktische Bedeutung eines Teilaspektes der Lebensqualität stehen, und zwar auch bei Patienten mit einer funktionierenden Ersatzstimme. Und darum geht es in dieser Studie: Es wurde geprüft, ob und inwieweit laryngektomierte Patienten eine Einschränkung ihrer Lebensqualität empfinden und ob dies im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung durch die postoperative Stimmstörung steht.

Probanden und Methoden

Die Untersuchung fand bei 20 männlichen laryngektomierten Patienten im Alter von 62 ± 8 Jahren (52 bis 71 Jahre) mit deren Einverständnis im Rahmen der routinemäßigen Tumornachsorge statt. Die Laryngektomie lag bei den Patienten im Mittel 3,9 Jahre (1,0 bis 9,8 Jahre) zurück. Alle Patienten waren im Rahmen der Laryngektomie primär mit einer Provox®-Stimmventilprothese versorgt worden und konnten diese im Sinne einer tracheo-ösophagealen Ersatzstimme nutzen. Bei keinem der Patienten bestand zum Zeitpunkt der Untersuchung ein Tumorrezidiv, eine zervikale oder eine Fernmetastasierung.

Die gesundheitsbezogene Lebensqualität wurde mittels der deutschen Version des Short Form (SF)-36 Health Survey gemessen. Zur Ermittlung der stimmbezogenen Beeinträchtigung („Handicap") wurde eine bereits früher veröffentlichte deutsche Version des "Voice Handicap Index" (VHI) benutzt. Alle Fragebögen wurden vollständig ausgefüllt, so dass komplette Datensätze aller 20 untersuchten Patienten für die Auswertung zur Verfügung standen. Die erhobenen Daten wurden mit Hilfe von Microsoft Excel® und Sigma Plot®, Jandel Corp., ausgewertet.

Ergebnisse

Die Ergebnisse des SF-36 sind in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt. Da die Werte der körperlichen und emotionalen Rollenfunktion nicht normalverteilt sind, sind sowohl der Median als auch der Mittelwert angegeben. In den meisten Skalen zeigt sich eine erhebliche Streuung der Werte.

Der Gesamtwert der Stimmbeeinträchtigung (Voice Handicap) beträgt 45,6 ± 17,2 bei möglichen Werten zwischen 0 (keine Beeinträchtigung) und 120 (maximale Beeinträchtigung). In den einzelnen Subskalen werden die folgenden Werte erhoben: körperliche Subskala 17,2 ± 7,0; funktionelle Subskala 14,1 ± 7,3 und emotionale Subskala 14,2 ± 4,6.

Ein statistisch signifikanter Zusammenhang (p < 0,05) beim Vergleich der Ergebnisse des SF-36 und des VHI zeigt sich nur beim Vergleich zwischen dem VHI-Gesamtscore und einzelnen Skalen des SF-36, nämlich der allgemeinen Gesundheitswahrnehmung AGES und der Vitalität VITA. Bei diesen beiden SF-36 Subskalen besteht auch ein signifikanter Zusammenhang zu allen Subskalen des VHI.

Diskussion

Die in Veränderung begriffenen Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens einschließlich der daraus resultierenden modifizierten gesetzlichen Grundlagen erfordern die Klärung der Frage, nach welchen Kriterien die Ressourcen für Diagnostik, Therapie, Prävention und Rehabilitation verteilt werden sollen. Dafür bedarf es diagnostischer Mittel, die Krankheiten und Störungen „vergleichbar" machen. Die Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität wird als ein mögliches Verfahren angesehen, das derartige vergleichbare Daten liefern kann. Dem Konstrukt entsprechend fehlt dabei naturgemäß ein für die jeweils vorliegende Erkrankung bzw. Funktionsstörung spezifisches „Modul". Es bietet sich daher an, ein „allgemeines" Verfahren mit einem erkrankungs- bzw. störungsspezifischen Element zu kombinieren. Dieses Vorgehen wurde in der vorliegenden Studie gewählt, nämlich die Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und die Bestimmung der sozial-kommunikativen Einschränkung mit der Bestimmung des Voice Handicap Index.

Der SF-36 liefert auch bei laryngektomierten Patienten differenzierte Befunde, die auch im Umgang mit dem individuellen Patienten für die Konzipierung des Arzt-Patienten-Gesprächs genutzt werden können. Dasselbe gilt nach eigenen früheren Untersuchungen und nach den Ergebnissen dieser Studie auch für die Aussagen des VHI.

Die Ergebnisse der aktuellen Studie sind insofern in sich stimmig, als es bei der Korrelationsanalyse lediglich statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen den Kategorien „Allgemeine Gesundheitswahrnehmung" und „Vitalität" des SF-36 mit dem Gesamtscore und den drei Subscores des VHI gibt: Einschränkungen der genannten Skalen zur Lebensqualität gehen mit einem höheren Stimmhandicap einher. Ein solcher Zusammenhang konnte beim Vergleich von SF-36 Werten zur sozialen Funktion mit dem VHI nicht aufgedeckt werden. Offenbar besteht also eher eine Abhängigkeit des stimmabhängigen Handicaps von allgemeinen Parametern der Lebensqualität als von sozial-kommunikativen Items. Möglicherweise ist also bei einer negativen allgemeinen Gesundheitswahrnehmung und verminderten Vitalität die subjektive Beeinträchtigung durch die Ersatzstimmfunktion eher von Bedeutung als bei einer Verminderung der Lebensqualität in anderen Bereichen.

Die Daten dieser Studie belegen nachdrücklich die frühere Beobachtung der berichtenden Arbeitsgruppe, dass die Selbstbewertung der Betroffenen erheblichen interindividuellen Schwankungen unterliegt. Ähnlich wie bei Untersuchungen zur Krankheitsbewältigung ist also die hervorzuhebende Stärke der eingesetzten Methodik, dass sie diese Unterschiede aufdecken und damit als Basis für individuell zu bemessende therapeutische Interventionen dienen können. Insgesamt drängt sich nach den Ergebnissen dieser Studie und beim Literaturvergleich jedoch auch der Eindruck auf, dass zumindest bei in gewissen Grenzen funktionierender Ersatzstimme diese von vielen Betroffenen nicht wirklich als Beeinträchtigung der Lebensqualität empfunden wird. Unter methodischen Gesichtspunkten kann nach den Ergebnissen der aktuellen Erhebung geschlossen werden, dass die mit dem SF-36 und mit dem VHI erhobenen Daten nicht konkurrieren, sondern sich ergänzen, wenn auch vorbehaltlich des bisher methodisch noch nicht gelösten Problems der Korrelation mit Daten zur tatsächlichen Stimmfunktion. Insofern ist aber die Annahme bestätigt, dass zur Zeit die Kombination beider Verfahren am besten geeignet ist, die sozial-kommunikative Beeinträchtigung der Lebensqualität von Laryngektomierten mit tracheoösophagealer Ersatzstimme abzubilden.