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51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (gmds)

10. - 14.09.2006, Leipzig

Navigated Control, mechatronische Assistenz in der NNH-Chirurgie

Meeting Abstract

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  • Kirill Koulechov - TU München, Garching
  • Tim C. Lueth - TU München, Garching

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (gmds). 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Leipzig, 10.-14.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06gmds243

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2006/06gmds082.shtml

Veröffentlicht: 1. September 2006

© 2006 Koulechov et al.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Das Ziel der in diesem Beitrag präsentierten Arbeit ist die Verbesserung der Sicherheit für den Patienten und die Verringerung der Belastung des Chirurgen in der Funktionale Endoskopische Sinuschirurgie (FESS). Die FESS ist einer der häufigsten operativen Eingriffe in der Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. Bei der FESS wird die entzündete Schleimhaut (Polypen) mit einer langen Zange (Blackesley) oder mit einem motorgetriebenen Drehmesser (Shaver) entfernt. Dabei besteht das Risiko, benachbarte sensible Organe zu beschädigen, z.B. an der Schädelbasis zum Gehirn oder an der Orbita zum Auge durchzubrechen und diese Organe zu verletzen. Das Problem liegt darin, sicher zu erkennen, ob der Chirurg optisch sichtbare anatomische Strukturen mit seinen Instrumenten durchbrechen darf oder nicht. Dieses Problem leitet sich aus der sehr komplexen Anatomie der Nasennebenhöhlen ab, die sehr individuell ausgeprägt ist und wo auf engstem Raum sensible, zu schützende anatomische Strukturen nahe zu dem zu entfernenden Gewebe liegen.

In den letzten Jahren hat sich der Einsatz von Navigationssystemen verbreitet [1]. Dabei kann der Chirurg mit speziellen Instrumenten, deren Position vom meist optischen Sensor des Navigationssystems berechnet wird, die Knochen berühren. Die Position des Instruments wird auf einem Monitor in den CT-Daten eingeblendet. Dadurch kann der Arzt den berührten Knochen sicher identifizieren. Allerdings benötigt die Benutzung des Navigationssystems eine intraoperative Auswertung und Bewertung der CT-Daten durch den Chirurgen. Diese kognitive Belastung ist einerseits unergonomisch, da hierdurch der Chirurg vom eigentlichen Operationsablauf abgelenkt wird und vom Patienten auf den meist in einiger Entfernung stehenden Monitor blicken muss. Andererseits sind hierbei Fehler nicht ausgeschlossen, da bereits der gewöhnliche Ablauf den Chirurgen belastet und beansprucht.

Material und Methoden

Das Ziel des in diesem Beitrag beschriebenen Systems (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) ist es, den Chirurgen zu entlasten und die Patientensicherheit zu erhöhen. Das System setzt dafür das Verfahren Navigated Control ein, das als erstes in [2] beschrieben wurde. Das Prinzip von Navigated Control ist es, die Leistung chirurgischer Instrumente zu minimieren, wenn Sie falsch positioniert sind. Wenn der Arzt den Shaver, der für das Entfernen von Polypen eingesetzt wird, an einer gefährdeten Struktur hält, dann wird der Shaver automatisch abgeschaltet. Wenn der Arzt den Shaver am Polypen hält, der während des chirurgischen Eingriffs entfernt werden soll, dann kann der Shaver eingeschaltet werden, und der Polyp kann entfernt werden.

Die Unterscheidung zwischen dem erlaubten und dem verbotenen Arbeitsgebiet des Shavers erfolgt anhand einer präoperativen Planung (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Der Chirurg erstellt vor dem chirurgischen Eingriff einen Arbeitsraum, in dem der Shaver eingesetzt werden kann. Dafür wurde eine Planungssoftware entwickelt, die CT-Daten visualisiert, und bei der der Chirurg Eckpunkte des Arbeitsraums in diesen CT-Daten festlegen kann. Dabei wurde aus Sicherheitsgründen auf automatische Segmentierungsalgorithmen verzichtet, so dass die Entscheidung welches Gebiet durch den Shaver bearbeitet werden soll und welches geschützt werden soll tatsächlich vom Chirurgen getroffen wird. Stattdessen wurde die Festlegung des Arbeitsraums derart auf die Bedürfnisse der FESS optimiert, dass eine Planung innerhalb einer vom Chirurgen akzeptierten Zeit von 5 Minuten erstellt werden kann.

Aus dem präoperativen Arbeitsraum wird ein Voxelvolumen berechnet. Während des chirurgischen Eingriffs werden die Position des Shavers und die Position des Patienten von einem Navigationssystem vermessen. Die Koordinatentransformation zwischen dem Koordinatensystem des präoperativ festgelegten Arbeitsraums und der intraoperativen Position des Patienten erfolgt durch eine Patientenregistrierung, die künstliche Landmarken verwendet, die in einer Bissschiene befestigt sind [3]. Durch die Benutzung eines Voxelvolumen statt eines oberflächenbasierten Arbeitsraums konnten echtzeitfähige Algorithmen für die Berechnung der relativen Position des Shavers zum Arbeitsraum realisiert werden. Die Komplexität des Modells kann einfach durch die bekannte Größe der CT-Daten abgeschätzt werden. Bei einem oberflächenbasierten Arbeitsraum hingegen hängt die Komplexität des Modells und somit die Laufzeit der Algorithmen von dem Detaillierungsgrad des durch den Arzt erzeugten Arbeitsraums.

Wenn die Spitze des Shavers sich innerhalb des Voxelvolumens befindet, dann wird der Shaver abgeschaltet. Befindet sich die Shaverspitze außerhalb des Voxelvolumens, dann kann der Arzt den Shaver über ein Fußpedal ein- und ausschalten. Für diese Funktionalität wurde eine Navigated Control Unit entwickelt, die die Hardwarekomponenten Navigationssystem und Shaver verbindet und den Shaver steuert (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]). Die Navigated Control Unit kommuniziert mit dem Navigationssystem, auf dem die Algorithmen für die Freigabe des Shavers ausgeführt werden. Wenn der Shaver außerhalb des Arbeitsraums ist, dann bekommt die Navigated Control Unit ein entsprechendes Kommando und schaltet den Shaver ab. Um die hohen Anforderungen an die Sicherheit zu erfüllen, wurden Kernkomponenten der Navigated Control Unit redundant ausgelegt. So erfolgt z.B. die Abschaltung des Shavers in mehreren Stufen. Schlägt die erste Abschaltung z.B. aufgrund einer falschen Verkabelung fehl, dann wird das durch einen der redundanten Sensoren detektiert, und die Stromzufuhr zum Shaver wird komplett unterbrochen.

Ergebnisse

Zunächst wurden die Eigenschaften des Systems in technischen Experimenten untersucht. Die Kliniktauglichkeit der Planung wurde durch die Auswertung der Planungsgeschwindigkeit nachgewiesen. Dabei wurde die Zeit gemessen, die ein erfahrener HNO-Chirurg für eine Segmentierung benötigt. Dafür wurden CT-Aufnahmen zu behandelnder Patienten verwendet. Der Operateur musste die Segmentierung so schnell wie möglich nach eigenem Ermessen durchführen und abspeichern. Der Arzt hatte vor dem Experiment keine Erfahrungen mit dem Planungsmodul, die für die Segmentierung notwendigen Schritte wurden unmittelbar vor dem Experiment erläutert. Bis auf die erste wurden alle Segmentierungen in einer kürzeren Zeit als die geforderte Maximalzeit von 5 min. durchgeführt. Die durchschnittliche Segmentierzeit ist mit 4:30 min. ebenfalls deutlich kleiner als die vorgegebene Maximalzeit.

In einem zweiten technischen Experiment wurde die Genauigkeit des Systems experimentell bestimmt und ausgewertet. Es wurden 5 Messkörper für 5 abzutragende Kavitäten erstellt. Bei der Abtragung der Kavität mit Navigated Control wurde der Hartschaum so lange abgetragen, bis der Shaver durch das System abgeschaltet wurde. Die Kavität wurde nach Möglichkeit vollständig abgetragen. Jede einzelne der fünf Wände der Kavitäten wurde mit einer Koordinatenmessmaschine vermessen. Es wurden pro Wand ca. 90 Punkte gemessen, wobei die Anzahl der Punkte in Abhängigkeit von der Erreichbarkeit mit dem Tastkopf variierte. Die Abbildung 4 [Abb. 4] stellt beispielhaft die Punkte der abgetasteten Wände relativ zur geplanten Kavität dar. Der maximale durchschnittliche Fehler bei der Überschreitung der geplanten Kavität liegt bei 0,4 mm. Die maximale Überschreitung der Begrenzung beträgt 1,8 mm. Die gestellten Genauigkeitsanforderungen an das System wurden erfüllt: (1) Die durchschnittliche Abweichung ist besser als 1 mm, (2) die maximale Abweichung ist besser als 2 mm.

In weiteren Experimenten wurde das System am Universitätsklinikum Leipzig erfolgreich an 10 Patienten eingesetzt. Dabei wurde ausgewertet, ob es Probleme bei der klinischen Integration gibt, und ob das System sich für die tägliche Routine. Alle 10 Patienten konnten erfolgreich behandelt werden. Das System schaltete den Shaver an den vorgesehenen Stellen ab. Aus klinischer Sicht erschien vor allem die Patientenregistrierung verbesserungswürdig, die die Verwendung einer in der HNO-Chirurgie unüblichen Bissschiene erfordert. Allerdings bietet zurzeit nur die verwendete Bissschiene die Möglichkeit einer nicht invasiven, genauen Patientenregistrierung mit eine Endgenauigkeit von besser als 1mm [3].

Diskussion

Die Anwendung von Navigated Control für die Funktionale Endoskopische Sinuschirurgie erlaubt es, die Patientensicherheit zu erhöhen und gleichzeitig den Chirurgen während des chirurgischen Eingriffs zu entlasten. Die Erhöhung der Patientensicherheit erfolgt durch die Abschaltung des Shavers bei Überschreitung der präoperativ festgelegten Grenzen. Der Chirurg wird entlastet, da er wie gewohnt, ohne die Beachtung des Navigationssystems, arbeiten kann. Erst bei der Annäherung des Instruments an eine gefährdete anatomische Struktur greift das System selbständig ein. Dadurch ist der Chirurg kognitiv entlastet, da er von der kontinuierlichen Evaluierung und Bewertung der Instrumentenposition relativ zu den CT-Daten befreit ist.


Literatur

1.
Majdani O, Leinung M, Lenarz T, Heermann R. Navigationsgestützte Chirurgie im Kopf- und Hals-Bereich. Laryngo-Rhino-Otologie. 2003;82: 632-644.
2.
Lüth T, Bier J, Bier A, Hein A. Verfahren und Gerätesystem zum Materialabtrag oder zur Materialbearbeitung, Patent DE. 101 17 403 C2. 2001.
3.
Schermeier O, Lueth TC, Glagau J, Szymanski D, Tita R, Hildebrandt D, Klein M, Nelson K, Bier J. Automatic patient registration in computer assisted maxillofacial surgery. mmVR Medicine Meets Virtual Reality, Newport Beach, USA. Jan. 23. - 26. Re-printed In: JD Westwood, GT Mogel, HM Hoffman (Ed.). Proceeding of Medicine Meets Virtual Reality. 2002: IOS Press. pp. 461-468.