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51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (gmds)

10. - 14.09.2006, Leipzig

MILAN – Ein Informationssystem zur Darstellung von medikamentösen Wirkmechanismen im Stoffwechsel

Meeting Abstract

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  • Benjamin Prins - Universität Bielefeld, Bielefeld
  • Ralf Hofestädt - Universität Bielefeld, Bielefeld

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (gmds). 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Leipzig, 10.-14.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06gmds307

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2006/06gmds342.shtml

Veröffentlicht: 1. September 2006

© 2006 Prins et al.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Das Wissen auf dem Gebiet der Molekularbiologie ist in den letzten Jahren rasant angewachsen. Dies ist zum größten Teil auf die enormen Erfolge der Sequenzieungs- und Analyse-technologie zurückzuführen. So ist das menschliche Genom seit der Jahrtausendwende vollständig sequenziert, aber auch eine Vielzahl weiterer Gene sowie Enzyme und Stoffwechselwege ist analysiert und katalogisiert worden. Dabei konnten komplexe Expressions- und Proteinprofile systematisch erarbeitet und in spezifischen, zum Teil internetbasierten, Datenbanken gespeichert werden [1]. Es finden sich heute Informationen zu Proteinen bzw. Enzymen in den Datenbanken ENZYME, LIGAND, PDB, PIR-International und SWISSPROT. Die bereits identifizierten Stoffwechselwege, deren Sammlung in den 60er Jahren G. Michal eingeleitete und die von der Firma Böhringer über eine Wandtafel zur Verfügung gestellt werden, wurden in zwei verschiedenen Systemen verfügbar gemacht: EXPASY und KEGG. Informationen zu Genen, ihrer Sequenz und z.T. zu ihrer Regulation bzw. zu Mutationsformen bieten die Datenbanken des EBI und EMBL sowie die Datenbanken EPD, GDB, GENBANK, GENECARDS, HGMD, TRRD und TRANSFAC. Spezielle Informationen zu Krankheiten enthalten MDCave, METAGENE, NORD, OMIM, PEDBASE und PATHWAY. Informationen zu Wirkstoffen sind im WORLD DRUG INDEX (WDI), im DERWENT DRUG FILE (DDF) oder im DERWENT WORLD DRUG ALERT (DWDA) enthalten. DDF und DWDA sind online verfügbar über die Portalseite Derwent Discovery. Die ROTE LISTE beschränkt sich auf eine mehr phänomenologische Betrachtung von Medikamenten, während Wirkmechanismen auf molekularer Ebene ausgeklammert werden. Somit ist heute eine große Menge an Datenbanken für die unterschiedlichen molekularen Datenbestände, die bei der umfassenden Betrachtung der Wirkungsweise von Medikamenten im Stoffwechsel eine Rolle spielen, verfügbar. Der selektive Zugriff auf diese molekularen Datenbestände ist durch multidimensionale Molekular-Datenbanken zu realisieren.

Das Erfassen der Datenbestände kann dabei in vielen Bereichen weitgehend automatisiert werden. Die Möglichkeiten gehen jedoch über eine effektive Datenspeicherung weit hinaus. Es ist möglich, das umfangreiche Datenmaterial mit Hilfe von Analyse- und Simulationsprogrammen zu untersuchen, um auf diese Weise zu Erkenntnissen zu kommen, die im Experiment nur schwer zu gewinnen sind. Trotzdem gilt: Das Genom, die Proteinbiosynthese und der Stoffwechsel bilden ein überaus komplexes System. Bis die metabolische Funktionsweise in seiner Gesamtheit verstanden wird, ist es noch ein weiter Weg. Daher ist es von großer Bedeutung Hilfsmittel in Form von Informationssystemen zu schaffen, die den Verstehensprozess unterstützen. Solche Informationssysteme werden in vielen Bereichen der angewandten Biotechnologie ihren Einsatz finden, sowie bei Anwendung und Entwicklung von Medikamenten Hilfestellungen leisten können. Ein webbasiertes Informationssystem, das sowohl Informationen über Gene und Enzyme, als auch über Möglichkeiten zum therapeutischen Eingreifen in den Stoffwechsel durch Wirkstoffe (sogenanntes Drug-Pointing) erlaubt, kann die Arbeit der auf diesem Gebiet arbeitenden Ärzte, Pharmakologen und Wissenschaftler deutlich erleichtern und effektiver gestalten. Diesen Ansatz verfolgt auch das Informationssystem MILAN, welches wir in diesem Abstract vorstellen wollen.

Grundlagen der Pharmakologie

Arzneimittel oder Medikamente, im englischen „drugs“, sind nach § 2 des Arzneimittelgesetzes biologisch aktive Substanzen oder Substanzmischungen, die dazu bestimmt sind, durch sachgemäße Anwendung am menschlichen oder tierischen Körper 1. Krankheiten oder Beschwerden zu heilen, zu verhüten oder zu erkennen, 2. die Beschaffenheit oder die Funktionen des Körpers erkennen zu lassen, 3. vom Körper erzeugte Wirkstoffe oder Flüssigkeiten zu ersetzen, 4. Krankheitserreger zu bekämpfen und 5. den Körper oder seelische Zustände zu beeinflussen [2]. Allgemein sind Arzneistoffe als Wirkstoffe mit bestimmten Wirkungen anzusehen [3]. Dabei sind Aufnahme, Verteilung, Abbau, Verbleib oder Ausscheidung im Organismus (Pharmakokinetik) und ihre Wirkungsweise (Pharmakodynamik) von besonderem Interesse. Die Wirkung von medikamentösen Wirkstoffen betrachten wir im Folgenden anhand eines einfachen Modells. Zu einem Wirkstoff gehört immer ein entsprechendes Target-Molekül, auf das der Wirkstoff einwirkt. Meist ist ein Wirkstoff ein organisches Molekül, während ein Target in der Regel ein Protein ist. Die Wechselwirkung von Wirkstoff und Target lässt sich recht gut durch Emil Fischer's Schlüssel-Schloss-Prinzip [4] und die von Koshland [5] postulierte Theorie des “induced fit“ veranschaulichen. Im Idealfall kann ein Wirkstoff, oder auch Ligand, nur mit einem spezifischen Target wechselwirken. Das Target-Molekül wird durch die Wechselwirkung entweder aktiviert oder deaktiviert. Dies löst wiederum eine Kaskade von weiteren Reaktionen aus, an deren Ende ein physiologischer Effekt steht. Andererseits gibt es viele Abweichungen von diesem strengen Prinzip, so kann ein Ligand mit verschiedenen Targets wechselwirken oder ein Target durch verschiedene Liganden aktiviert werden. Dieses einfache Modell beschränkt sich auf Fragen der Pharmakodynamik und vernachlässigt Fragen der Pharmakokinetik und Pharmakogenetik.

Zielsetzung und Konzept

Das Ziel des MILAN-Informationssystems ist es nun, zwischen verschiedenen Wirkmechanismen zu unterscheiden und sie den jeweiligen Agenzien zuzuordnen. Dabei sollen nicht nur klassische Medikamente erfasst werden, sondern auch neuere Therapieverfahren, die sich teilweise noch im Versuchsstadium befinden. Zudem soll dargestellt werden, wo im Stoffwechselweg Medikamente eingreifen. Das heißt: Welcher Wirkstoff interagiert mit welchem Target und welche Auswirkungen auf den Stoffwechsel sind zu erwarten. Beispielsweise kann dabei die Möglichkeit zur Aktivierung alternativer Stoffwechselwege zur Umgehung defekter Stoffwechselpfade sichtbar werden.

Architektur

MILAN steht für „Medical Information System for Linking Agents to metabolic Networks“ und ist ein webbasiertes Informationssystem welches durch automatische Datenintegration und geschickte Verknüpfung dieser Daten seine Funktionsvielfalt erreicht. Es besitzt einen modularen Aufbau und kann somit jederzeit um weitere Module erweitert werden. Um die benötigten Daten, wie Stoffwechselwege, Wirkstoffinformationen, Enzym und Proteindaten, sowie Daten über Liganden zu erhalten, wurde ein umfangreiches Datenbankintegrationskonzept entwickelt. Alle relevanten Daten werden aus frei verfügbaren Datenquellen, wie z.B. KEGG, KEGG-Brite, KEGG-Drug, PDB oder auch Pubmed vollautomatisch online in ein lokales Datenbankmanagementsystem integriert. Die Datenbestände werden täglich aktualisiert und sind somit immer auf dem Stand der Quelldatenbanken. Der Kern von MILAN ist die automatische Integration und Neustrukturierung der einzelnen Datenbestände, sowie deren sinnvolle Verbindung. Ebenso wird besonderen Wert auf die direkte Verknüpfung mit Forschungsergebnissen in Form von Publikationen gelegt. Um eine wertvolle Unterstützung für den Anwender zu sein, ist es dabei nötig, eine hocheffiziente Suche zu implementieren, die sowohl besonders schnell ist, als auch außerordentlich gute, also themenrelevante, Ergebnisse erzielt.

Ergebnisse

Derzeit enthält MILAN 2708 Datensätze zu Wirkstoffen, 14109 Datensätze zu niedermolekulare Liganden, 4579 Datensätze zu Enzymen, sowie 176 metabolische Pfade und 164 Krankheiten, die in direkter Verbindung zu metabolischen Störungen stehen. Zudem steht eine umfangreiche Text-Mining-Komponente zur Verfügung, die derzeit ca. 7,8 Millionen Publikationen der PUBMED-Datenbank als Abstracts zur Verfügung stellt. Durch intelligentes Relevanz-Ranking werden Informationen zu jedem entsprechenden Molekül, Wirkstoff oder Stoffwechselweg zeitgleich angeboten. Auch ermöglicht MILAN eine Literaturrecherche, die eine aktive Verfeinerung der eigentlichen Suche unterstützt, indem zu jeder gewählten Publikation weitere Publikationen im gleichen Kontext gesucht werden. Die Gesamtgröße der gesammelten Daten beträgt derzeit ca. 15 Gigabyte und wächst stetig. MILAN ist derzeit über die Website http://bprins.homelinux.net/MILAN zu erreichen und kann ohne Einschränkungen zu akademischen Zwecken genutzt werden.

Diskussion und Ausblick

MILAN stellt das Verhalten von Wirkstoffen in Stoffwechselwegen innerhalb eines webbasierten Informationssystems anschaulich dar. Es ermöglicht dem Nutzer einen Überblick über alle relevanten Daten bezüglich dieses Themas zu finden, ohne manuell eine große Menge an verschiedenen Datenbanken zu durchsuchen. Dabei verfolgt das MILAN-Informationssystem das Konzept „All in one place“, welches in Verbindung mit sinnvoller Verknüpfung der unterschiedlichen Daten durchaus zu neuen Erkenntnissen führen kann. Die nächsten Schritte werden die Integration von weiteren Modulen sein, wie z.B. einer Komponente zur Suche und Erkennung von Neben- und Wechselwirkungen sowie einer Ligand-Protein-Docking-Oberfläche, die es anhand von Daten der PDB erlaubt, innerhalb von MILAN Ligand-Target Kombinationen auf Bindungsaffinität zu testen.


Literatur

1.
Suhai S. Theoretical and Computational Methods in Genome Research. New York: Plenum Press; 1996.
2.
Strubelt O. Elementare Pharmakologie und Toxikologie (4. Aufl.). Stuttgart: Fischer UTB; 1991.
3.
Pöch G, Juan H. Wirkungen von Pharmaka (2. Aufl.). Stuttgart, New York: Thieme; 1990.
4.
Fischer E. Einfluss der Konfiguration auf die Wirkung der Enzyme. Ber Dtsch Chem Ges. 1894;27: 2984–2993.
5.
Koshland DE Jr. Application of a theory of enzyme specificity to protein synthesis. Proc Natl Acad Sci USA. 1958;44: 98–104.