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53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

15. bis 18.09.2008, Stuttgart

Unerwartete Eigendynamik der elektronischen Patientenakten in Deutschland

Meeting Abstract

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  • Aykut M. Uslu - Uslu Medizininformatik Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds). Stuttgart, 15.-19.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. DocMI13-4

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2008/08gmds169.shtml

Veröffentlicht: 10. September 2008

© 2008 Uslu.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

In Bezug auf die Elektronische Patientenakte steht im § 291a Abs. 3 Nr. 4 SGB V (Sozialgesetzbuch) Elektronische Gesundheitskarte (Fassung vom 14. November 2003) u.a. folgendes: ... Über Absatz 2 hinaus muss die Gesundheitskarte geeignet sein, folgende Anwendungen zu unterstützen, insbesondere das Erheben, Verarbeiten und Nutzen von „Daten über Befunde, Diagnosen, Therapiemaßnahmen, Behandlungsberichte sowie Impfungen für eine fall- und einrichtungsübergreifende Dokumentation über den Patienten (elektronische Patientenakte)“.

Demzufolge sollte die Elektronische Gesundheitskarte (eGK) mit Beginn ihrer flächendeckenden Einführung auch die – funktionsfähige – freiwillige Anwendung EPA umfassen. Während die Einführung derselben – aus verschiedenen Gründen – noch auf sich warten lässt, entwickelt die EPA –unbemerkt davon– eine Eigendynamik. Sie findet inzwischen in ihren variantenreichen Formen, teilweise als Pilotprojekt, im Praxisalltag Einsatz. Das sogar ohne die als Schlüssel zum Telematikinfrastruktur und Datenschutz vorgesehenen eGK. Um in naher Zukunft als „bundesweit einheitliche elektronische Patientenakte“ in das Mega-Projekt eGK eingegliedert zu werden.

Dieser Beitrag informiert über den Entwicklungsstand der EPAs, gibt anhand von Beispielen, einen Eindruck zu ihrer Praxistauglichkeit.

Hintergrund

Die Mehrheit der Experten sind sich darüber einig, dass Elektronische Patientenakten die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens sind - auch, wenn es aktuell keine einheitliche Begriffsbestimmung zu den digitalen bzw. elektronischen Patientenakten gibt. Einigkeit besteht nur über ihre folgende Gemeinsamkeiten:

  • Sammlung medizinischer Informationen
  • Zugeordnet zu einem Patienten
  • In digitaler Form
  • (Sektoren- bzw. Institutionsübergreifend verfügbar)

Nach dem heutigen Stand nimmt man zwei grundsätzliche Typen von elektronischen Patientenakten wahr: a) die räumlich wie organisatorisch begrenzten sogenannten Inhouse- oder lokale-Patientenakten. Sie finden Einsatz meist in kleinen Rechnernetzwerken einer Praxis oder einer Klinik, in Arztnetzen und Krankenhaus-Verbünden. b) die webbasierten- oder Online-Patientenakten. Sie sind fähig über das Netz institutions- und sektorenübergreifend mit anderen Systemen zu kommunizieren, d.h. zur externen Datenkommunikation mit Institutionen, Kollegen und mittlerweile auch mit Patienten. In dieser Gruppe ragen zwei Systeme in der letzten Zeit besonders heraus. Die elektronische Gesundheitsakte (EGA) und elektronische Fallakte (eFA).

Die EGA ist als einziger EPA-Typ patientengeführt, d.h. der Patient ist Besitzer seiner Akte und kann allen anderen Personen seines Vertrauens den Zugang zu seiner Akte gestatten. Manche EGAs bieten sogar ein persönliches Disease Management für chronisch Kranke und spezielle Module, wie z.B. für Fitnesstraining oder Ernährung.

Das Hauptmerkmal einer elektronischen Fallakte ist: In ihr sind einem bestimmten Patienten zugeordneten medizinischen Daten verschiedener Leistungserbringer in einem gemeinsamen Behandlungskontext zusammengetragen. Allerdings, sie sind auf die einzelnen Krankheitsfälle beschränkt, und können daher keinen umfassenden Überblick über die gesamte gesundheitliche Situation eines Patienten geben. Im Unterschied zu EGAs sind die Fallakten nur für Leistungserbringer gedacht und der Patienten hat keinen Zugang darauf.

Die Inhouse- oder lokale-Patientenakten finden – zum Teil auch in Form von Praxiscomputer- und Krankenhaus-Informationssystem – bereits heute in einem Großteil der Praxen und Kliniken Anwendung. Die für institutions- und sektorenübergreifenden Einsatz konzipierten webbasierten- oder Online-Patientenakten hingegen befinden sich überwiegend noch in der Pilotphase. Parallel dazu liefern sie – wie nachfolgend aufgelistet – auch (meist) positiven Feedback zu ihrer Praxistauglichkeit:

  • Die spanische Tochter Medigest Consultores S.L. der CompuGROUP Holding AG erhält von der Ärztekammer Madrid (ICOMEM) den Zuschlag zur elektronischen Vernetzung von über 15.000 Ärzten. Dabei sollen in diesem Projekt etwa 1 Million Patienten mit der Gesundheitsakte vita-X versorgt werden.
  • Die „simplify vita-X“ lässt sich sogar in das bestehende Praxis-System der Ärzte integrieren wodurch er mit Kollegen Befunde austauschen kann.
  • An das im prosper-Gesundheitsnetz mit dem EPA-System„prospeGKT“ in Bottrop sind nicht nur niedergelassene, sondern auch die Krankenhausärzte, angeschlossen.
  • Die von Siemens auf der Basis von Soarian IC entwickelte WebEPA bietet zusätzlich zu der deutschlandweiten Austauschmöglichkeit medizinischer Daten zwischen Einrichtungen des Gesundheitswesens, auch ein Modul für den sogenannten Master-Patient-Index (MPI).
  • Die RHÖN-KLINIKUM AG beabsichtigt ihre heute 46 Kliniken mit Hilfe der elektronischen Patientenakte „WebEPA“ vernetzen.
  • Die avetana Gesundheitsakte bietet die Synchronisationsmöglichkeit mit externen Clients.
  • Die careon-Gesundheitsakte bietet die bemerkenswerten Funktionen wie z.B. die elektronische Patientenquittung für GKV-Versicherte, der MedikamentenCHECK, der MedikamentenSHOP, der BabyCare WebManager und die online-Abrechnung der Privatliquidation. Sie wird sogar in Verbindung mit providinCare® auch zur Betreuung von DMP-Patienten eingesetzt.

Fazit

Obwohl die heute angebotenen EPA-Systeme recht vielversprechend sind, ist ihre Entwicklung noch lange nicht eingehend abgeschlossen. Auf dem Weg dahin, zur Etabilisierung haben die EPAs noch weitere Reifeprozesse zu überstehen, wie z.B. der Einsatz einheitlicher Standards zur Interoperabilität (z.B. HL7, DICOM und IHE) und Einführung einer eindeutigen Patienten-ID, wodurch die Daten aus den verschiedenen Systemen zusammengeführt werden können. Ob sich der von zahlreichen Experten favorisierte Master Patient Index (MPI) hier tatsächlich zum Einsatz kommt oder sich weitere Möglichkeiten auftun, bleibt abzuwarten. Über einen „Datenschutz- bzw. TÜV-Siegel“ wird auch noch zu reden sein.


Literatur

1.
http://ao-info.uni-muenster.de/3855.html Externer Link
2.
http://www.dimdi.de/ Externer Link
3.
http://www.fallakte.de Externer Link
4.
http://www.gematik.de Externer Link
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http://www.ztg-nrw.de/ Externer Link
6.
Müller JH. Elektronische Patientenakte: Schlüsselrolle für den Datenschutz. Dtsch Arztebl 2008;105(11):A 571-3.
7.
Prokosch HU. KAS, KIS, EKA, EPA, EGA, E-Health: - Ein Plädoyer gegen die babylonische Begriffsverwirrung in der medizinischen Informatik. Informatik, Biometrie und Epidemiologie in Medizin und Biologie. 2001;32/4:371-2.
8.
Stausberg J, Uslu A, Schoch B. Die Elektronische Patientenakte in der Intensivmedizin: Anforderungen - Konzepte - Nutzen. In: Jäckel A. (Hrsg.). Telemedizinführer Deutschland. Ausgabe 2004. Darmstadt: Minerwa; 2004. S. 136-40.
9.
Uslu AM, Stausberg J. Value of the Electronic Patient Record: An analysis of the literature. J Biomed Inform 2008;41(4):675-82. DOI: 10.1016/j.jbi.2008.02.001 Externer Link