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9. Symposium Health Technology Assessment

Deutsche Agentur für HTA des DIMDI – DAHTA@DIMDI

17. - 18.10.2008, Köln

Prävention von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen (Verhaltens- und Verhältnisprävention)

Meeting Abstract

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  • Barbara Fröschl - Gesundheit Österreich GmbH, Geschäftsbereich ÖBIG, Wien
  • Charlotte Wirl - Gesundheit Österreich GmbH, Geschäftsbereich ÖBIG, Wien

9. Symposium Health Technology Assessment. Köln, 17.-18.10.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08hta09

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/hta2008/08hta09.shtml

Veröffentlicht: 14. Oktober 2008

© 2008 Fröschl et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Abstract

Gesundheitspolitischer Hintergrund

Die Prävalenzzahl für Übergewicht bei drei- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen in Deutschland liegt im Jahr 2006 bei 15%, davon leiden 6,3% (oder 800.000) an Adipositas (Fettleibigkeit).

Wissenschaftlicher Hintergrund

Von Adipositas (Fettleibigkeit) Betroffene weisen einen erhöhten Körperfettanteil an der Gesamtkörpermasse auf. Die Ursachen von Übergewicht sind unter anderem in soziokulturellen Faktoren sowie in einem niedrigen sozialen Status – gemessen an Einkommen und Schulbildung der Eltern – zu sehen. Die Folgen der Adipositas im Kindesalter sind durch ein erhöhtes Risiko für Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie eine erhöhte Mortalität im Erwachsenenalter gekennzeichnet. Maßnahmen in Schule und Kindergarten, aber auch die Aufklärung und Einbindung der Eltern sind mögliche Ansätze für primäre Prävention bei Kindern und Jugendlichen. Außerdem kommt vor allem verhältnispräventiven Ansätzen (Veränderung der Umwelt- und Lebensbedingungen) besondere Bedeutung zu.

Fragestellung

Wie sind die Effektivität und die Effizienz von verschiedenen (verhaltens- und verhältnisbezogenen) Maßnahmen und Programmen zur Primärprävention von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen (unter besonderer Berücksichtigung sozialer Aspekte) zu bewerten?

Methodik

Die systematische Literatursuche ergibt 1649 Zusammenfassungen. Nach einem zweiteiligen Selektionsprozess mit definierten Kriterien verbleiben 31 Artikel zur Bewertung.

Ergebnisse

Zur Bewertung der Effektivität von Maßnahmen zur Adipositas-Prävention werden nur randomisierte kontrollierte Studien mit mindestens 30 Kindern und der Angabe von anthropometrischen Werten herangezogen. Bewertete Studien müssen eine Interventions- oder Beobachtungsdauer von mindestens einem Jahr aufweisen.

Insgesamt wurden zehn Primärstudien mit sieben Interventionen und 19 Reviews identifiziert. Die Primärstudien bestehen zumeist aus multidisziplinären Ansätzen (vermehrtes Sportangebot und Ernährungsinterventionen), die jedoch fast alle im Schulbereich stattfinden. In Summe steht stets die Verhaltensprävention, insbesondere mehr Sport und weniger fettreiche Nahrung, im Vordergrund.

Keine der sieben Interventionen zeigt Erfolge bei allen Subgruppen. Drei Studien berichten von keinen Veränderungen, vier Studien berichten Effekte bei bereits adipösen Kindern (meist bei Mädchen). Insgesamt zeigt sich, dass keine der Interventionen bei normalgewichtigen Buben Auswirkungen hat.

Auch bei den 19 Reviews können keine Erfolgsfaktoren der einzelnen Interventionen herausgearbeitet werden. Auch hier zeigt sich, dass einzelne Interventionen bei Mädchen Erfolge erzielen, nicht jedoch bei Buben. Insgesamt werden in den Reviews Studien stark unterschiedlicher Qualität zur Bewertung herangezogen. Festzuhalten ist nicht zuletzt, dass meist nur sehr knapp auf die Art und Weise der Interventionen eingegangen wird. Genauere Beschreibungen der Programme wären wichtig, um detailliert erfolgsversprechende Maßnahmen herausarbeiten zu können.

Es liegen insgesamt nur zwei ökonomische Analysen zu Interventionen zur Adipositas-Prävention bei Kindern und Jugendlichen vor. Die erste bewertet Kosteneffizienz und Nettonutzen des Planet-Health-Programms. Da die Maßnahmen nur in Bezug auf die weiblichen Schülerinnen Erfolg zeigte, wurde die ökonomische Analyse nur für diese modelliert. Unter Einbeziehung von indirekten und direkten Kosten führt das Programm zu 4305 USD pro QALY und zu Nettoersparnissen für die Gesellschaft von 7313 USD. Die zweite ökonomische Analyse ist eine australische Modellrechnung auf Grundlage der besten vorhandenen Evidenz. Die Intervention mit dem größten Einfluss ist die Reduktion von Fernsehwerbung über fett- und zuckerreiche Speisen und Getränke für Kinder und resultiert in Ersparnissen von 37.000 DALY.

Für die Bewertung der sozialen Aspekte werden drei Primärstudien herangezogen. In Anbetracht des deutlichen Zusammenhangs zwischen sozioökonomischem Status und Übergewicht bzw. Adipositas bei Kindern und Jugendlichen ist es überraschend, dass es kaum Studien zur Wirksamkeit von Interventionen in dieser Zielgruppe gibt. Aus den USA liegen zwei Studien zu spezifischen Programmen für Gruppen von sozioökonomisch benachteiligten Kindern und Jugendlichen vor. In einer Schulintervention gelingt die Verlangsamung des Zuwachses von Übergewicht im Vergleich zur Kontrollgruppe, aber keine Reduktion des Übergewichts im Vergleich zum Programmstart. Bei einer zweiten Schulintervention zeigen sich positive Effekte – geringerer Anstieg des Fettgehalts, höhere Dauer von körperlicher Bewegung.

Die deutsche KOPS zeigt bei der Schulintervention keine signifikanten Unterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgruppe bei Kindern mit niedrigem sozioökonomischen Status. Die Ergebnisse belegen weiters, dass Familienintervention bei sozial benachteiligten Kindern sogar kontraproduktiv wirkt. Außerdem ergibt die Analyse, dass der – vergleichbare – Wissenszuwachs in sozioökonomisch benachteiligten Gruppen geringere Handlungsrelevanz entfaltet.

Diskussion

Bei den Primärstudien sowie bei den HTA sind kaum Programme mit dauerhaften Effekten bei Buben und Mädchen zu finden. Einige Programme berichten jedoch von Erfolgen bei Mädchen, teilweise nur bei bereits übergewichtigen Mädchen. Keine/r der bewerteten HTA oder Übersichtsarbeiten konnte eindeutige Erfolgskriterien für dauerhafte Effekte der Adipositas-Prävention feststellen. Insgesamt gibt es wenige Studien zur Verhältnisprävention (wie z. B. „Aktiver Schulweg“), auch zielgruppenspezifische Interventionen (z. B. für sozial Benachteiligte) sind stark unterrepräsentiert. In Bezug auf sozial Benachteiligte fällt auf, dass zwar von einigen Autoren die Wichtigkeit von verhältnispräventiven Maßnahmen – gerade für diese Gruppe – betont wird, dass aber keine Studien zu solchen Interventionen vorliegen, was auf ein großes Defizit in diesem Bereich schließen lässt.

Schlussfolgerungen

Es gibt kaum gute Primärstudien zur Adipositas-Prävention bei Kindern und Jugendlichen, insbesondere an Vergleichen verschiedener Interventionen mangelt es. Zielgruppenorientierte Intervention (vor allem für sozioökonomische Benachteiligte) sind besonders unterrepräsentiert, deren Etablierung ist eine wesentliche Aufgabe der Adipositas-Prävention. Empfohlen wird dabei auf jeden Fall eine Kombination von verhältnispräventiven und verhaltenspräventiven Maßnahmen. Es wird des Weiteren empfohlen, zukünftige Programme systematisch zu erfassen (am besten online), um in Zukunft leichter „Erfolgskriterien“ formulieren zu können.