gms | German Medical Science

49. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
19. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI)
Jahrestagung 2004 des Arbeitskreises Medizinische Informatik (ÖAKMI)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Schweizerische Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI)

26. bis 30.09.2004, Innsbruck/Tirol

Inkrementelle Kosten der konservativen gegenüber der chirurgischen Versorgung von Collumfrakturen aus Sicht der Leistungserstatter

Meeting Abstract (gmds2004)

  • corresponding author presenting/speaker Frank Krummenauer - Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik der Universität Mainz, Mainz, Deutschland
  • Sarmad Said - Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik der Universität Mainz, Mainz, Deutschland
  • Torsten Reichert - Klinik und Poliklinik für Mund-/Kiefer-/Gesichtschirurgie, Mainz, Deutschland
  • Bilal Al-Nawas - Klinik und Poliklinik für Mund-/Kiefer-Gesichtschirurgie, Mainz, Deutschland

Kooperative Versorgung - Vernetzte Forschung - Ubiquitäre Information. 49. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 19. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI) und Jahrestagung 2004 des Arbeitskreises Medizinische Informatik (ÖAKMI) der Österreichischen Computer Gesellschaft (OCG) und der Österreichischen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (ÖGBMT). Innsbruck, 26.-30.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04gmds354

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2004/04gmds354.shtml

Veröffentlicht: 14. September 2004

© 2004 Krummenauer et al.
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Gliederung

Text

Einleitung

Für die Versorgung von Collumfrakturen stehen zwei grundsätzlich verschiedene Therapiekonzepte zur Verfügung: Einerseits ist eine operative Vorgehensweise möglich, bei der die Stabilisierung der Collumfraktur durch eine Osteosyntheseplatte im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs erfolgt. Alternativ kann jedoch auch eine ausschließlich konservative Strategie verfolgt werden, wobei die Ruhigstellung des frakturierten Segments durch eine „Verschnürung" der Ober- auf die Unterkieferzähne mit Drähten (intermaxilläre Fixation) erreicht wird. Während die Operation für den Patienten dabei sicher initial belastender ist, kann jedoch davon ausgegangen werden, dass bereits sehr bald nach dem Eingriff die Lebensqualität der chirurgisch versorgten Patienten stark ansteigt: Es erfolgt eine viel schnellere kaufunktionelle Rehabilitation, während konservativ versorgte Patienten im Zeitraum ihrer initialen Therapie von circa 12 Wochen keine Kaufunktion nutzen können.

Kürzlich hat sich in einer retrospektiven Kohortenstudie an konservativ und chirurgisch versorgten Collumfrakturen kein Unterschied im klinischen Ergebnis hinsichtlich der langfristigen funktionellen Rehabilitation des Collum/Kiefer-Bereichs abgezeichnet (Reichert TE; Ergebnisse noch unveröffentlicht). Gleichzeitig sind für die chirurgische Versorgung wesentlich höhere Kosten zu erwarten durch den Operations-bedingt längeren stationären Aufenthalt.

Vor diesem Hintergrund erschien ein Kosteneffektivtäts-Vergleich an diesen Collumfraktur-Patienten der Klinik für Mund-/Kiefer-/Gesichtschirurgie der Universität Mainz motiviert, welcher die direkten Kosten für die Versorgung der Patienten mit deren klinischem Ergebnis einer einjährigen Nachbeobachtung in Relation setzen sollte. Hierbei sollte das klinische Ergebnis am „Helkimo-Index", einer Skala zur Funktionalität des Collum/Kiefer-Bereichs, festgemacht werden [1].

Methoden

Im Zeitraum 01/2002 - 12/2002 wurden 21 Collumfrakturen konservativ und 26 chirurgisch versorgt; das konservativ behandelte Kollektiv zeigte ein medianes Alter von 26 Jahren (Interquartilspanne 17 - 36 Jahre), das chirurgisch behandelte von 31 Jahren (20 - 40 Jahre). Alle Patienten wurden 6 Monate nach Beginn der initialen Versorgung nachuntersucht, wobei vom behandelnden Kieferchirurgen zum einen global der Konsolidierungsgrad der Fraktur mit einer Schulnote von 1 - 6 bewertet wurde, zum anderen in einer differenzierten Untersuchung des Kiefer-/Collum-Bereiches eine Bewertung hinsichtlich funktioneller Aspekte wie Kauflexibilität und Mundöffnungswinkel vorgenommen wurde. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden im „Helkimo-Index", einer Nutzenwertskala mit Wertebereich von 0.0 bis 1.0 (= bestmögliche Funktion in allen betrachteten Aspekten) zusammengefaßt, der als primärer Endpunkt klinischer Studien zur funktionellen Rehabilitation des Kiefers anerkannt ist [1]. Die direkten Kosten für die jeweils erbrachte Versorgung (initiale Therapie, Nachsorge-Konsultationen, Medikationen etc.) wurden der Abrechnung der Klinik mit den Leistungserstattern entnommen.

Primärer klinischer Endpunkt der Untersuchung war das Ergebnis im Helkimo-Index, primärer ökonomischer Endpunkt waren die inkrementellen direkten Kosten pro gewonnenem, an die Ergebnisse laut Helkimo-Index als Nutzenwert des Eingriffs adjustiertem Lebensjahr (QALY) aus Perspektive der Leistungserstatter.

Ergebnisse

Einen als „gut" oder „sehr gut" attestierten Konsolidierungsgrad der Fraktur zeigten 12 Monate nach Therapiebeginn 62% der konservativ und 65% der chirurgisch versorgten Patienten (Fisher-Test p=1.000). Bei dieser Untersuchung ergab sich für die konservativ versorgten Patienten ein medianer Helkimo-Index von 0.89 (0.78 - 0.99) und von 0.82 (0.73 - 1.00) für die chirurgisch versorgten Patienten. Dieser Unterschied im Nutzenwert zeigte sich auch nach Korrektur für mögliche Confounder wie dem Alter, dem Alkohol- und Tabakkonsum und dem Berufs-bezogenen Sozialstatus der Patienten als nicht statistisch signifikant (Ergebnis des Likelihood Ratio-Tests einer unbedingten logistischen Regression nach Vorwärts-Selektion p=0.320). Summarisch zeigte sich ein Gewinn von 0.07 Nutzenwert-Einheiten zwischen den beiden Therapien. Bei Annahme einer Lebenserwartung von 85 Jahren ergab sich ein medianer Nutzen von 52.5 QALYs für die konservativ und von 44.3 QALYs für die chirurgisch versorgten Patienten, mithin ein Unterschied von 8.2 QALYs zugunsten der konservativen Versorgung. Wird dieser Nutzen mit einer jährlichen Rate von 3% diskontiert, ergibt sich ein medianer Unterschied von 24.7 QALYs (konservativ) versus 22.1 QALYs (chirurgisch), d.h. ein diskontierter Nutzengewinn von 2.6 QALYs durch die konservative Versorgung.

Im Median sind für die Leistungserstatter direkte Kosten von 1.916 (1259 - 2565) € für die konservative Versorgung einer Collumfraktur gegenüber 4.722 (2.769 - 6781) € für deren chirurgische Versorgung angefallen (Likelihood Ratio-Test p<0.001 nach Korrektur für potentielle Confounder). Bezogen auf die Helkimo-baiserten Nutzenwerte resultierten somit Mehrkosten von 1079 € pro durch die chirurgische Therapie gegenüber der konservativen verlorenem QALY.

Diskussion

Derzeit bestehen keine Hinweise auf einen klinisch relevanten Vorteil durch die chirurgische Versorgung von Collumfrakturen hinsichtlich des funktionellen klinischen Ergebnisses gegenüber der konservativen Therapie. Gleichzeitig zeigen sich für die chirurgische Versorgung spürbar höhere Kosten durch den Operations-bedingten Aufwand und die längere stationäre Aufenthaltszeit zur initialen Therapie. Dem entsprechend hat obige Schätzung der inkrementellen Kosten pro Qualitäts-adjustiertem Lebensjahr eine deutlich bessere Kosteneffektivität der konservativen Versorgung ergeben mit medianen marginalen Kosten von 2153 € pro QALY gegenüber 5759 € pro QALY.

Unberücksichtigt bleibt bei dieser Darstellung jedoch der zumindest kurzfristige Nutzen der chirurgisch versorgten Patienten durch deren merklich frühere (!) funktionelle Rehabilitation: Die obigen Nutzenwerte wurden erst 6 Monate nach Beginn der initialen Therapie erhoben. Zu diesem Zeitpunkt zeigen auch die konservativ versorgten Patienten bereits ein befriedigendes funktionelles Ergebnis; es steht jedoch direkt oder wenige Wochen nach Ende der initialen Therapie eine merkliche Einschränkung der Lebensqualität konservativ versorgter Patienten zu erwarten. In diesem Sinne war die zeitliche Fixierung der primären Endpunkte in der hier präsentierten Kohortenstudie nur begrenzt geeignet, um den kurzfristigen Nutzen der chirurgischen Therapie gegenüber der konservativen abbilden zu können. Aus diesem Grund sollte in prospektiven randomisierten Studien zur Validierung oben geschilderter Ergebnisse auch der Kurzzeit-Nutzen erhoben und in die Gesamtschätzung der inkrementellen Kosten eingebracht werden. Da jedoch primär im Kurzzeitfenster von 3 Monaten von einem inversen Nutzenverhältnis (verglichen mit obigem Ergebnis zugunsten der konservativen Versorgung) ausgegangen werden kann, wird sich die Größenordnung der inkrementellen Kosten pro QALY kaum ändern angesichts der hohen Restlebenserwartung des betrachteten Kollektivs.

Schließlich muss betont werden, daß die oben geschilderten Ergebnisse nur auf einer retrospektiven Kohortenstudie beruhen - alleine zur Verifizierung der Vermutung, dass sich das klinische Ergebnis zwischen den Kollektiven nicht relevant unterscheidet, scheint eine randomisierte Nachfolgestudie zwingend. Angesichts der recht geringen Inzidenz randomisierbarer Collumfrakturen wäre dieser Ansatz in jedem Fall multizentrisch zu wählen. Insbesondere könnte in diesem Ansatz auch die Lebensqualität der Patienten besser abgebildet werden als mit dem hier einmalig erhobenen Surrogat-Nutzenwert auf der Basis des Helkimo-Index: Sowohl die zeitliche Entwicklung der Lebensqualität wie auch des funktionellen Nutzens im Sinne des Helkimo-Index könnten dann in dreimonatigen Nachuntersuchungen prospektiv in den Kosteneffektivitäts-Vergleich eingebracht werden.


Literatur

1.
Helkimo M. Studies on function and dysfunction of the masticatory system. I. An epidemiological investigation of symptoms of dysfunction in Lapps in the North of Finland. Proc Finn Dent Soc 1974; 47: 37-49.