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51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (gmds)

10. - 14.09.2006, Leipzig

Cisplatin versus Carboplatin bei der Behandlung von nichtkleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) im fortgeschrittenem Stadium

Meeting Abstract

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  • Vera Zietemann - UMIT, Institut für Public Health, Medical Decision Making und Health Technology Assessment, Hall in Tirol
  • Uwe Siebert - UMIT, Institut für Public Health, Medical Decision Making und Health Technology Assessment, Hall in Tirol
  • Thomas Duell - Asklepios Lungenfachklinik, Gauting

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (gmds). 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Leipzig, 10.-14.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06gmds073

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2006/06gmds148.shtml

Veröffentlicht: 1. September 2006

© 2006 Zietemann et al.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Lungenkrebs ist die häufigste zum Tode führende Krebserkrankung in Deutschland und zeichnet sich durch eine extrem schlechte Prognose aus. Eine Kombination neuerer zytostatischer Wirkstoffe wie Gemcitabin, Vinorelbine oder Taxanen mit den Platinsalzen Cisplatin oder Carboplatin hat sich weltweit als Standardtherapie etabliert. Je nach Kombination unterscheiden sich die Therapien in ihrem Toxizitätsprofil, nach wie vor ist aber nicht eindeutig geklärt, ob Cisplatin-basierte Therapien Carboplatin-haltigen Therapieregimen überlegen sind [1], [2]. Üblicherweise wird in klinischen Studien als Endpunkt sowohl die Ansprechrate, als auch das mediane Überleben in Abhängigkeit von der jeweiligen Behandlung untersucht. Hinsichtlich des Einsatzes der unterschiedlichen Platinsalze fand sich je nach Studie bzw. Design ein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Ansprechrate, jedoch nicht im Überleben [3], oder aber ein Unterschied im Überleben aber nicht in der Ansprechrate zugunsten von Cisplatin [4]. In einer im Jahr 2004 veröffentlichten Meta-Analyse mit fünf randomisierten klinischen Studien wurde gezeigt, dass Cisplatin insbesondere in der Ansprechrate (OR=1,38; 95%KI: 1,14-1,67), aber auch im allgemeinen Überleben (HR=1,11; 95%KI: 1,01-1,22) bei Kombination mit neueren Wirkstoffen Carboplatin überlegen sein könnte [5]. Diese Ergebnisse beruhen jedoch nicht auf der Analyse von Individualdaten, entsprechend wären weitere Studien zu dieser Thematik wünschenswert. In den letzten Jahren wurden einige Originalstudien veröffentlicht, bei denen jeweils Cisplatin oder Carboplatin mit unterschiedlichen Wirkstoffen kombiniert wurden [z.B. [6], [7], [8]]. Diese lieferten jedoch widersprüchliche Ergebnisse zum Vergleich der Platinsalze. Ziel dieser Studie ist daher der Vergleich von Cisplatin versus Carboplatin in Kombination mit neueren Wirkstoffen in Bezug auf Ansprechraten und insbesondere auf das Überleben.

Material und Methoden

In einer prospektiven Beobachtungsstudie wurden von Anfang 2003 bis einschließlich Anfang 2005 alle konsekutiven Patienten einer pneumologisch-onkologischen Station in einer Datenbank registriert (insgesamt 703 Patienten, wovon 594 an Lungenkrebs litten). Es wurden zum Aufnahmezeitpunkt demographische und erkrankungsspezifische Daten (z.B. Histologie, Symptome, Risikofaktoren, Metastasenlokalisationen) erhoben. Behandlungsart (Operation, Radiotherapie, Chemotherapie), Behandlungsdauer und Ansprechraten wurden getrennt für alle folgenden Behandlungszyklen notiert. In die Analysen wurden alle Patienten mit neu diagnostiziertem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) im Stadium IV oder Stadium IIIB mit Pleurakarzinose eingeschlossen, die entweder Cisplatin oder Carboplatin in Kombination mit einem anderen Wirkstoffen erhielten. Als Zielgröße wurden Ansprechrate (Best Response) und Überlebenszeit untersucht. Für bivariate Analysen wurden der Chi-Quadrat-Test (bzw. falls erforderlich der Fisher-Exakt-Test) und die Kaplan-Meier-Methode mit Log-Rank-Test angewendet. Als multivariate Analysen kamen für die Analyse der besten Ansprechrate die logistische Regression und für Überlebenszeitanalysen die Cox-Proportional Hazard-Regression zum Einsatz (Vorwärtsselektion). Durch bivariate Analysen wurden die möglichen Confounder Geschlecht, Alter, KIN, Gewichtsabnahme als Symptom, NSCLC-Subtyp und Rauchverhalten identifiziert und wurden bei multivariaten Analysen berücksichtigt. Da für KIN die Proportional-Hazard Annahme verletzt war, wurde bei den Cox-Regressionen nach KIN stratifiziert. Wegen Hinweisen auf eine Verletzung der Proportional-Hazard Annahme beim Vergleich von Cisplatin versus Carboplatin wurde zusätzlich eine Analyse mit dem erweiterten Cox-Modell unter Berücksichtigung der Wechselwirkung der Behandlung mit der Zeit durchgeführt. Alle Tests erfolgten zweiseitig auf einem a-Niveau von 5%.

Ergebnisse

Insgesamt umfasst die Analyse 182 Patienten; 61 Patienten erhielten eine Therapie mit Cisplatin (25 in Kombination mit Vinorelbin, 32 mit Gemcitabin und 4 mit anderen Kombinationspartnern), 121 Patienten eine Therapie mit Carboplatin (52 in Kombination mit Vinorelbin, 17 mit Gemcitabin, 48 mit Paclitaxel und 4 mit anderen Kombinationspartnern). 32% der Patienten wurden im Rahmen einer jeweils aktuell an der Klinik laufenden klinischen Studie behandelt (Cisplatin: 28%, Carboplatin: 34%). 67% der Patienten waren Männer, das mediane Alter bei Diagnose lag bei 64 Jahren, 51% der Patienten hatten ein KIN von mindestens 90 und 77% der Patienten waren zum Diagnosezeitpunkt Raucher. Bei 55% wurde Adenokarzinom und bei 27% Plattenepithelkarzinom diagnostiziert. Die beiden Behandlungsgruppen unterschieden sich signifikant im Alter bei Diagnosestellung (Cisplatin: 59 Jahre, Carboplatin: 66 Jahre) und im KIN (KIN von mindestens 90: Cisplatin: 64%, Carboplatin: 45%).

Bezüglich der besten Ansprechrate (172 Patienten, 95% der Patienten mit Cisplatin- und 94% mit Carboplatinbehandlung) konnte bei der univariaten Analyse kein signifikanter Unterschied zwischen Cisplatin und Carboplatin gefunden werden (p=0,064). Unter Cisplatinbehandlung zeigten 45% ein partielles Ansprechen, 24% eine Krankheitsstabilisierung und 16% eine Progression; 2% waren nicht beurteilbar. Nach Carboplatinbehandlung zeigten 32% ein partielles Ansprechen, 35% eine Krankheitsstabilisierung und 21% eine Progression; 12% waren nicht beurteilbar. Sowohl bei logistischer Regression (Gruppe “partielle Remission oder stabile Erkrankung” versus Gruppe “Progression oder nicht beurteilbar”), als auch bei ordinaler logistischer Regression (ohne die Gruppe “nicht beurteilbar”) konnte kein signifikanter Unterschied zwischen Cisplatin- oder Carboplatinbehandlung hinsichtlich des besten Ansprechens festgestellt werden (p>0,29). Als Prädiktoren für eine gute Ansprechrate wurden das Alter und ein Gewichtsverlust vor Diagnose identifiziert.

Die Überlebenszeitkurven zeigten einen signifikanten Unterschied zu Gunsten der Cisplatinbehandlung (Log-Rank-Test: p=0,009). Die mediane Überlebenszeit seit Diagnosestellung lag bei Cisplatinbehandlung bei 453 Tagen (95%KI: 352-555), bei Carboplatinbehandlung bei 288 Tagen (95%KI: 225-342). Die Cox-Regression (mit Adjustierung für Geschlecht, Alter, KIN und Gewichtsverlust) bestätigte den signifikanten Unterschied zu Gunsten einer Cisplatinbehandlung (HR= 2,365; 95%KI: 1,41-3,97). Beim erweiterten Cox-Modell wurden folgende HRs erhalten: für <6 Monate: 3,09 (95% KI: 1,26-7,62), für 6-12 Monate: 2,63 (95% KI: 1,27-5,45) und für >12 Monate: 2,38 (95% KI: 0,72-7,89), stets zu Gunsten von Cisplatinbehandlung. Da es sich nicht um eine randomisierte Studie handelt, wurden Sensitivitätsanalysen mit Restriktion auf jüngere Personen (unter 70 Jahre, n=137), Personen mit einem besseren Performance Score (KIN von mindestens 80, n=149) und Personen ohne Symptomen von Gewichtsverlust (n=124) durchgeführt. Bei allen Sensitivitätsanalysen bestätigte sich ein HR>2 zu Gunsten einer Cisplatinbehandlung (p<0,05).

Um einen möglichen Einfluss einer Zweitlinientherapie (d.h. einer weiteren Behandlung mit z.B. Docetaxel oder Gemcitabin) auf die Überlebenszeitanalyse zu erfassen, wurde diese mit den Patienten wiederholt, die mindestens eine weiterführende Therapie nach der Primärtherapie mit Cisplatin- oder Carboplatinbehandlung erhielten. 79% der Patienten mit Cisplatinbehandlung erhielten mindestens eine Zweittherapie, bei Carboplatinbehandlung waren dies 64% (p=0,0497). Wurden in den Überlebenszeitanalysen nur Patienten berücksichtigt, die mindestens eine Zweitlinientherapie erhielten (48 Patienten mit Cisplatin, 78 Patienten mit Carboplatin), so zeigt sich noch immer ein besseres Überleben bei Cisplatin- im Vergleich zu Carboplatinbehandlung (HR=2,02; 95%KI: 1,13-3,63).

Diskussion und Ausblick

Die Ergebnisse dieser Beobachtungsstudie deuten auf einen signifikanten Überlebensvorteil bei Behandlung mit Cisplatin im Vergleich zur Behandlung mit Carboplatin hin. Dagegen waren die Unterschiede im Ansprechen je nach Medikation wenig deutlich ausgeprägt. Diese Studie hat verschiedene Limitationen. Ob und wie die Ansprechrate nach dem ersten Therapiezyklus eine Vorhersage auf das Überleben in Abhängigkeit von der Behandlung erlaubt, kann nicht mit Cox-Regressionen geklärt werden, da die Ansprechrate eine intermediäre Variable darstellt. Zur Trennung der Effekte der Primärtherapie und der darauf folgenden Therapien ist die Anwendung kausaler Modelle (Structural Models mit G-Estimation) zur Identifikation von zeitabhängigem Confounding notwendig [9]. Bei ausreichender Datenbasis sind entsprechende Analysen geplant. Des Weiteren sollen Analysen durchgeführt werden, die nach unterschiedlichen systemischen Primär-, Zweit- und Drittlinientherapien stratifiziert sind. Die Literatur liefert kaum Daten für die Effektivität spezieller sequentieller Behandlungsregime, da in der Regel nur die Wirksamkeit der Primärtherapie untersucht wird.


Literatur

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Schiller JH, Harrington D, Belani CP, Langer C, Sandler A, Krook J et al. Comparison of four chemotherapy regimens for advanced non-sammlcell lung cancer. N Engl J Med 2002, 346: 92-8.
2.
Tiseo M, Boni L, Ardizzoni A. Platinum-based versus non-platinum-based chemotherapy in advanced non-small-cell-lung cancer: does cisplatin versus carboplatin make a difference? J Clin Oncol 2005, 23(25): 6276-7.
3.
Fossella F, Pereira JR, von Pawel J, Pluzanska A, Gorbounova V, Kaukel E et al. Randomized, multinational, phase III study of docetaxel plus platinum combinations versus vinorelbine plus cisplatin for advanced non-small-cell lung cancer: the TAX 326 study group. J Clin Oncol 2003, 21: 3016-24.
4.
Rosell R, Gatzemeier U, Betticher DC, Keppler U, Macha HN, Pirker R et al. Phase III randomised trial comparing paclitaxel/carboplatin with paclitaxel/cisplatin in patients with advanced non-small-cell lung cancer: a kooperative multinational trail. Annals of Oncology 2002, 13: 1539-49.
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Scagliotti GV, Marinis FD, Rinaldi M, Crino L, Gridelli C, Ricci S et al. Phase III randomized trial comparing three platinum-based doublets in advanced non-small-cell lung cancer. J Clin Oncol 2002, 20: 4285-91.
8.
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9.
Robins JM, Hernan MA, Bumback B. Marginal structural models and causal inference in epidemiology. Epidemiology 2000, 11(5): 550-60.