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Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

MEDPOL - Multimedialer Fallpool für problemorientiertes Lernen in der Medizin

MEDPOL - Multimedia based pool for case related learning in medicine

Fachbeitrag

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  • corresponding author Urte Mille - Universitätsklinikum Jena der Friedrich-Schiller-Universität, MEDPOL, Jena, Deutschland
  • Michael Herzau - Universitätsklinikum Jena der Friedrich-Schiller-Universität, MEDPOL, Jena, Deutschland
  • Uwe Treffer - Universitätsklinikum Jena der Friedrich-Schiller-Universität, MEDPOL, Jena, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2006;6(3):Doc28

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/mbi/2006-6/mbi000046.shtml

Published: December 28, 2006

© 2006 Mille et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Im August 2003 wurde an der medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena das Projekt MEDPOL ins Leben gerufen. MEDPOL steht für „Multimedialer Fallpool für problemorientiertes Lernen in der Medizin“. Den Kliniken und Instituten der Fakultät wird angeboten, exemplarische Fälle ihres Fachgebietes interdisziplinär für das problemorientierte Lernen aufzubereiten. Den Studierenden soll damit die Möglichkeit gegeben werden, an virtuellen Patienten realitätsnah zu üben. Die Simulation umfasst die Anamneseerhebung, körperliche Untersuchungen, Geräte- und Laboruntersuchung sowie die Anordnung der erforderlichen therapeutischen Maßnahmen. Bei Bedarf können systematische Informationsquellen in Anspruch genommen werden, insbesondere um die richtige Diagnose zu stellen und nach aktuellen Richtlinien zu verschlüsseln. Die einzelnen Schritte werden abschließend in Form einer Statistik ausgewertet und die Ergebnisse beurteilt.

Durch die Einbindung in ein Learnmanagementsystem (LMS) werden die Lerninhalte flexibel präsentiert, und der administrative Aufwand für Kursverwaltung, Punktevergabe, Forum etc. minimiert.

MEDPOL ist neben der Medizinerausbildung auch für die ärztliche Fortbildung geeignet.

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie unter: http://www.medpol.uni-jena.de

Schlüsselwörter: eLearning, POL, LMS, CME, Universitätsklinikum Jena

Abstract

In August 2003 the project MEDPOL was founded at the medical faculty of the Friedrich Schiller University Jena. MEDPOL stands for "multimedia based pool for case related learning in medicine". Hospitals and institutes of the faculty are offered to prepare typical casestudies for interdisciplinary eLearning. The students are given the possibility to practice at virtual patients close-to-reality. The simulation includes anamnesis, clinical investigations, technical and laboratory studies as well as the necessary treatment. Assistance is given if necessary, especially to find right diagnosis. Finally all steps are evaluated in form of statistics.

Because of integration in a Learnmanagementsystem (LMS) the presentation of the content is highly flexible and the effort of course administration, point assignment, forum etc. is turned to minimum. MEDPOL is same as suitable as for continuing medical education (CME).

For further information to the project please notice: http://www.medpol.uni-jena.de

Keywords: eLearning, case based education, LMS, CME, University Hospital Jena


Ausgangssituation

Mit der Änderung der Approbationsordnung für Ärzte im Jahr 2002 kamen eine Vielzahl von Herausforderungen und Impulsen auf die medizinischen Fakultäten in Deutschland zu. Der Schwerpunkt der medizinischen Ausbildung wurde weg von der klassischen Vorlesung hin zu praktischen Übungen und Seminaren gelegt. Besonders hervorzuheben ist hierbei die problemorientierte Lehre (POL). Diese wird meist im Kleingruppenunterricht mit acht bis zehn Studenten durchgeführt, wobei in der Regel so genannte Papierfälle verwendet werden.

Problematisch in der praktischen Umsetzung ist, dass die neuen Lehrformen sehr personalintensiv sind. Die Gewichtung für zusätzliche Tätigkeiten von Ärzten neben dem Klinikalltag fällt aber meist zu Gunsten der Forschung aus. So stellt die Fallerstellung für die problemorientierte Lehre und die personelle Sicherstellung des Kleingruppenunterrichts eine echte Zusatzbelastung des klinischen Personals dar. Die Bandbreite der Interpretation von POL ist hoch und die Qualität sehr unterschiedlich.

POL sollte aber im Medizinstudium bestimmten Anforderungen gerecht werden: sie sollte in Vorbereitung auf den ärztlichen Alltag interdisziplinär und multimedial sein. Sie sollte ebenso im Selbst- wie auch im Gruppenstudium durchführbar und am Ende testierbar sein. Darüber hinaus sollte sie nicht fiktiv, sondern möglichst mit echten Patientendaten hinterlegt sein, die für die Lehre entsprechend aufbereitet wurden.


Umsetzung an der FSU Jena

An der medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena wurde zur Unterstützung der klinischen Fachbereiche das Projekt MEDPOL (Multimedialer Fallpool für problemorientiertes Lernen in der Medizin) gestartet. Unter dem Gesichtspunkt, dass der Arztberuf die Wahrnehmung mit mehreren Sinnen erfordert, wurde der Multimedialität dieses Zusatzangebotes besonderes Augenmerk geschenkt. Medizinstudenten und approbierte Ärzte üben hierbei realitätsnah an konkreten Krankheitsbildern die optimale Behandlung des Patienten. Es werden Falldarstellungen als interdisziplinäre medizinische virtuelle Patienten zur Verfügung gestellt. Diese sind in ein Learnmanagementsystem (LMS) auf der Plattform Docent® integriert, welches über Internet erreichbar ist. Einzelne Fälle wurden durch die Akademie der Landesärztekammer in Thüringen für die ärztliche Fortbildung zertifiziert.

Die Verankerung von MEDPOL an der medizinischen Fakultät wurde dadurch unterstützt, dass MEDPOL-Fälle als Kriterium für die leistungsbezogene Mittelvergabe an der Fakultät gewertet wurden.

Strukturell wird die Erstellung von Fällen durch die MEDPOL-Redaktion koordiniert. Bei der Auswahl der Fallthemen steht der Redaktion ein Beirat zur Seite, der sich aus einer Reihe von Hochschullehrern zusammensetzt. Die Definition der Lernziele und die Ausarbeitung der Fallinhalte erfolgt durch die Kliniken und Institute der Fakultät. Die Redaktion ist für die technische Umsetzung, die interdisziplinäre Fallgestaltung sowie die Nutzer- und Kursverwaltung verantwortlich. Darüber hinaus stellt sie bei Bedarf interdisziplinäre Kontakte her und betreut auf Wunsch die Tutoren (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Bevor die Fälle im Learnmanagementsystem veröffentlicht werden, erfolgt eine Evaluation durch studentische Hilfskräfte. Nach Fallanpassung erfolgt die Fallfreigabe durch alle an der Fallerstellung Beteiligten, indem fachliche Richtigkeit, Beachtung von Urheberrechten, Vollständigkeit und korrekte Rechtschreibung/Grammatik mit Unterschrift bestätigt werden. Da die erstellten Fälle auf echten Patientendaten beruhen, erfolgt abschließend eine Prüfung durch den Datenschutz. Diese Vorgehensweise soll eine hohe Qualität und Rechtssicherheit gewähren.

Die Fälle sind im Selbststudium völlig zeit- und ortsunabhängig aufrufbar und werden somit den Kriterien des Gender Mainstreaming gerecht. Sie sind für Medizinstudenten genauso geeignet, wie für die ärztliche Fortbildung. Der Einsatz im Kleingruppenunterricht ist flexibel. Die Fälle sind ausdruckbar und klassisch als Papierfälle zu verwenden. Sie können aber auch mit Beamer und Laptop Stück für Stück in der Gruppe gemeinsam bearbeitet werden. Der Tutor kann die Aufmerksamkeit und den gegenseitigen Gedankenaustausch in der Gruppe sehr gut lenken, um dann mit einer Meinung fortzufahren, die in den Fall eingegeben wird. Die dritte Möglichkeit wäre die Bearbeitung im Computerpool, was im Zusammenhang mit Kleingruppenunterricht in Jena keine Anwendung findet und dem Selbststudium überlassen wird.


Falldarstellung

Der Lernende kann im Katalog des LMS zwischen drei Lernformen auswählen:

Bei der klassischen themenbezogenen Wissensvermittlung handelt es sich um ein Präsentationssystem, wobei geschlossene Themen komplex behandelt werden und mit Zusammenfassung und Test pro Lerneinheit abgeschlossen werden.

Beim fragenbasierten Lernen kommt ein tutorielles System zur Anwendung. Es werden Fragen gestellt, die richtig beantwortet werden müssen, um weiter zu kommen. Bei Falschbeantwortung wird aufgezeigt, was an der Frage falsch beantwortet wurde und es werden Lerntexte angeboten. Danach muss der Bearbeiter sein Gelerntes anwenden und die Frage richtig beantworten, um zur nächsten Frage zu gelangen (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Es wird mit stilisierten Patienten gearbeitet, die anklickbar und mit Fotos hinterlegt sind. Der Bearbeiter füllt Tabellen mit Auswahlmenü aus. Die Fälle sind mit echten, anonymisierten Patientendaten hinterlegt.

Die dritte Lernform stellt das Hauptwirkungsfeld des Projektes dar. Es handelt sich um problemorientierte Fälle aus dem medizinischen Alltag, die in einem System zur Simulation des Arzt-Patientenverhältnisses (CAMPUS-Software) gelöst werden können. Hier können die Studenten und Ärzte realitätsnah an virtuellen Patienten eine strukturierte und zugleich fallspezifische Behandlung von Patienten trainieren. Dafür liegen der Fallerstellung echte Patientenfälle zugrunde. Nach Kurzvorstellung des Patienten mit Namen und allen patientenbezogenen Daten sowie einer Einweisung des Lernenden in den entsprechenden Fall, hat man die Möglichkeit, zunächst eine qualifizierte Anamnese zu erheben und körperliche Untersuchungen durchzuführen. Bei der Anamnese stellt der Arzt ausformulierte Fragen und der Patient antwortet in dem ihm zugewiesenen Jargon. Bei der körperlichen Untersuchung wählt man zunächst das Untersuchungsverfahren aus und klickt dann die zu untersuchende Stelle am Körper an und füllt somit nach und nach die Patientenakte. Nur wenn man die richtigen Fragen stellt, bekommt man auch die tiefer gehenden Antworten. Anschließend muss der Bearbeiter sich für die Arbeitsdiagnosen entscheiden. Die Studenten berichten hierbei, dass sie hier oft erstmals in ihrem Studium mit der ICD-Codierung in Berührung kommen und diese trainieren können. Danach durchläuft man so genannte Diagnose-/Therapieschleifen. Dabei schlüpft man in die Rolle der nächst weiter behandelnden Ärzte und kann jeweils körperliche Untersuchungen durchführen, technische Untersuchungen oder Laboruntersuchungen anordnen. Im Anschluss an die Diagnoseschleifen werden die Diagnosen zunehmend präzisiert und eine relevante Therapie ausgewählt. Bei Begriffen, die näher erläutert werden müssen, meldet sich der virtuelle Tutor zu Wort. Er gibt auch Hinweise zum Ablauf der Diagnostik-/Therapieschleife oder es werden Expertenkommentare zu bestimmten Verfahren oder Befunden zitiert. Abschließend erfolgen noch Kontrolluntersuchung, Verlauf, Epikrise und Prognose. Im Hintergrund des Programms wird eine Statistik erstellt, an der man immer wieder ablesen kann, wie gut oder schlecht man den jeweiligen Fall bearbeitet hat und an welchen Stellen noch Nachholbedarf ist.

Für die Realitätsnähe der Fälle ist die Verwendung echten Patientendaten Voraussetzung. Großer Wert wird deshalb auch auf Authentizität der eingebundenen Medien, wie Röntgen-, CT-, PET-Bilder, OP-Bilder, Konsilarbriefe und -befunde etc. gelegt (Abbildung 3 [Abb. 3]).

Zwei Besonderheiten haben sich bei dieser Lernform herauskristallisiert. Weil der Studierende selbst entscheiden muss, welche Anamnesefragen und Diagnosen er stellt, welche Untersuchungen und Therapie er verordnet, steht er zum einen vor der realitätsnahen Herausforderung, sich entscheiden zu müssen und die Konsequenzen zu tragen, so wie es in einem wirklichen Arzt-Patienten-Kontakt der Fall wäre. Zum anderen wird trainiert, bereits erworbenes Wissen durch das in der Praxis so wichtige Querschnittsdenken auch interdisziplinär anzuwenden.

Beim Aufbau der Fälle spielt die Definition der Lernziele in allen drei Lernformen eine zentrale Rolle. An ihnen richtet sich die Akzentuierung der Fälle aus. Kommentare, Bildmaterial, Befundmedien und eingebaute Fragen werden entsprechend angepasst. An Schwerpunktstellen wird konkretes Wissen vermittelt oder über weiterführende Links (z. B. zu Leitlinien oder zu systematischen Wissensquellen) zur Verfügung gestellt. So findet die Wissensaneignung explorierend statt, was als leichter empfunden wird. Sie erfolgt primär aus dem Interesse heraus, den virtuellen Patienten optimal zu versorgen. Durch diese Koppelung des Lernens an Fallbeispiele wird das einmal erlernte Wissen dauerhafter gespeichert und ist leichter abrufbar als systematisch Gelerntes. Durch Fragen im Fallverlauf und einer Lernerfolgskontrolle soll zusätzliches Interesse geweckt werden.


Fazit/Ausblick

Das Projekt hat eine komplette Infrastruktur für eLearning geschaffen. Über das LMS sind die Nutzer- und Kursverwaltung sowie eine Zertifizierung aller fragenbasierter Fälle möglich. Durch Kooperation mit der Charité in Berlin kann an beiden Fakultäten ein großer, differenzierter Fallpool synergetisch genutzt werden.

Es werden praxisnahe Inhalte für ein Spektrum von Zielgruppen angeboten. Zurzeit arbeiten ca. 800 Nutzer mit MEDPOL. Die vorrangige Nutzung erfolgt durch die Studenten der medizinischen Fakultät im zweiten Studienabschnitt. In einem POL-Block ist die Bearbeitung von MEDPOL-Fällen im Selbststudium Prüfungsvoraussetzung. Der Fachbereich erhält am Semesterende eine Auswertung, welcher Student mit welcher Punktzahl abgeschlossen hat.

Die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThuLB) hat sich auf diese neuen Lernformen, die eBooks, Zeitschriftenlinks etc. nutzen, eingestellt. Es wird sichergestellt, dass MEDPOL-Fälle an allen Rechnern der medizinischen und der zentralen Bibliothek laufen, sodass den Studenten eine optimale Arbeitsumgebung für ihr Selbststudium gegeben werden kann.

MEDPOL wurde von 2003 bis 2006 vom Thüringer Kultusministerium gefördert. Ab 2007 ist eine nachhaltige Nutzung durch Verankerung am Studiendekanat gewährleistet. Weitere POL-Fälle werden bedarfsgerecht erstellt. Darüber hinaus wird das Wirkungsfeld erweitert und die Unterstützung bei der Einführung neuer Prüfungsformen, wie OSCE, Triple Jump und Key Feature etc. angestrebt.