gms | German Medical Science

49. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
19. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI)
Jahrestagung 2004 des Arbeitskreises Medizinische Informatik (ÖAKMI)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Schweizerische Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI)

26. bis 30.09.2004, Innsbruck/Tirol

Das Marfan-Syndrom: Eine diagnostische Herausforderung bedingt durch phänotypische und genetische Vielfalt

Meeting Abstract (gmds2004)

  • corresponding author presenting/speaker Christian Baumgartner - Medizinische Universität Innsbruck, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Abteilung für Pädiatrische Kardiologie, Innsbruck, Österreich
  • Daniela Baumgartner - Medizinische Universität Innsbruck, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Abteilung für Pädiatrische Kardiologie, Innsbruck, Österreich
  • Gabor Matyas - Institut für Medizinische Genetik, Universität Zürich, Zürich, Schweiz
  • Beat Steinmann - Universitätskinderspital Zürich, Abteilung für Stoffwechsel und Molekulare Pädiatrie, Zürich, Schweiz

Kooperative Versorgung - Vernetzte Forschung - Ubiquitäre Information. 49. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 19. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik (SGMI) und Jahrestagung 2004 des Arbeitskreises Medizinische Informatik (ÖAKMI) der Österreichischen Computer Gesellschaft (OCG) und der Österreichischen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (ÖGBMT). Innsbruck, 26.-30.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04gmds083

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2004/04gmds083.shtml

Veröffentlicht: 14. September 2004

© 2004 Baumgartner et al.
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Gliederung

Text

Einleitung

Das Marfan-Syndrom (MFS, OMIM #154700) ist eine autosomal dominant vererbte Bindegewebskrankheit mit derzeit ~ 600 bekannten Mutationen des Fibrillin-1 (FBN1) Gens auf Chromosom 15. Es manifestiert sich durch Veränderungen im kardiovaskulären System (Aortenwanddysfunktion, Mitralklappenprolaps), am Skelettsystem und am Auge. Die Diagnose wird klinisch anhand eines Symptomenkataloges (Genter Nosologie) gestellt [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7]. Mehr als 80% der MFS-Patienten versterben plötzlich durch aortale Komplikation wie Dissektion oder Ruptur [8]. An der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Innsbruck werden seit dem Jahr 2000 Daten aus unterschiedlichen diagnostischen Verfahren in einer Datenbank mit dem Ziel zusammengeführt, ein genaueres Regelsystem von Kriterien durch Analyse des gesamten Datenbestandes zu ermitteln, um (i) die Sensitivität und Spezifität der Diagnostik zu erhöhen, (ii) den Zeitpunkt chirurgischer Eingriffe zu optimieren und (iii) weitere Aufschlüsse über die Variabilität der Krankheitsausprägung durch Genotyp-Phänotyp-Untersuchungen zu gewinnen.

Methoden

Zur Abklärung des Elastizitätsverlustes werden mittels M-Mode Echokardiographie die herzzyklusabhängigen Durchmesseränderungen von Aorta ascendens und descendens aus parasternalen Längsschnitten nicht-invasiv gleichzeitig mit einer oszillometrischen Blutdruckmessung registriert. Mit Hilfe einer eigens entwickelten Aortenkonturanalyse-Software werden aus den M-Mode Bildern folgende Parameter in beiden Aortenabschnitten bestimmt: Die enddiastolischen Durchmesser [mm], die systolische Durchmesserzunahme [%], die Distensibilität [kPa-1·10-3], der Steifigkeitsindex, die maximale systolische Querschnittsflächenzunahme [%/100ms] sowie maximaler Betrag und Phase der über den Herzzyklus registrierten Durchmesservektorschleife [%, °]. Diese Vektoraortographie ermöglicht eine Visualisierung von Ort und Ausmaß des aortalen Elastizitätsverlustes [9]. Entsprechend der Genter Nosologie werden skelettale Haupt- und Nebenkriterien wie z.B. Skoliose, Trichterbrust, Dysproportioniertheit, Spinnenfingrigkeit, u.a.m., sowie das Vorliegen eines Mitralklappenprolapses, einer Linsensubluxation, einer Duraektasie oder eines Spontanpneumothorax diagnostisch abgeklärt. Die Mutationsanalyse, durchgeführt mittels DHPLC-Vorscreening (denaturing high-performance liquid chromatography), gefolgt von DNA-Sequenzierung der abnormen Amplikons, beschreibt die Lokalisation, den Typ sowie die prädiktive Konsequenz der detektierten FBN1-Mutation auf Proteinebene [10]. Binär logistische Regressionsmodelle, die rein auf aortalen Parametern basieren, wurden als diagnostische Entscheidungshilfen und als prognostische Indikatoren für das Voranschreiten der aortalen Elastizitätseinschränkungen etabliert.

Ergebnisse

32 Patienten mit klinisch diagnostiziertem MFS im Alter zwischen 2 und 41 Jahren wurden einer gematchten Gruppe von Herzgesunden gegenübergestellt. Die MFS Patienten zeigten in der Aorta ascendens um bis zu 60%, in der Aorta descendens um ca. 30% verringerte Elastizitätswerte (p<0.05). 89% wiesen einen erweiterten Bulbus aortae auf, 42% eine dilatierte Aorta ascendens. 84% der Patienten hatten einen Mitralklappenprolaps. 90% zeigten skelettale Veränderungen, 58% erfüllten die Hauptkriterien der Genter Nosologie. Bei 53% konnte eine Ektopia lentis nachgewiesen werden; 58% der Patienten haben MFS-betroffene Familienangehörige. Das beste logistische Regressionsmodell zeigte mit einer Sensitivität und Spezifität von jeweils 95% eine hohe diagnostische Aussagekraft.

Tab. 1 [Tab. 1] stellt den Genotyp sowie die beobachteten kardiovaskulären, orthopädischen und ophthalmologischen Symptome dreier unterschiedlicher Mutationen am Beispiel dreier Familien gegenüber. In Familie 1 (7801C>T; Q2601X) sind MKP, Phase < 75°, LS und Skelettkriterien zu beobachten, während in Familie 2 (344C>G; S115C) MKP und Skelettkriterien fehlen und die Phase ≥ 65° beträgt. In Familie 3 (508delT; frameshift + PTC) fehlt die LS, die Phase streut relativ wenig um den Mittelwert gesunder Kontrollpersonen durch ca. gleich große Elastizitätsverluste in Aorta ascendens und descendens. Das Regressionsmodell klassifizierte alle 10 MFS Patienten mit einer Wahrscheinlichkeit PLRA > 0.7.

Diskussion

Unsere automatisierte, standardisierte nicht-invasive Aortendurchmesser-bestimmung erlaubt eine genaue Abstufung des Elastizitätsverlustes bei jungen Patienten mit MFS. Die Elastizitätsverminderung kann als zusätzliches Kriterium für die Indikation zum prophylaktischen operativen Aortenersatz dienen, Verlaufsuntersuchungen sind für das Monitoring der medikamentösen Betablockertherapie hilfreich. Unser bestes logistisches Regressionsmodell stellt - basierend auf rein aortalen Parametern - einen neuen diagnostischen Marker für das Vorhandensein eines MFS dar. Obwohl bisherige Genotyp-Phänotyp-Korrelationen aufgrund der Vielzahl der Mutationen und der Pleiotropie des MFS scheiterten, konnten unsere Ergebnisse trotz des Einflusses altersabhängiger Faktoren Zusammenhänge zwischen klinischen Merkmalen (Lokalisation des Elastizitätsverlustes repräsentiert durch die Phase der Vektorschleife, Mitralklappenprolaps, Linsensubluxation, Anzahl der Skelettkriterien) und den Mutationen zeigen. Eine genaue Beschreibung klinischer Parameter - erfasst durch ein Datenbanksystem - ermöglicht, bisher unbekannte Zusammenhänge zwischen Genotyp und Phänotyp eines so komplexen und vielfältigen Krankheitsbildes wie des MFS zu erfassen.


Literatur

1.
Collod-Beroud G, Le Bourdelles S, Ades L, Ala-Kokko L, Booms P, Boxer M, Child A, Comeglio P, De Paepe A, Hyland JC, Holman K, Kaitila I, Loeys B, Mátyás G, Nuytinck L, Peltonen L, Rantamaki T, Robinson P, Steinmann B, Junien C, Beroud C, Boileau C. Update of the UMD-FBN1 mutation database and creation of an FBN1 polymorphism database. Hum Mutat 2002;22:199-208.
2.
http://www.umd.be:2030
3.
http://archive.uwcm.ac.uk/uwcm/mg/search/127115.html
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Pyeritz RE, Dietz HC. Marfan syndrome and other microfibrillar disorders. In: Royce PM, Steinmann B, editors. Connective tissue and its heritable disorders: molecular, genetic and medical aspects. 2nd ed. New York: Wiley-Liss; 2002, p. 585-626.
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De Paepe A, Devereux RB, Dietz HC, Hennekam RCM, Pyeritz RE. Revised diagnostic criteria for the Marfan syndrome. Am J Med Genet 1996;62:417-426.
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Stefanadis C, Stratos C, Boudoulas H, Kourouklis C, Toutouzas P. Distensibility of the ascending aorta: comparison of invasive and non-invasive techniques in healthy men and in men with coronary artery disease. Eur Heart J 1990;11:990-996.
7.
Hirata K, Triposkiadis F, Sparks E, Bowen J, Wooley CF, Boudoulas H. The Marfan syndrome: abnormal aortic elastic properties. J Am Coll Cardiol 1991 ;18:57-63.
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9.
Baumgartner D, Baumgartner C, Matyas G, Steinmann B, Löffler J, Schermer E, Schweigmann U, Baldissera I, Frischhut B, Hess J, Hammerer I. Diagnostic power of aortic elastic properties in young patients with Marfan syndrome. 2004 submitted.
10.
Mátyás G, De Paepe A, Halliday D, Boileau C, Pals G, Steinmann B. Evaluation and application of denaturing HPLC for mutation detection in Marfan syndrome: identification of 20 novel mutations and two novel polymorphisms in the FBN1 gene. Hum Mutat 2002;19:443-456.