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21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

10. bis 12.09.2004, Freiburg/Breisgau

Plastische Veränderung des Hörkortex nach Versorgung mit einem Cochlea-Implantat

Vortrag

  • author presenting/speaker Arne Knief - Universitätsklinikum Münster, Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
  • author Andreas Wollbrink - Universitätsklinikum Münster, Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse, Münster, Deutschland
  • author Bernhard Roß - Universitätsklinikum Münster, Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse, Münster, Deutschland
  • author Antoinette G. Dinnesen - Universitätsklinikum Münster, Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
  • author Christo Pantev - Universitätsklinikum Münster, Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Freiburg/Breisgau, 10.-12.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04dgppV13

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Published: September 9, 2004

© 2004 Knief et al.
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Zusammenfassung

Nach der Versorgung ertaubter Erwachsener mit einem Cochlea-Implantat (CI) fangen diese an, das Hören neu zu erlernen. Sie zeigen ein fortlaufend besseres Sprachverständnis. Die Magnetoenzephalographie (MEG) ermöglicht es, das elektrophysiologische Korrelat dieses Lernprozesses und die Plastizität in der Verarbeitung des Gehörten nicht nur durch Lokalisation und Stärke kortikaler Aktivität zu messen, sondern auch Veränderungen in der Dynamik zu erfassen. Es wurden bei drei Patienten mit einem magnetlosen CI über zwei Jahre MEG-Messungen durchgeführt und die evozierten P1- und N1-Komponenten auf einen kurzen Tonimpuls und einen Dauerton mit wechselnder Frequenz aufgezeichnet. Die Lokalisation, die Amplitude und Latenz der Antworten wurden über diesen Zeitraum analysiert. Parallel wurde das Sprachverständnis mit dem Freiburger Einsilber-Test überprüft. Es zeigte sich ein starker Anstieg des Sprachverständnisses. Während der Periode von zwei Jahren konnte eine Erhöhung der Amplitude und eine Verringerung in der Latenz der N1 zu Normalwerten bei stabiler Lokalisation dieser Komponenten beobachtet werden. Die Verbesserung des Sprachverständnisses korreliert mit der plastischen Veränderung des Hörkortex. Das Ergebnis suggeriert, dass die plastischen Veränderungen im Hörkortex nicht durch die Rekrutierung neuer neuronaler Areale erfolgen, sondern durch eine Veränderung von kortikalen Verknüpfungen bis ein Antwortmuster ähnlich dem von Normalhörenden erreicht ist.


Text

Einleitung

Die Hörwahrnehmung von ertaubten Erwachsenen, die mit einem Cochlea-Implantat (CI) versorgt wurden, beginnt mit der einfachen Unterscheidung verschiedener Geräusche und setzt sich bis zum freien Sprachverstehen fort. Die Cochlea-Implantat Patienten fangen nach der Versorgung an, das Hören neu zu erlernen. Diese enorme Leistung würde nicht möglich sein ohne die Fähigkeit des auditorischen Kortex zur plastischen Reorganisation. Die elektrophysiologischen Korrelate dieses Lernprozesses und die Plastizität in der Verarbeitung des Gehörten können mit Hilfe der Magnetoenzephalographie (MEG) [1] nicht nur in der Lokalisation der Quellen und ihrer Stärke sondern auch in der Entwicklung der Dynamik erfasst werden. Plastische Veränderungen werden dabei besonders im primären und nicht-primären auditorischen Kortex erwartet, die durch die evozierten Komponenten N1m und P1m im MEG repräsentiert sind [2], [3]. Es wurden bei 2 Patienten mit einem magnetlosen CI über einen Zeitraum von 2 Jahren MEG-Messungen durchgeführt. Parallel wurden die plastischen Prozesse psychoakustisch über das Sprachverständnis mit dem Freiburger Einsilber-Test überprüft.

Methoden

An der Studie nahmen 2 progredient ertaubte Patienten (42;9 Jahren bzw. 52;11 Jahre) teil, die beide mit einem magnetlosen CI implantiert waren (Clarion 1.2 ICS, links bzw. Clarion CII bionic ear, rechts, Advanced Bionics, CA). Patient 1 hatte seit 5 Jahren vor der Operation keinen Nutzen mehr von Hörgeräten und Patient 2 hatte ein Sprachverstehen mit Unterstützung von Hörgeräten und Lippenabsehen. Die Hörschwellen waren für Patient 1 schlechter als 100 dB und für Patient 2 schlechter als 110 dB im Bereich von 250 Hz bis 8 kHz. In der Hirnstammaudiometrie waren keine Antworten der Hörbahn bis 100 dB zu beobachten. Das Sprachverständnis war bei Patient 1 bis zu 120 dB 0% und bei Patient 2 bei 120 dB 10% im Freiburger Zahlentest.

Die Messung von Cochlea-Implantat Patienten im MEG wurde durch die Verwendung von magnetlosen Implantaten ermöglicht. Die normalerweise verwendeten Permanentmagnete zur Halterung der Überträgerspule würden die hochsensitiven MEG-Sensoren stören und eine Aufzeichnung der Gehirnaktivität unmöglich machen. Die durch die Stimulation erzeugten Artefakte wurden durch eine Hochfrequenzabschirmung minimiert und nachträglich epochenweise eliminiert. Es wurden 10 aufeinander folgende MEG-Messungen der Patienten über eine Periode von zwei Jahren durchgeführt. Gemessen wurde die zum Implantat jeweils kontralaterale Seite.

Im ersten Abschnitt einer Messung wurde ein 1 kHz Ton mit einer Anstiegs- und Abklingzeit von 10 ms und einer Gesamtlänge von 500 ms als Stimulus benutzt. Das Interstimulusintervall lag randomisiert zwischen 2,3 s und 2,8 s. Die Intensität wurde auf 40 dB über der individuellen Hörschwelle gesetzt. Im zweiten Abschnitt wurde ein kontinuierlicher Ton, dessen Frequenz für eine Dauer von 500 ms von 950 Hz nach 1050 Hz wechselte, in den Intensitäten 45 dB und 60 dB dargeboten. Der Frequenzwechsel wurde alle 2 s wiederholt. Für jede Stimulusbedingung wurden die Gehirnantworten auf 384 Stimuli in jeweils 3 Blöcken registriert. Die Daten wurden mit einem Tiefpass von 24 Hz gefiltert und über alle Blöcke einer Stimulusbedingung gemittelt.

Die Quellen der Komponenten wurden mit dem Modell eines äquivalenten Stromdipols im zum CI kontralateralen auditorischen Kortex geschätzt. Für die weitere Analyse wurden die Quellorte im Intervall von 70 ms bis 140 ms nach dem Stimulusbeginn und mit einer Güte der Anpassung von größer als 90% gemittelt. Die Zeitreihen der einzelnen Kanäle wurden dann mit der Methode der source space projection auf den Ort der Quelle projiziert [1]. Die resultierende Zeitreihe gab dann das variierende Dipolmoment der Quelle wieder. Aus diesen Zeitreihen wurden dann die Latenzen und Amplituden der P1m- und N1m-Komponenten bestimmt.

Das Sprachverständnis wurde psychoakustisch mit dem Freiburger Einsilber-Test gemessen.

Ergebnisse

Es konnte über den Zeitraum von 2 Jahren eine Verringerung in den Latenzen der P1m- und N1m-Komponenten beobachtet werden. Die Latenz der P1m verringerte sich von Werten zwischen 65 ms und 75 ms auf Werte zwischen 50 ms und 60 ms. Die Latenzen der N1m lagen anfangs zwischen 130 ms und 150 ms und nach einem Zeitraum von 2 Jahren um 120 ms für beide Patienten ([Abb. 1]c). Die größte Veränderung trat bei beiden Patienten innerhalb des ersten halben Jahres nach der Erstanpassung des CIs auf.

Die Amplituden sowohl der N1m- als auch der P1m-Komponenten stiegen über den beobachteten Zeitraum an ([Abb. 1]a und b). Hier zeigte sich ebenfalls innerhalb des ersten halben Jahres der stärkste Anstieg. Die nach zwei Jahren erreichten Werte der Amplituden und der Latenzen lagen in einem Bereich, wie er auch bei Normalhörenden gefunden wird.

Das Sprachverständnis stieg bei beiden Patienten innerhalb des ersten halben Jahres stark an und blieb dann auf einem Niveau um 40% bei beiden Patienten ([Abb. 1]d).

Diskussion

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass sich bei Cochlea-Implantat-Trägern das elektrophysiologische Antwortmuster mit den Komponenten P1m und N1m entwickelt, wie es mit der Magnetoenzephalographie gemessen werden kann. Dieses Muster entspricht nach 2 Jahren weitgehend dem von Normalhörenden. Die stärkste plastische Veränderung tritt dabei innerhalb des ersten halben Jahres nach der Ersteinstellung auf. Eine Vergrößerung der Amplitude kann auf die Rekrutierung größerer neuronaler Assembles oder auf eine verbesserte Synchronisierung bestehender Assembles zurückgeführt werden. Die stetige Verringerung in der Latenz lässt die Verbesserung in der Synchronisierung als den dominierenden Prozess erscheinen. Plastische Veränderungen im auditorischen Kortex bleiben nicht nur auf Kinder beschränkt [4], sondern zeigen sich noch bei Erwachsenen auch im nicht-primären Kortex.

Es konnte gezeigt werden, dass diese plastischen Veränderungen, die im primären und nicht-primären auditorischen Kortex lokalisiert werden können [3], mit der Entwicklung des Sprachverständnisses einhergehen. Die vergleichbare Dynamik beider Prozesse zeigt, dass durch das CI adäquate Information zum Sprachverständnis angeboten wird, und adäquate die Verarbeitung des künstlichen Signals bereits im primären auditorischen Kortex erfolgt.


Literatur

1.
Hämäläinen, M., Hari, R., Ilmoniemi, J., Knuutila, J. und Lounasmaa, O. V. (1993) Magnetoencephalography - Theory, Instrumentation, and Applications to Noninvasive Studies of the Working Human Brain. Reviews of Modern Physics 65(2):413-97.
2.
Pantev, C., Roß, B., Wollbrink, A., Riebandt, M., Delank, K. W., Seifert, E. und Lamprecht-Dinnesen, A. (2002) Acoustically and electrically evoked responses of the human cortex before and after cochlear implantation. Hearing Research 171(1-2):191-5.
3.
Pantev, C., Bertrand, O., Eulitz, C., Verkindt, C., Hampson, S., Schuierer G. und Elbert, T. (1995) Specific tonotopic organization of different areas of the human auditory cortex revealed by simultaneous magnetic and electric recordings. Electroencephalography and clinical Neurophysiology 94:26-40.
4.
Sharma, A., Dorman, M. F. und Spahr, A. J. (2002) Rapid development of cortical auditory evoked potentials after early cochlear implantation. Neuroreport 13(10) 1365-68.