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51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (gmds)

10. - 14.09.2006, Leipzig

Telemedizinisch betreutes Heimergometertraining von Patienten mit Herz-/Kreislauferkrankungen: Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie

Meeting Abstract

  • Karl Rhenius - TU Braunschweig, Braunschweig
  • Oliver Bott - TU Braunschweig, Braunschweig
  • Holger Reise - TU Braunschweig, Braunschweig
  • Uwe Tegtbur - MH Hannover, Hannover
  • Joachim Bergmann - TU Braunschweig, Braunschweig
  • Dietrich Peter Pretschner - TU BRaunschweig, Braunschweig

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (gmds). 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Leipzig, 10.-14.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06gmds141

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2006/06gmds305.shtml

Veröffentlicht: 1. September 2006

© 2006 Rhenius et al.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

In den Industrieländern sind Herz-Kreislauferkrankungen die Haupttodesursache. Die Rehabilitation bei Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems basiert in der Regel auf drei Phasen: Nach akutstationärer Behandlung (Phase I) folgt eine stationäre oder ambulante Rehabilitation über 3 Wochen (Phase II). Phase III erfolgt dann in heimischer Umgebung, wobei der Patient unterstützt durch Haus- oder Facharzt gesundheitsfördernde Verhaltensweisen dauerhaft umsetzen sollte. Bei Herztransplantierten im Langzeitverlauf konnte in Ergänzung zur medizinischen Nachsorge ein individuelles, ferngesteuertes und teilweise supervisiertes Phase III Rehabilitationsprogramm Leistungsfähigkeit, Lebensqualität und kardiovaskuläre Risikoparameter signifikant verbessern [1]. Dabei erhält der Patient bei seinen ambulanten Kontrollterminen im Krankenhaus einen individuellen Trainingsplan und ein Trainingsprogramm für ein Fahrradergometer auf einer SD-Speicherkarte. Dieses Programm verwendet der Patient, um sein heimisches Fahrradergometer zu programmieren und das Training dem Trainingsplan entsprechend durchzuführen. Vor und nach jedem Training füllt der Patient zudem individuell zugeschnittene Fragebögen aus. Hierauf werden objektive Messwerte und die subjektive Wahrnehmung des Gesundheitszustandes und der Leistungsfähigkeit dokumentiert. Die Trainingsdaten, d.h. die objektiv beim Training erbrachte Leistung, sowie weitere Parameter wie der Puls werden vom Fahrradergometer auf der SD-Karte gespeichert. Beim nächsten ambulanten Kontrollbesuch des Patienten in der Klinik werden diese Daten ausgelesen und gemeinsam mit den Fragebögen analysiert. Je nach Ergebnis erhält der Patient dann ggf. ein neues Trainingsprogramm. Der Nachteil dieses Verfahrens ist, dass eine Reaktion auf veränderte Leistungsparameter, die z.B. auf eine beginnende Abstoßung hinweisen können, erst beim nächsten ambulanten Kontrolltermin erfolgen kann. Ggf. bemerkt der Patient die Verschlechterung der Leistungsfähigkeit zwar vorher selbst und sucht die Kontaktaufnahme, aber auch in diesem Fall ist bereits wertvolle Zeit vergangen. Hieraus ergibt sich die Fragestellung, ob ein telemedizinisch gestütztes Verfahren die Reaktionszeit geeignet verkürzen und die Qualität der Betreuung verbessern kann. Bisherige Ansätze zur telemedizinisch unterstützen Rehabilitation von Herzpatienten (z.B. [2], [3]) betrachten zwar die Übertragung von Messdaten (i.W. EKG, Herzfrequenz) und inkludieren Konzepte des Heimtrainings, nicht aber ein telemedizinisch ferngesteuertes Heimergometertraining mit direkter Rückübermittlung der Trainingsdaten.

Material und Methoden

Als grundlegende Komponente des zu entwickelnden telemedizinischen Systems wurde die verteilte elektronische Gesundheitsakte V-Net Med des Instituts für Medizinische Informatik der Technischen Universität Braunschweig [4] erweitert. V-Net Med stellt verschiedene Dienste zum Speichern, Laden und Bearbeiten eines elektronischen Dokumentes zur Verfügung und sichert diese durch ein Rechtesystem und Verschlüsselung aller Dokumente vor dem unbefugten Zugriff anderer Benutzer. Die Dokumente werden als XML-Dokumente gemäß der Clinical Document Architecture (CDA [5]) von HL7 erzeugt und verwaltet (Release 2, Level 1).

Der betreuende Arzt verwendet mit dem MedicalClient ein spezielles Programm, um in der verteilten Akte Patienten zu verwalten, Dokumente zu betrachten und neue Dokumente zu erstellen. In der momentanen Ausbaustufe des Projektes werden drei verschiedene Dokumenttypen benutzt:

1.
Fragebögen, die vom Arzt an den Patienten individuell angepasst werden können (z.B. für Diabetiker). In dem Projekt gibt es zur Zeit je einen Fragebogen vor und nach dem Fahrradtraining und einen wöchentlich auszufüllenden Fragebogen.
2.
Trainingsprogramme mit je einer zum eingesetzten Fahrradergometer passenden Programmdatei im Anhang. Trainingsprogramme werden automatisch beim Erstellen eines Trainingsplans generiert (s.u.).
3.
Trainingspläne, welche vom betreuenden Arzt bzw. Sporttherapeuten im Sinne einer Verordnung erstellt werden. Sie enthalten derzeit einen vom Patienten auszufüllenden Satz von Fragebögen sowie das Trainingsprogramm.

Mit dem MedicalClient kann man zusätzlich die vom Patienten erstellten Trainingsergebnisse in die zum Fahrradergometer gehörende Auswertungssoftware exportieren. Der Patient erhält ein programmierbares Fahrradergometer und einen Personal Digital Assistant (PDA) mit UMTS-Unterstützung. Der PDA-Client ist ein in Java (Java ME Personal Profile) entwickelter V-Net Med-Client, der den Patienten durch das Training führt (inkl. Ausfüllen der Fragebögen). Hierfür wurde ein Framework erstellt, das eine besonders einfach zu bedienende, auf Java AWT basierende Benutzeroberfläche erzeugt. Die vom V-Net Med-Server empfangenen Trainingsprogramme speichert der Client auf einer SD-Speicherkarte, die mit dem Ergometerfahrrad gemeinsam genutzt wird. Alle Trainingsergebnisse inklusive der Pulswerte und Fragebögen kann der Patient mit dem PDA an den V-Net Med-Server übertragen und dem Arzt damit zur Verfügung stellen.

Zur Prüfung des Funktionsumfangs und der Systemstabilität wurde eine vierwöchigen Machbarkeitsstudie durchgeführt, an der zwei Teilnehmer einer Herzrehabilitations-Trainingsgruppe sowie ein Trainingsleiter teilnahmen. Nach Einweisung der Patienten in die Handhabung der PDAs und Fahrradergometer wurde mit ihnen ein Interview zu ihrer bisherigen Erfahrung mit Computern und ihren Erwartungen an das System geführt. Durch Systemprotokolle auf dem Server und den PDAs sowie einem extern installierten Programm zur Erreichbarkeisprüfung wurden Fehler und Störungen erfasst. Begleitend zur Studie erhielten alle Teilnehmer ein Tagebuch, in dem an jedem Studientag Fragen zu beantworten waren. Zu jedem Tag wurden mindestens drei Fragen zu technischen Problemen und Besonderheiten des jeweiligen Tages gestellt, insb. um die subjektive Verfügbarkeit der Systemkomponenten zu bestimmen. Dazu kamen an bestimmten Tagen Fragen zur Benutzbarkeit, der Akzeptanz und dem persönlichen Eindruck vom System und zu Verbesserungsmöglichkeiten. Nach Auswertung der Tagebücher fand ein zweites Interview mit den Teilnehmern statt, in dem die gesammelten Daten näher erörtert wurden. Schwerpunkte dieses Interviews waren die Akzeptanz des Systems durch den Teilnehmer und Verbesserungsvorschläge.

Ergebnisse

An der Studie nahmen ein 53 Jahre alter männlicher Patienten (Patient A) und eine 47 Jahre alte weibliche Patientin (Patient B) teil. Beide Patienten benutzen einen PC nur beruflich, Patient A beschreibt sich als unerfahrenen Computerbenutzer. Mit einem PDA hatten beide zuvor noch nie gearbeitet. Beide Patienten haben in der 4-wöchigen Studienzeit insgesamt 23 Verordnungen erhalten, 78 Fragebögen beantwortet und 48 Trainingsergebnisse übermittelt. Der durchschnittliche Abstand zwischen zwei Trainingseinheiten betrug 1,1 und 2,6 Tage. Die Auswertung der Log-Dateien ergab, dass alle Teilnehmer das System regelmäßig einsetzten. Die Auswertung der Tagebücher ergab eine durchschnittliche Bewertung der Bedienbarkeit von 2,94 bei einer Skala von 0 (=sehr schlecht) bis 4 (=sehr gut). Die Beurteilung der Bedienbarkeit über die Zeit ergab keine nennenswerte Differenz: Patienten und Therapeuten beurteilten sie von Anfang an mit „gut“ bis „sehr gut“ und blieben bei dieser Einschätzung. Die Übertragung der Daten vom PDA zum Server mittels UMTS verlief während der gesamten Studienzeit problemlos, die Übertragung der Daten vom Ergometer zum PDA über die Speicherkarte und über Funk vom Brustgurt zur Pulsbestimmung zum Ergometer erzeugte zu Beginn Probleme. Die gemessene Verfügbarkeit des Servers lag bei 100%. Aus Sicht des Therapeuten und Patient B hat sich durch das System die Kommunikation verbessert, während Patient A sie als unverändert bezeichnet. Die Patienten fühlten sich durch den Einsatz des Systems sicherer. Patienten und Therapeut würden auch in Zukunft das System weiter verwenden wollen. Alle würden den Einsatz des Systems Kollegen bzw. anderen Patienten weiterempfehlen. Zu funktionalen Erweiterungen befragt gab der Therapeut Funktionen zur Datenauswertung über mehrere Datensätze an, sowie einen Automatismus, der kritische Werte sofort meldet, da i.d.R. die Zeit nicht reicht, jeden Datensatz einzeln darauf zu untersuchen, ob Abweichungen gemessen wurden oder nur Artefakte. Bei der Darstellung der Ergebnisse der Fragebögen wäre eine Verlaufsdarstellung der erhobenen BORG-Werte und eine engere Verknüpfung mit den Trainingsdaten sinnvoll. Der Therapeut ist der Meinung, dass das System einen Beitrag zur Verbesserung der Behandlungsqualität leisten kann, da durch die Trainingsdaten medizinische Probleme (z.B. Herzrhythmusstörungen) frühzeitig zu erkennen sind. Die Möglichkeit, die Daten schnell abzurufen und umgehend mit neuen Trainingsprogrammen zu reagieren, wird als wichtig angesehen. Beide Patienten gaben an, den Einsatz des PDA nicht als Belastung zu empfinden, sondern gerne mit ihm gearbeitet zu haben. Z.T. wünschen sich die Patienten weiterführende Funktionalitäten zur Auswertung der Trainingsdaten in Bezug auf die Entwicklung der Leistungsfähigkeit. Beide Patienten wünschten einen Zugang zur eigenen elektronischen Akte über den heimischen PC.

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass das untersuchte System bereits stabil läuft und von Therapeuten- und Patientenseite als Unterstützung zum Rehabilitationsprogramm angesehen wird. Die Bedienbarkeit des PDA und MedicalClient ist bereits gut, benötigt aber partiell Verbesserungen. Alle Teilnehmer konnten den Umgang mit dem System schnell und unkompliziert lernen. Die regel- und gleichmäßige Verwendung des Systems sowie Aussagen der Patienten, dass das System bzw. der bessere Kontakt zum Therapeuten sie zu regelmäßigem Training motiviere, bekräftigen die Vermutung, dass das System einen positiven Effekt auf die Compliance der Patienten haben könnte. Des weiteren lässt sich mit dem System die Reaktionszeit auf problematische Trainingsergebnisse oder andere Parameter effektiv verkürzen: Im Schnitt erhielten die Patienten alle 2-3 Tage eine neue Verordnung. Als wesentliche Punkte der Erweiterung werden automatisierte Auswertungen im Sinne eines wissensbasierten Systems gesehen sowie komfortablere Auswertungsmöglichkeiten. Eine Erweiterung des Systems ist geplant ebenso wie eine auf den klinischen Nutzen ausgerichtete Studie.


Literatur

1.
Tegtbur U, Busse MW, Jung K, Pethig K, Haverich A. Time course of physical reconditioning during exercise rehabilitation late after heart transplantation. J Heart Lung Transplant. 2005 Mar;24(3):270-4.
2.
Ades PA, Pashkow FJ, Fletcher G, Pina IL, Zohman LR, Nestor JR. A controlled trial of cardiac rehabilitation in the home setting using electrocardiographic and voice transtelephonic monitoring. Am Heart J. 2000 Mar;139(3):543-8.
3.
Kortke H, Zittermann A, El-Arousy M, Zimmermann E, Wienecke E, Korfer R. Neues Ostwestfälisches Postoperatives Therapiekonzept (NOPT). Eine telemedizinisch betreute Studie zur ambulanten Rehabilitation von Patienten nach kardiochirurgischen Operationen. Med Klin (Munich). 2005 Jul 15;100(7):383-9.
4.
Bergmann J, Bott OJ, Hoffmann I, Pretschner DP. An eConsent-based System Architecture Supporting Cooperation in Integrated Healthcare Networks. Stud Health Technol Inform. 2005;116:961-6.
5.
ANSI/HL7 CDA, R2-2005. HL7 Clinical Document Architecture, Release 2.0. 2005.