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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Genetische und pathologische Linkshändigkeit als möglicher ursächlicher und prognostischer Faktor für Stottern

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  • corresponding author Ines Plank - Sektion für Phoniatrie und Pädaudiologie, Univ.-HNO-Klinik Ulm, D-89077 Ulm, Schillerstr.15, Tel. +49(0)731/50021701, Fax +49(0)731/50021702
  • Silke Doß - Sachsenhäuser Landwehrweg 68b, 60599 Frankfurt/Main
  • author Andrea Häge - Sektion für Phoniatrie und Pädaudiologie, Univ.-HNO-Klinik Ulm, Schillerstr.15, D-89077 Ulm
  • author Helge Sönke Johannsen - Sektion für Phoniatrie und Pädaudiologie, Univ.-HNO-Klinik Ulm, Schillerstr.15, D-89077 Ulm

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocP37

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Published: September 12, 2003

© 2003 Plank et al.
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Zusammenfassung

Für das Auftreten von Stottern sind disponierende, auslösende und chronifizierende Faktoren bedeutungsvoll. Unter den Dispositionen werden in der Literatur immer wieder veränderte cerebrale Dominanzverhältnisse diskutiert. Dies stützt sich unter anderem auf die Beobachtung zahlreicher Forscher über eine erhöhte Inzidenz von Linkshändigkeit bei Stotterern, denn Linkshändigkeit ist das am leichtesten erfassbare Beispiel für veränderte cerebrale Dominanz. In der hier vorgestellten Studie wurden die Fragen untersucht, ob Links- bzw. Nichtrechtshändigkeit auch vermehrt bei entwicklungsunflüssigen bzw. stotternden Kindern im Vorschulalter auftritt, diese pathologischer oder genetischer Natur ist und ob Handpräferenzen Rückschlüsse auf die Manifestation von chronischem Stottern im Kindesalter zulassen.


Text

Einleitung

Für das Auftreten von Stottern sind disponierende, auslösende und chronifizierende Faktoren bedeutungsvoll.

Zu den Dispositionen finden sich in zahlreichen Forschungsbefunden Interpretationen dahingehend, dass Stottern eine Folge einer Wahrnehmungsstörung bzw. Störung einer Autoregulation des Sprechens ist, Stottern aufgrund einer unzureichenden Lateralisation sprachlicher Fähigkeiten auftritt und/oder Stottern als Ausdruck einer neuromotorischen Koordinationsstörung anzusehen ist [1].

Die Lateralisationshypothese besagt, dass Stotterer im Vergleich zu Nichtstotterern keine eindeutigen cerebralen Dominanzverhältnisse zeigen und damit unzureichend für sprachliche Funktionen lateralisiert sind [2], [3]. Die Beobachtungen zahlreicher Forscher ergeben eine erhöhte Inzidenz von Linkshändigkeit bei Stottern [4], [5], [6], [7], denn Linkshändigkeit ist der am leichtesten erfassbare Hinweis für veränderte cerebrale Dominanz [8].

In der hier vorgestellten Studie wurden die Fragen untersucht, ob Links- bzw. Nichtrechtshändigkeit auch vermehrt bei entwicklungsunflüssigen bzw. stotternden Kindern im Vorschulalter auftritt, diese pathologischer oder genetischer Natur ist und ob Handpräferenzen Rückschlüsse auf die Manifestation von chronischem Stottern im Kindesalter zulassen.

Material und Methoden

Dazu wurden die Eltern von 55 Kindern im Vorschulalter, die in der Phoniatrischen Ambulanz der Universitäts-HNO-Klinik Ulm wegen Stottern vorgestellt wurden, über deren Handpräferenzen und über das Auftreten von familiärer Beid- und Linkshändigkeit befragt sowie entsprechende Krankendaten erhoben. Die Kinder wurden in einem durchschnittlichen Zeitraum von 2,5 Jahren (0 bis 4,5 Jahre) halbjährlich hinsichtlich ihrer Stottersymptomatik phoniatrisch und psychologisch nachuntersucht. Nach bestimmten Bewertungskriterien wurde das Vorliegen eines chronischen Stotterns ermittelt. Des weiteren wurde das Maß der Händigkeit anhand eines Summenwertes erfasst, der sich aus der dominanten Handpräferenz bei neun alltäglichen Verrichtungen zusammensetzt und anschließend wie folgt bepunktet wurde: 1 = Rechtshandpräferenz, 2 = beidhändig, 3 = Linkshandpräferenz. Somit ergab sich eine Spannbreite in der Punktzahl von 9 (für immer rechtshändig) bis 27 (für immer linkshändig). Die genetische Links- bzw. Beidhändigkeit lag dann vor, wenn Nichtrechtshändigkeit a) bei einem Verwandten 1. Grades und/oder b) bei einem Verwandten 2. Grades sowie bei mindestens noch einem Verwandten 2.- 4. Grades gleicher Linie (mütterlich oder väterlich) auftrat. Pathologische Nichtrechtshändigkeit lag bei fehlender familiärer Links- bzw. Beidhändigkeit und/oder anamnestischen Angaben über prae-, peri- und postnatale Risikofaktoren sowie Hirnschädigung vor dem 6. Lebensjahr vor. Für die Statistik wurde ein Auswertungsbogen erstellt und mit dem SPSS-Programm ausgewertet.

Ergebnisse

Nichtrechtshändigkeit trat bei fast einem Drittel (29,9%) aller anfänglich unflüssig sprechenden Kinder und bei fast der Hälfte (44,4%) der Kinder, die ein chronisches Stottern entwickelten, auf. Die Nichtrechtshändigkeit war häufiger pathologischer Genese (75%). Nahezu die Hälfte der Nichtrechtshänder (47,1%), aber weniger als ein Drittel der rechtshändigen Vergleichsgruppe (26,3%) entwickelten ein chronisches Stottern. Prozentual manifestierte sich das Stottern häufiger bei genetischen (75%) als bei pathologischen Nichtrechtshändern (41,7%). Im Vergleich dazu manifestierte sich das Stottern bei 26,3% der Rechtshänder. Unsere Ergebnisse waren jedoch ohne statistische Signifikanz, wahrscheinlich zurückzuführen auf die zu kleine Stichprobe.

Die Inzidenz von Jungen war sowohl unter den Stotterern als auch unter den Nichtrechtshändern höher.

Diskussion

Damit zeigen auch unsere Ergebnisse wie die anderer Untersucher, dass Stottern häufig mit Linkshandpräferenz als Zeichen veränderter cerebraler Dominanzen assoziiert ist. Ob dies als Zeichen für allgemeine hirnorganische Dominanzstörungen gelten kann, ist aber immer noch fraglich und sollte Anstoß für weitere Forschungen sein. Linkshandpräferenz kann aber ein Risikofaktor für die Manifestation von chronischem Stottern im Kindesalter sein.


Literatur

1.
Fiedler P. (1992) Neuropsychologische Grundlagen des Stottern. In: Grohnfeld M. (Ed.) Störungen der Redefähigkeit, Handbuch der Sprachtherapie, Bd. 5, Edition Marhold im Wissenschaftsverlag Volker Spiess, Berlin, 43-60
2.
Orton S.T. (1927) Studies in suttering. Archives of General psychiatry 18, 671-672
3.
Travis L.E. (1978) Neuropsychological dominance. Journal of Speech and Hearing Disorders 43, 278-281
4.
Geschwind N., Behan P. (1982) Left-handness: Association with immune disease, migraine and developmental disorder. Procedings of National Academy of Science 79, 5097-5100
5.
Geschwind N., Behan P. (1984) Laterality, hormones and immunity. In: Geschwind N., Galaburda A. (Ed.) Cerebral dominance, the biological foundations. Havard University Press, Cambridge, 211-224
6.
Smith B.D., Meyers M.B., Kline R. (1989) For better worse: Left-handedness, pathology and talent. Journal of Clinical and Experimental Neuropsychology 11, 944-958
7.
Dellatolas G., Annesi I., Jallon P., Chavance M., Lellouch J. (1990) An epidemiological reconsideration of the Geschwind-Galaburda theory of cerebral lateralisation. Archives of Neurology 47, 778-782
8.
Henninger P. (1992) Handedness and lateralisation. In: Puente A.E., McCaffey R.J. (Ed) Handbook of neuropsychological assessment: A biopsychological perspective. Plenum Press, New York, London, 141-174