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Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Fernleihe schneller als Subito

Fallbericht

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  • corresponding author Oliver Obst - Zweigbibliothek Medizin, Universitäts- & Landesbibliothek, Münster, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2007;7(2):Doc28

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/mbi/2007-7/mbi000080.shtml

Published: September 21, 2007

© 2007 Obst.
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Zusammenfassung

In diesem Fallbericht wird vordergründig beschrieben, welche verschlungenen Wege eine Artikelanfrage nehmen kann, bevor sie letztendlich positiv beantwortet wird. Im Eigentlichen geht es a) um die Beschreibung der dabei gemachten Fehler, die zu teils langwierigen Umwegen in der Beschaffung führen, b) um die jederzeit möglichen und offen stehenden Abkürzungen und c) um die Verbesserung der internen und externen Abläufe.

Abstract

On the first glimpse, this case report described the devoured way of an article request, before it is finally processed. However, the main goal is actually the description of a) the errors made as the article was processed (which lead to partly lengthy detours in the delivery), b) the possible short-cuts, and c) the improvement of the internal and external operational sequences.


Fernleihe schneller als Subito

Setting

Dipl.Ing. Horst L. - Angehöriger der Universität Münster und Benutzer der Zweigbibliothek Medizin - ist ein gefragter Experte für Digitale Radiographie. Auf dem 88. Deutschen Röntgenkongress in Berlin, 16. - 19. Mai 2007 (http://www.roentgenkongress.de/), soll er mehrere Vorträge halten, darunter einen über die Qualitätssicherung am Referenzzentrum Mammographie in Münster. Dieses vor 1½ Jahren angelaufene Projekt dient als Steuerungsinstrument für das gesamte Mammographiescreening in Nordrhein-Westfalen. Mit 6850 Teilnehmern ist der Röntgenkongress die zentrale Plattform für den wissenschaftlichen Austausch von Radiologen aus Deutschland und den Nachbarländern. Für Herrn L. und das Mammographiezentrum ist es der wichtigste Tag im Jahr. Hier können sie ihre Ergebnisse vor der gesamten wissenschaftlichen Öffentlichkeit präsentieren. Am Donnerstag – knapp 2 Tage vor seinem Vortrag - erfährt Herr L. von einer gerade frisch erschienenen Schweizer Studie: „Sie hatten verschiedene Detektoren miteinander verglichen, und ein ganz klares Plus für einen herausgefunden, das hätte sehr schön in meinen Vortrag gepasst.“ Doch wie nur an den vollständigen Artikel herankommen? Die Uhr fängt an zu ticken – es ist Donnerstag Nachmittag, in 40 Stunden soll er seinen Vortrag halten, und ihm fehlt diese wichtige Literaturstelle.

Ablauf

1. Münster: Ein Anruf

Donnerstag: Der erste Anruf gilt Frau B., Dokumentationsassistentin am Mammographiezentrum. Sie kennt sich gut mit PubMed aus und hat bereits so manche Literaturstelle ausfindig gemacht: „Herr L. konnte mir nur grobe Angaben zu der Literaturstelle machen: In der Märzausgabe von Medical Physics gäbe es einen Artikel über Detective Quantum Efficiency.“ Frau B. gelingt es zwar, den Artikel in PubMed aufzuspüren, kann aber nicht auf ihn zugreifen: Ihr wird eine Login-Seite angezeigt (1). Offensichtlich steht der Artikel weder frei zur Verfügung (Open Access) noch besitzt die Universität ein Abonnement dieser Zeitschrift: „Ich stand vor einer Wand. Das war grausam.“ (2) Frau B. schickt die Ergebnisse ihrer Suche nach Berlin, vielleicht hat ja Herr L. einen Zugangscode für Medical Physics?

Kommentar: (1) Auf dieser Seite hätte Frau B. den Artikel via Commerce-AIP-Store für 23 US-Dollar per Kreditkarte kaufen können. Dazu ist sie jedoch vom Institut nicht autorisiert. Eine private Kreditkarte hat sie auch nicht, noch eine institutionelle.

(2) Frau B. hat natürlich weder die EZB noch die ZDB geschweige denn die lokale Zeitschriftensuche auf der Homepage der Bibliothek bemüht. Der Login-Screen auf der Seite der Zeitschrift reicht ihr für eine Negativaussage. Nun gibt es zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit, aber absolut keine Regel: Login-Fenster = Kein Zugang. Ausnahmen existieren durchaus wie z.B. andere Zugangsseiten (OVID-Titel), passwortgeschützte Zeitschriften, usw.

2. Berlin: WLAN und VPN

Herr L. geht im Hotelzimmer mit seinem Laptop per WLAN ins Internet und loggt sich erfolgreich über eine VPN-Verbindung ins Hochschulnetz Münster ein. Eine normale Internetverbindung über die Telekom oder deren Mitbewerber reicht nicht, da der Zugang zu dieser kostenpflichtigen Zeitschrift über die IP-Adresse der jeweiligen Hochschule authentifiziert wird. Auch er bekommt keinen Zugang zu Medical Physics. (3)

Kommentar: (3) Herr L. hätte zu diesem Zeitpunkt noch eine subito-Eilbestellung machen können. Aber er hat keinen subito-Account und weiß auch nicht um diese Möglichkeit – im Gegensatz zu zahlreichen seiner Institutskollegen, die regelmäßig bei subito bestellen.

3. Geht nicht - gibt’s nicht

Freitag, 7:30 Uhr: Als Frau B. am nächsten Morgen ihre E-Mails abruft, ist ein dringender Notruf von Herrn L. dabei: „Ich brauche den Artikel heute bis spätestens 15 Uhr, sonst ist Holland in Not. Geht nicht, gibt’s nicht!“ Frau B. erinnert sich: „Ich war schlagartig hellwach und habe nur noch gedacht: Jetzt ist Alarm angesagt!“

4. Die Bibliothek kommt ins Spiel

Freitag, 8:00 Uhr: Frau B. sucht und findet auf der Seite der ZB Med Köln die Super-Eillieferung von Artikeln. Doch 25,50 Euro möchte sie nicht ausgeben, dazu fühlt sie sich auch nicht autorisiert. So surft sie zur Seite der Zweigbibliothek Medizin Münster und findet dort den kostenfreien subito-Dienst (die Bibliothek übernimmt seit 1999 die Kosten für dienstliche Bestellungen). Sie schreibt eine Email an die Auskunft und wird auf das subito-Anmeldeformular hingewiesen. (4) Sie meldet sich per Fax bei diesem Service an. (5) Um sofort freigeschaltet zu werden, telefoniert sie mit Herrn F., dem subito-Beauftragten der Zweigbibliothek. (6)

Kommentar: (4) Frau B. benutzt eine alte Emailadresse, die schon ein Jahr nicht mehr gültig ist. Durch Zufall erreicht die Mail aber trotzdem den richtigen Ansprechpartner. Es ist nicht klar, ob die Mail noch irgendwo auf der Webseite stand oder eine alte Email von der Bibliothek als Reply benutzt wurde.

(5) Das vom Uniklinikum betriebene Referenzzentrum hat natürlich eine eigene Homepage und eigene Email-Adressen (xyz@referenzzentrum-ms.de), die keine Zugehörigkeit zur Universität erkennen lassen. Frau B. wird darum von der subito-Anmeldung zunächst abgewiesen. Sie gibt dann die Uni-Münster-Emailadresse einer Kollegin ein. Nun wird die Anmeldung abgewiesen, weil Name und Email nicht übereinstimmen. Endlich – nach einigen Telefonaten – klappt es.

(6) Angesichts der Deadline käme eine subito-Bestellung theoretisch nicht mehr rechtzeitig. Selbst eine Eilbestellung würde 24 Stunden benötigen. Außerdem ist morgen Samstag. Ein Freitags bestellter Artikel würde also – de jure - frühestens am Montag ausgeliefert. De facto können subito-Eilbestellung – abhängig von der Lieferbibliothek - auch schon mal innerhalb weniger Stunden erledigt werden. Ein Versuch wäre es also wert – unter telefonischer Rücksprache mit der Lieferbibliothek.

5. subito

Frau B. schafft es nicht, den Artikel über subito zu bestellen. Sie telefoniert wieder mit dem subito-Beauftragten. Dieser versucht den Artikel ebenfalls zu bestellen und scheitert. Er gibt Frau B. daraufhin zur Auskunft, dass subito den gewünschten Artikel nicht liefern könnte, da es ein „epub ahead of print“-Artikel sei, der vorab Online veröffentlicht wurde (7). Er verweist sie auf den Leiter der Bibliothek, Herrn O.

Kommentar: (7) Die Ursache dieses Missverständnisses ist unklar. Es handelt sich um einen Standard-Artikel, der bereits in der März-Ausgabe 2007 erschienen war. Die resultierende Aussage ist dann allerdings wieder richtig: subito kann den Artikel nicht (rechtzeitig) liefern.

6. Der direkte Weg

Frau B. ruft Herrn O. an und schickt ihm die bibliographischen Angaben, es ist 9:00 Uhr. Herr O. checkt als erstes den Bestand vor Ort, Medical Physics scheint tatsächlich weder an der Zweigbibliothek Medizin in Münster noch an einem Institut vorhanden zu sein. (8) Subito scheidet aus, da der Dienst zu langsam für die kurze Deadline ist. (9) In der ZDB sind nur eine Handvoll von Bibliotheken in Deutschland mit einem Abonnement zu dieser Zeitschrift nachgewiesen, darunter H. Er ruft eine Bekannte in der Bibliothek H. an und schildert den Fall. Keine halbe Stunde später liegt der Artikel auf seinem Schreibtisch. (10) Er leitet ihn sofort an Frau B. weiter. Sie ist ziemlich erleichtert: „Vielen Dank für die super schnelle Hilfe, Sie haben mein Leben gerettet!“

Kommentar: (8) Keiner hat ihn informiert, was vorher gelaufen ist. So muss er wieder bei Null anfangen. Aber nach der Devise: „Sicher ist sicher“ ist das sowieso besser.

(9) Selbst jetzt könnte eine subito-Eilbestellung noch Erfolg haben (Kommentar 6). Aber unter Zeitdruck wählt Herr O. lieber den direkten Weg.

(10) Einfacher wäre die Lieferung der PDF-Datei, wenn die Zeitschrift elektronisch abonniert wird. Doch manche Lizenzverträge untersagen explizit die Nutzung von PDFs für die Fernleihe. Andere Verlage wiederum erlauben die Versendung von PDFs, aber nur durch die Autoren selber. Die Regelungen sind heterogen und unübersichtlich; das Einscannen und elektronische Verschicken des Artikels ist bis zur Veröffentlichung des neuen Urheberrechts im Bundesblatt in jedem Fall legal.

7. Wieder in Berlin

In Berlin ist es gerade 10 Uhr, als die Email mit dem Artikel im Postfach von Herrn L. eintrifft. Nun kann er den Artikel in Ruhe lesen und die Abbildungen in seinen Vortrag einbauen: „Durch diese rasanten Möglichkeiten hat man keine Ausreden mehr, nicht top-aktuell zu sein. Dann kann allerdings auch jede Frage kommen und man ist immer gut vorbereitet.“ Samstag Morgen um 8:36 Uhr ist er definitiv gut vorbereitet. 250 Zuhörer profitieren von dem hochaktuellen Vortrag - auch wenn sie nicht wissen, wer alles daran mitgewirkt hat.

Lehren

Je weiter die Zeit fortschreitet, umso geringer werden die Alternativen, bis man zum Schluss fast keine hat, außer spektakuläre (und zeitaufwendige) Wege zu beschreiten. Das Manko ist wie immer die fehlende Informationskompetenz, das fehlende Wissen um bibliothekarische Dienstleistungen, die zum Standardrepertoire gehören. Die Bibliothek muss offensiver werden, der Nutzer muss besser informiert und geschult werden. Als Konsequenz hat die Bibliothek ihre Aktivitäten in der Klinik sowie die formelle Informationspolitik intensiviert, um das Wissen über die Dienste, Ansprechpartner und Emailadressen zu verbessern. Die Zugangskontrolle zu den Diensten muss weiter vereinfacht und verdeutlicht werden, sonst scheitert man bereits bei der Anmeldung an einer dummen Emailadresse.

Dieser Fall demonstriert eindrücklich die Wichtigkeit der Emaillieferung von Artikel. Auf Post oder Fax angewiesen, hätte Herrn L. bei dieser Stillen Post zum Schluss nur etwas höchst Unleserliches in den Händen gehalten.