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Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Nationallizenzen - ein Desiderat in Österreich

National licences: a desideratum in Austria

Fachbeitrag

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  • corresponding author Bruno Bauer - Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien, Wien, Österreich External link

GMS Med Bibl Inf 2007;7(2):Doc33

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/mbi/2007-7/mbi000085.shtml

Published: December 10, 2007

© 2007 Bauer.
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Zusammenfassung

Während in Deutschland das Konzept der Nationallizenzen als Teil des Systems der Überregionalen Literaturversorgung im Wesentlichen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) getragen wird, gibt es in Österreich derzeit weder ein vergleichbares Programm zur Förderung der Forschungsinfrastruktur noch eine nationale Stelle für die Finanzierung.

Weil auch an den österreichischen Universitäten die Versorgungslücken, insbesondere bei Zeitschriftenbackfile-Archiven und bei speziellen Fachdatenbanken, immer offensichtlicher werden, hat die Arbeitsgemeinschaft der Bibliotheksdirektor/-innen Österreichs, mit Unterstützung der Kooperation e-Medien Österreich, 2007 begonnen, dieses für die Zukunft des Forschungs- und Wissenschaftsstandortes Österreich wichtige Thema an die Leitungsgremien der Universitäten sowie an die politischen Entscheidungsträger heranzutragen.

Schlüsselwörter: Nationallizenzen, Österreich, Status quo

Abstract

In Germany national licences are funded by the "Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)" as part of their system for nationwide literature supply. In contrast there is no comparable scheme and no central office to finance and foster research information infrastructure in Austria.

Universities in Austria obviously suffer more and more from the lack of backfile archives particularly in the field of e-journals and literature databases. Out of this in 2007 the task force "ARGE Bibliotheksdirektor/-innen" started to pull the attention of university steering boards and political decision-makers towards this important topic which is critical for science and research in Austria. The initiative is supported by the "Kooperation e-Media Österreich".

Keywords: national licences, Austria, status quo


Nationallizenzen - ein Desiderat in Österreich

Die Website http://www.nationallizenzen.de/ bietet Informationen über Nationallizenzen für elektronische Medien:

Um die Versorgung mit elektronischer Fachinformation an deutschen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und wissenschaftlichen Bibliotheken nachhaltig zu verbessern, finanziert die Deutsche Forschungsgemeinschaft seit 2004 den Erwerb von Nationallizenzen. Mit dem Projekt Nationallizenzen werden digitale Medien in das Programm der überregionalen Literaturversorgung im Rahmen des Sondersammelgebietsplans der Deutschen Forschungsgemeinschaft einbezogen.
Ziel ist es, Wissenschaftlern, Studierenden und wissenschaftlich interessierten Privatpersonen den kostenlosen Zugang zu Datenbanken, digitalen Textsammlungen und elektronischen Zeitschriften zu ermöglichen.

Klickt man in weiterer Folge auf die Seite mit den Angeboten (http://www.nationallizenzen.de/angebote), sind 77 Produkte aufgelistet, die bisher als Ergebnis des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Programms Nationallizenzen für Wissenschaftler, Studierende und wissenschaftlich interessierte Privatpersonen in Deutschland zur Verfügung stehen. Für den STM-Bereich relevant und besonders beeindruckend erweist sich die Liste der bisher erworbenen Archive bei den bibliographischen Datenbanken (darunter BIOSIS Previews 1926-2004, CAB Abstracts 1910-1989 und Periodicals Index Online / PIO 1770-1995) und den elektronischen Zeitschriften (darunter Elsevier Journal Backfiles on Science Direct 1907-2002, Springer Online Journal Archives 1860-2001 und Wiley InterScience Backfile Collections 1832-2000) während die angebotenen Volltextdatenbanken / Faktendatenbanken / E-Books sowie Nachschlagewerke / Wörterbücher eher das Interesse von Geisteswissenschaftler und Theologen finden werden.

Die attraktiven Angebote, die durch die Nationallizenzen für Deutschland bereits bisher möglich geworden sind, bewirken, dass Vertreterinnen und Vertreter der österreichischen Bibliotheken beim Schlagwort Nationallizenzen, je nach Gemütsverfassung, Neid und Anerkennung für die deutsche Situation empfinden oder aber akuten Handlungsbedarf für Österreich konstatieren.

Versorgungslücken wurden insbesondere bei digitalen Text- und Werkausgaben, den von wissenschaftlichen Verlagen angebotenen Digitalisierungen zurückliegender Zeitschriftenjahrgänge (sog. Backfile-Archiven) sowie speziellen Fachdatenbanken reklamiert. Diese digitalen Publikationen können oft nur an wenigen wissenschaftlichen Bibliotheken gekauft werden. Vielen Wissenschaftlern und Studenten in Deutschland ist damit die Nutzung dieser Informationsquellen nicht möglich.

Dieser Befund auf der Website http://www.nationallizenzen.de/ueber-nationallizenzen, auf der die Motive für das 2004 gestartete DFG Förderprogramm Nationallizenzen zusammengefasst sind, ist eins zu eins auch auf die österreichische Situation des Jahres 2007 übertragbar.

Warum konnten bei vergleichbarer Ausgangslage in der Literatur- und Informationsversorgung, zumindest bisher Nationallizenzen in Österreich nicht realisiert werden? Zwei wesentliche Faktoren sind anzuführen:

1.
Während die DFG das Programm der Nationallizenzen seit 2004 bereits mit 84 Mio. Euro gefördert hat, gibt es derzeit in Österreich keine Stelle, die Nationallizenzen tragen bzw. finanzieren könnte. Der FWF – Der Wissenschaftsfonds (http://www.fwf.ac.at/) ist zwar eine der DFG vergleichbare Einrichtung, allerdings zählen – wie im Übrigen auch für den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SFN) [1] – (bisher) Maßnahmen zur Verbesserung der landesweiten Literatur- und Informationsversorgung nicht zu seinen Aufgaben.
2.
Weiters besteht in Österreich keine Struktur, die mit dem System der überregionalen Literaturversorgung, basierend auf DFG Sondersammelgebieten, zentralen Fachbibliotheken und Spezialbibliotheken [2], vergleichbar ist. Das Konzept zentraler Fachbibliotheken mit landesweitem Sammelauftrag wurde durch Errichtung der Österreichischen Zentralbibliotheken für Physik 1980 bzw. für Medizin 1994 zwar einige Jahre für zwei wichtige Fächer erfolgreich erprobt, mit der Implementierung des Universitätsgesetzes 2002 [3] erfolgte die Auflösung der bisherigen Zentralbibliotheken bzw. deren Unterstellung unter die Universität Wien bzw. die Medizinischen Universität Wien [4].

Der gesetzliche Auftrag verpflichtete die beiden österreichischen Zentralbibliotheken zur Beschaffung, Erschließung und Bereitstellung der für die wissenschaftliche Forschung und Lehre erforderlichen Literatur, wobei sie in Ergänzung zu den von den anderen Universitätsbibliotheken wahrgenommenen Aufgaben die Bedürfnisse der Wissenschaftler und Studierenden der Fachgebiete Physik bzw. Medizin für ganz Österreich zu berücksichtigen hatten. Neben der Einrichtung von Abonnements für besonders teure Fachzeitschriften und der Bereitstellung der Inhalte durch eine effiziente Fernleihe wurden im Sinne dieses landesweiten Auftrags zur Literatur- und Informationsversorgung Ende der 90er Jahre landesweite Lizenzen für Datenbanken abgeschlossen. Die Daten wurden auf ERL-Servern geladen und laufend aktualisiert; auch der Betrieb der erforderlichen Server wurde durch die beiden Zentralbibliotheken gewährleistet. Alle an diesem Angebot interessierten Angehörigen sämtlicher universitären Einrichtungen des Landes konnten auf diese Daten zugreifen. Dieses sehr gut genutzte Angebot umfasste die Datenbanken Medline, Pascal Biomed, Embase EBM und CINAHL an der Österreichischen Zentralbibliothek für Medizin (von 1998 bis 2003) [5], [6] und INSPEC an der Österreichischen Zentralbibliothek für Physik (von 1999 bis 2003) [7]. Finanziert wurden Hardware und Lizenzen aus direkten Kreditmitteln des zuständigen Bundesministeriums. Das Konzept der landesweiten ERL-Server der Zentralbibliotheken kann demnach mit Recht als Vorläufer für Nationallizenzen bezeichnet werden.

Auch wenn mit der Auflösung der beiden Zentralbibliotheken wichtige potentielle Partner für ein Projekt Nationallizenzen nicht mehr zur Verfügung stehen, so gibt es mit der auf Betreiben der ARGE Bibliotheksdirektoren/-innen Österreichs seit 1. Juli 2005 an der Universitätsbibliothek Graz eingerichteten Kooperation E-Medien Österreich (http://www.konsortien.at/) eine landesweite Koordinationsstelle für E-Ressourcen und Konsortien-Management. Während in Deutschland Bibliothekskonsortien, entsprechend den gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Hochschulwesen, auf Länderebene und nur einige wenige Produkte auf nationaler Ebene verhandelt und organisiert werden [8], sind in Österreich die Universitäten und damit auch die Konsortien der Universitätsbibliotheken Bundesangelegenheit. Demzufolge vertritt die Kooperation E-Medien Österreich auf nationaler Ebene derzeit 13 bundesstaatliche Universitäten sowie 15 weitere Kooperationspartner unterschiedlichster Trägerorganisationen. Weil der aktuelle Kooperationsvertrag Ende Juni 2008 ausläuft, wird derzeit an einer Neufassung gearbeitet. Ein wichtiges neues Betätigungsfeld im neuen Vertrag könnte auch die Verhandlungsführung und Abwicklung von Nationallizenzen sein [9].

Die österreichischen Universitätsbibliotheken konnten in den ersten Jahren dieses Jahrzehnts, auch dank der Errichtung der Kooperation E-Medien Österreich, mit großen Anstrengungen im Bereich der Konsortiallizenzen für laufende Zeitschriften und Datenbanken den Anschluss an die internationale Entwicklung erreichen. In jüngster Zeit wurden aber zunehmend neue Versorgungslücken, insbesondere bei zurückliegenden Zeitschriftenjahrgängen, evident, weshalb die Arbeitsgemeinschaft der Bibliotheksdirektor/-innen Österreichs (http://www.uibk.ac.at/voeb/arge-dir), als kooperierendes Gremium zur Beratung von Angelegenheiten der 21 Universitätsbibliotheken der bundesstaatlichen Universitäten und der österreichischen Nationalbibliothek, im Frühjahr 2007 das Thema Nationallizenzen auf ihre Agenda gesetzt hat. Ziel ist es, die politisch Verantwortlichen, die ja die Notwendigkeit der Steigerung der Forschungsausgaben sowie den Ausbau der Forschungsinfrastruktur unermüdlich proklamieren, dahingehend zu sensibilisieren, dass eine Verbesserung der nationalen Literatur- und Informationsversorgung, entsprechend dem Beispiel der Nationallizenzen in Deutschland, von enormer Bedeutung für den Wissenschaftsstandort Österreich ist.

Bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung des Konzepts der Nationallizenzen gibt es wahrscheinlich so viele Meinungen wie Wissenschaftler und Bibliothekare. Konkretes Interesse bei Entscheidungsträgern an Universitäten, die das Thema Nationallizenzen bisher nicht beachtet hatten, konnte in jüngster Zeit mit der Information geweckt werden, dass die österreichischen Bibliotheken, die schon seit Jahren an dem über die GASCO abgewickelten Nature-Konsortium teilnehmen, eingeladen wurden, parallel zu der für Deutschland in Verhandlung stehenden Nationallizenz für die Nature-Archive eine entsprechende Lösung auch für Österreich anzustreben.

Hinsichtlich der inhaltlichen Bedeutung dieser Backfiles wird wohl rasch ein Konsens zu finden sein. Als entscheidende Frage, die es zu lösen gilt, zeichnet sich die Finanzierungsproblematik ab. Die Nature-Archive wären auch ein gutes Beispiel, um aufbauend auf Erfahrungen in Deutschland vom Start weg die strategische Ausrichtung eines Förderungsprojektes Nationallizenzen in Österreich fest zu legen. Für die weiteren Planungen beinhalten etwa das Ergebnis einer Analyse aus 2006 [10], dass die Nutzung der über Nationallizenzen bereitgestellten elektronischen Ressourcen zu 97% dem STM-Bereich und nur zu 3% den Geistes- und Sozialwissenschaften zuzuordnen ist, oder die Diskussion um Kriterien für Auswahl und Begutachtung der Nationallizenzen [11], [12], [13] wichtige Informationen.

Entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung eines österreichischen Konzeptes für Nationallizenzen wird allerdings sein, ob es gelingt, die politischen Entscheidungsträger von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass Informationsinfrastrukturförderung eine wesentliche Voraussetzung für die Zukunft eines Landes als Forschungsstandort darstellt. Es ist zu hoffen, dass in absehbarer Zeit auch für die Situation in Österreich ein Zwischenresümee gezogen werden kann, das der aktuellen Darstellung der Situation in Deutschland (wenn auch aufgrund der unterschiedlichen Größenverhältnisse der beiden Länder um den Faktor 10 heruntergebrochen) entspricht.

Das Gesamtbudget der Deutschen Forschungsgemeinschaft beträgt für 2007, ohne die Mittel für die auf fünf Jahre konzipierte Exzellenzinitiative, rund 1,9 Mrd. €. Hierin enthalten sind ca. 36 Mio. € für den Normalhaushalt der Informationsinfrastrukturförderung. Zusätzlich stehen im laufenden Haushaltsjahr 2007 für die Informationsinfrastrukturförderung Sondermittel in der Größenordnung von 15 Mio. € für den Erwerb retrospektiv angelegter Nationallizenzen sowie erstmals auch rund 18,5 Mio. € zur Erprobung des Ankaufs von Nationallizenzen laufender elektronischer Zeitschriften zur Verfügung.[14]

Literatur

1.
Göttker S, Neubauer W. Braucht die Schweiz Nationallizenzen? GMS Med Bibl Inf. 2007;7(2):Doc36. Online verfügbar unter: http://www.egms.de/en/journals/mbi/2007-7/mbi000086.shtml. External link
2.
Bunzel J. Nationallizenzen im Kontext des DFG-geförderten Systems der überregionalen Literaturversorgung. Präsentation am 3. Deutschen Bibliothekskongress in Leipzig, 20.03.2007. Online unter der URL: http://www.opus-bayern.de/bib-info/volltexte/2007/368/pdf/Bunzel2007.pdf. External link
3.
Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten und ihrer Studien (Universitätsgesetz 2002). BGBl. I Nr. 120/2002, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 74/2006.
4.
Bauer B. Universitätsbibliotheken in Österreich 2004-2006. Bibliotheksdienst. 2007;41(3):269-86.
5.
Bauer B. Österreichisches bibliographisches Kompetenzzentrum für Medizin. Kooperation der Österreichischen Zentralbibliothek für Medizin mit Silverplatter Information und ASOG beim Betrieb des landesweiten medizinischen Datennetzes. B.I.T. online: Zeitschrift für Bibliothek, Information und Technologie. 2001;4(1):65-9.
6.
Bauer B. Konsortiallizenzen für MEDLINE & Co an den österreichischen Universitäten: Bilanz 1998-2003 und Ausblick auf 2004. Online-Mitteilungen. 2003;76:10-8.
7.
Blechl G, Kromp B. Österreichische Universitäten erhalten Web-Zugang zur Datenbank INSPEC. Online Mitteilungen. 1999;65:22-4.
8.
Reinhardt W. Bundesweite Konsortiallösungen - Brauchen wir eine "Bundesgeschäftsstelle". Präsentation am 3. Deutschen Bibliothekskongress in Leipzig, 20.03.2007. Online unter der URL: http://www.opus-bayern.de/bib-info/volltexte/2007/289/pdf/2007_Leipzig_070320_Text_final.pdf. External link
9.
Gruber EM. Wissenschaftliche Zeitschriften immer teurer. ORF ON Science. 03.12.2007. - http://science.orf.at/science/news/150136 External link
10.
Ahrens P. Unerwartete Nutzung der eJournal Nationallizenzen der DFG aus 2006. Diskussionsliste INETBIB - Internet in Bibliotheken. 22.01.2007. - http://permalink.gmane.org/gmane.culture.libraries.inetbib/6682. External link
11.
Obst O. DFG-Nationallizenzen: Evaluation des Preis- / Leistungsverhältnisses erforderlich. MEDINFO - Informationen aus Medizin, Bibliothek und Fachpresse. 23.01.2007 - http://medinfo.netbib.de/archives/2007/01/23/1783. External link
12.
Obst O. Nature Archive wieder nicht als Nationallizenz. MEDINFO - Informationen aus Medizin, Bibliothek und Fachpresse. 18.07.2007 - http://medinfo.netbib.de/archives/2007/07/18/2187. External link
13.
Obst O. Abstimmung: Nature als Nationallizenz. MEDINFO - Informationen aus Medizin, Bibliothek und Fachpresse. 20.07.2007 - http://medinfo.netbib.de/?p=2189. External link
14.
Rutz R. Nationallizenzen aus Sicht und im Förderspektrum der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG): Grundlagen und Einbindung in die Förderstrukturen. GMS Med Bibl Inf. 2007;7(2):Doc32. Online verfügbar unter: http://www.egms.de/en/journals/mbi/2007-7/mbi000084.shtml. External link