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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Selbst- und Fremdbewertung der tracheoösophagealen Ersatzstimme Laryngektomierter

Vortrag

  • corresponding author Maria Schuster - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie des Klinikums der Universität Erlangen, Bohlenplatz 21, 91054 Erlangen. Tel.: 09131/8533146, Fax: 09131/8539272
  • Jörg Lohscheller - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie des Klinikums der Universität Erlangen, Bohlenplatz 21, 91054 Erlangen
  • Peter Kummer - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie des Klinikums der Universität Erlangen, Bohlenplatz 21, 91054 Erlangen
  • Ulrich Eysholdt - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie des Klinikums der Universität Erlangen, Bohlenplatz 21, 91054 Erlangen
  • Frank Rosanowski - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie des Klinikums der Universität Erlangen, Bohlenplatz 21, 91054 Erlangen

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocV02

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2003/03dgpp002.shtml

Published: September 12, 2003

© 2003 Schuster et al.
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Zusammenfassung

Neben onkologischen Kriterien wie Tumorfreiheit und Überlebenszeit ist die Qualität der Ersatzstimme bei Laryngektomierten ein wesentliches Kriterium des Krankheitserlebens. Die Bewertung der Ersatzstimme unterliegt naturgemäß subjektiven Kriterien, die in der Literatur bisher nur wenig beschrieben wurden. Auch liegen nur wenige Daten zur Korrelation der Selbst- und der Fremdbewertung der Stimme vor, obwohl dies doch für die Indikationsstellung für weitere Behandlungen sinnvoll wäre. Und auf diesen Fragenkomplex zielte diese Studie: An n=25 männlichen Laryngektomierten im Alter von im Mittel 65 Jahren mit einer tracheoösophagealen Ersatzstimme (Provox®) wurde die Selbstbewertung mittels einer an anderer Stelle vorgestellten deutschen Übersetzung des Voice Handicap Index VHI dargelegt und mit einer vierstufigen kategorialen Fremdbewertung eines gelesenen Standardtextes durch ein Expertengremium verglichen. Die Ergebnisse der beiden Erhebungsinstrumente weichen erheblich voneinander ab. Dies stellt jedoch nicht den Wert der eingesetzten Methodik in Frage, sondern belegt die Notwendigkeit der Erhebung der individuellen Betroffenheit auch zur Festlegung eines ggf. umfassenderen rehabilitativen Konzeptes.


Text

Einführung

Neben onkologischen Kriterien wie Tumorfreiheit und Überlebenszeit ist die Lebensqualität LQ bei Laryngektomierten ein wesentliches Kriterium des Krankheitserlebens. In Voruntersuchungen [1] hatte sich die LQ gegenüber einer gesunden Altersgruppe ausweislich des SF-36 Fragebogens in den Bereichen der körperlichen Funktion und der körperlichen und emotionalen Voraussetzungen für den Alltag eingeschränkt gezeigt. Die soziale Funktionsfähigkeit jedoch war nicht vermindert. Als wichtiger Konstituent dieses Bereiches der Lebensqualität ist die Möglichkeit zur Kommunikation, i.e. die Funktionalität und Qualität der Ersatzstimme anzusehen.

Die Bewertung der Ersatzstimme unterliegt naturgemäß auch subjektiven Kriterien, die in der Literatur bisher nur wenig beschrieben wurden. Für die Selbstbewertung stimmlicher Beeinträchtigungen liegt seit kurzem der Voice Handicap Index VHI [2] in einer deutschen Übersetzung vor, die an anderer Stelle dargelegt wurde. Der VHI beschreibt subjektive körperliche, funktionelle und emotionale Beeinträchtigungen und liefert einen Gesamtscore zwischen 0 (keine Beeinträchtigung) und 120 (maximale Beeinträchtigung).

Bisher liegen nur wenige Daten zur Korrelation der Selbst- und der Fremdbewertung der Stimme vor, obwohl dies für die Indikationsstellung für weitere Behandlungen gerade unter therapeutischen Gesichtspunkten nützlich wäre. Für die Fremdbewertung von laryngealen Stimmen hat sich die RBH-Skalierung als international vergleichbar bewährt neben beschreibenden Wertungen. Diese sind bezüglich Ersatzstimmen nach Laryngektomie wegen einer wohl nur geringen Trennschärfe bei der Bewertung der Ersatzstimmen nur bedingt einsetzbar.

Der orientierende Fremdvergleich der tracheoösophagealen Ersatzstimme korreliert im klinischen Alltag oft nicht mit der Selbstwahrnehmung durch den Laryngektomierten. Daher wurde ein Fragebogen konstruiert, der sich am VHI orientiert und Besonderheiten der Ersatzstimme erfasst.

Patienten und Methode

Teilgenommen haben 23 laryngektomierte Patienten (21 Männer und 2 Frauen), deren Laryngektomie mindestens 12 Monate zurücklag. Alle Patienten waren mit einer Provox®-Stimmventilprothese versorgt und hatten die tracheo-ösophageale Ersatzstimmgebung erlernt. Im Rahmen der regelmäßigen Tumornachsorge wurde der Voice Handicap Index-Fragebogen von den Patienten ausgefüllt und eine digitale Aufnahme des Lesens eines Standardtextes (Nordwind und Sonne) angefertigt.

Die Aufnahmen wurden von einem 7-köpfigen Expertenteam mit umfangreicher Erfahrung mit der Stimmrehabilitation von Laryngektomierten ausgewertet.

Zur Fremdbewertung wurde ein Fragebogen mit 11 Items verwandt, die körperliche und funktionale Auffälligkeiten der Ersatzstimme beschreiben und in Anlehnung an Fragen des VHI die Besonderheiten tracheoösophagealer Ersatzstimmen berücksichtigen: Kriterien sind Rauhigkeit, Sprechanstrengung, Durchdringungsfähigkeit, Prosodie, Übereinstimmung von Atem-Sinn-Einheiten, Störgeräusche durch ungenügende Stomaabdichtung, Stimmklang, Änderung der Stimme im Verlauf des Vorlesens und als Globalmaß die „Gesamtverständlichkeit". Neben der 4-stufigen Beschreibung der Gesamtqualität der Ersatzstimme und einer abschließenden visuellen Analogskala standen 5 abgestufte Antwortmöglichkeiten zur Verfügung.

Die Auswertung erfolgte mittels Excel® und Matlab®. Korrelationsanalysen wurden mit Spearman's Rangfolgentest durchgeführt.

Ergebnisse

Bei der Untersuchung zur Selbstwahrnehmung stimmlicher Einschränkungen von Laryngektomierten stellte sich mittels des VHI im Gesamtscore eine große Variabilität dar (39,3 ± 11,4). Die körperlichen Beeinträchtigungen (14,9) stellten sich im Vergleich höher als funktionale (12,9) und emotionale (11,5) Einschränkungen dar. Die eigene Gesamtwertung der Stimme lag im Mittel bei 1,6 bei Möglichkeiten zwischen 0 (normale Stimme) und 3 (sehr schlechte Stimme).

Für den Vergleich der Selbst- und der Fremdbewertung wurden die Daten der 7 Fremdbewerter gemittelt. Zwischen korrespondierender Eigen- und Fremdbewertung einzelner Stimmparameter (z.B. Rauhigkeit der Stimme oder Anstrengung beim Sprechen) zeigt sich keine signifikante Korrelation. Ebenso verhält es sich bei der globalen Eigen- und Fremdbewertung der Stimme. Dagegen besteht ein hochsignifikanter Zusammenhang (p<0,05) zwischen einzelnen Parametern der Fremdbeurteilung und manchen Aussagen der Patienten über funktionelle Einschränkungen (Telefonieren, Meiden von Personengruppen, schlecht verstanden werden, weniger sprechen als früher) und der Angabe einer emotionalen Einschränkung („Ich empfinde mein Stimmproblem als bedrückend").

Diskussion

Die Eigenbewertung der Stimme erfolgte mittels des VHI, der international gebräuchlich und validiert ist. Weiterhin wurde eine Methode der Fremdbewertung mittels eines angepassten Fragebogens vorgestellt und die Bewertungen miteinander verglichen. Dieser neue Fragebogen erlaubte naturgemäß keine Aussage zur emotionalen Belastung des Patienten, sondern zielte auf körperliche und funktionale Beeinträchtigungen. Eine Validierung des Fragebogens steht noch aus und muss an einem größeren Kollektiv durchgeführt werden.

Entsprechend dem klinischen Eindruck besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Eigen- und Fremdbewertung der Ersatzstimme nach Laryngektomie. Ausgehend von der Fremdbewertung von Experten mit Erfahrung mit Stimmen und Ersatzstimmen stellt sich die eigene Bewertung durch den Patienten häufig besser dar, jedoch offenbar ohne Gruppenspezifika aufzuweisen. Daraus wird zum einen auf eine gute Trennschärfe des Erhebungsbogens geschlossen, zum anderen auf seine Nutzung in der Individualdiagnostik.

Ursächlich für die heterogenen Ergebnisse sind zum einen die naturgemäß geringe Erfahrung der Laryngektomierten in Bezug auf Stimmstörungen und deren Beschreibungsmöglichkeiten, zudem die bei dieser Patientengruppe vermutbare eingeschränkte Introspektionsmöglichkeit und eine mögliche Dissimulation. Dies spiegelt sich dann vor allem bei der Beschreibung körperlicher Einschränkungen wider.

Ausgehend von der auffallend häufigen Korrelation zwischen einzelnen „körperlichen" Stimmparametern der Fremdbewertung und der Angabe des Laryngektomierten über funktionelle Einschränkungen der Ersatzstimme kann der Schwerpunkt der aus dem VHI ableitbaren therapeutischen Konsequenzen vor allem die funktionelle Skala sein.

Schlussfolgerung

Die Ergebnisse der beiden Erhebungsinstrumente weichen erheblich voneinander ab. Dies stellt jedoch nicht den Wert der eingesetzten Methodik in Frage, sondern belegt die Notwendigkeit der Erhebung der individuellen Betroffenheit auch zur Festlegung eines ggf. umfassenderen rehabilitativen Konzeptes. Hierbei sollte der Schwerpunkt der Relevanz für weitere Therapien jedoch auf funktionellem und bedingt auf emotionalem Handicap liegen, zumal die Patienten reale funktionelle Einschränkungen teilweise gut einschätzen können, körperliche Handicaps hingegen weniger gut.


Literatur

1.
Schuster M, Jörg Lohscheller, Peter Kummer, Ulrich Hoppe, Ulrich Eysholdt, Frank Rosanowski: Quality of Life in Laryngectomees after Prosthetic Voice Restoration, Folia Phoniatrica et Logopaedica 2003;55: in press.
2.
Jacobson BH, Johnson A, Grywalski C, Silbergleit A, Jacobson G, Benninger MS, Newman CW: The Voice Handicap Index (VHI): Development and Validation. Am J Speech-Language Path 1997;6:66-70.