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67. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie
89. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie
44. Tagung des Berufsverbandes der Fachärzte für Orthopädie

11. bis 16.11.2003, Messe/ICC Berlin

Ersatzoperationen nach veralteten Medianusverletzungen

Kurzbeitrag (DGU 2003)

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  • K.J. Prommersberger - Klinik für Handchirurgie, Bad Neustadt

Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie. Berufsverband der Fachärzte für Orthopädie. 67. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, 89. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie und 44. Tagung des Berufsverbandes der Fachärzte für Orthopädie. Berlin, 11.-16.11.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. Doc03dguA9-3

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgu2003/03dgu0062.shtml

Veröffentlicht: 11. November 2003

© 2003 Prommersberger.
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Gliederung

Text

Prinzipiell sind es immer die gleichen Fragen, mit denen man sich bei der Indikationsstellung und Operationsplanung von Ersatzoperationen nach veralteten Nervenverletzungen auseinander setzen muss. Dies gilt auch für veraltete Verletzungen des N. medianus, allerdings gibt es hier einige Besonderheiten. Stets gilt es die Höhe der Läsion zu klären; es ist zu prüfen, ob weitere Strukturen verletzt sind und ob bereits Gelenkkontrakturen (ein kontraktes Gelenk kann auch vom kräftigsten Ersatzmuskel nicht bewegt werden) vorliegen. Unter Berücksichtigung der Verletzungshöhe und der Mitverletzung weiterer Strukturen ist die Frage nach dem als Kraftspender am besten geeigneten Muskel (Lokalisation, Funktion, Amplitude, Antagonist, Synergist?) zu klären. Über all diese Fragen darf man jedoch den Patienten selbst nicht vergessen. Verständnisfähigkeit des Patienten und seine Motivation sind hinsichtlich der generellen Indikationsstellung zum motorischen Ersatz ausschlaggebend. Alter, Geschlecht sowie die berufliche Situation des Patienten spielen hingegen mehr bei der Frage, welche Ersatzoperation gewählt wird, eine Rolle.

Für alle vom N. medianus innervierte Unterarm- und Handmuskeln bis auf den Pronator quatrus (PQ) [Pronator teres (PT), Flexor carpi radialis (FCR), Flexor pollicis longus (FPL), Flexor digitorum superficialis (FDS), Flexor digitorum profundus II/(III) (FDP), Abductor pollicis brevis (APB), oberflächer Kopf des Flexor pollicis brevis (FPB), Opponens pollicis (OPP) sowie die Lumbrikalis I-III] sind Innervationsanomalien meist in Form von Doppelinnervationen (N. musculocutaneaus, N. ulnaris) beschrieben. Entsprechend ist es durchaus möglich, dass trotz vollständiger Medianusdurchtrennung Opposition und palmare Abduktion des Daumens fast normal durchführbar sind.

Die proximale oder hohe Medianusparese ist von der distalen oder tiefen Medianuslähmung zu unterscheiden. Bei der proximalen Läsion findet sich eine Sensibilitätsminderung im medianusversorgten Bereich (Beugeseite des Daumens, Zeige- und Mittelfingers sowie der radialen Hälfte des Ringfingers) und eine Asensibilität im Autonomiegebiet des N. medianus (Beugeseite des Zeigefingermittel- und -endgliedes). Die Beugung im Daumenendgelenk sowie im Zeigefingermittel- und -endgelenk ist aufgehoben, die Beugung des Mittelfingers jedoch lediglich abgeschwächt. Das lange gelehrte Bild der Schwurhand bei hoher Medianusläsion ist also falsch. Der Daumenstrahl liegt in der Handebene dem Zeigefingerstrahl an. Die Daumenzirkumduktion, eine zusammengesetzte Bewegung aus Retropulsion, Abduktion, palmarer Abduktion, Opposition und schließlich Adduktion und Flexion ist massiv gestört.

Bei isolierter proximaler Medianuslähmung erfolgt die Wiederherstellung der Beugung des Zeigefingers durch Koppelung der tiefen Beugesehne an die tiefe Beugesehne des Ringfingers. Alternativ kann der Extensor carpi radialis longus als Kraftspender in den FDP II eingeflochten werden. Es ist zu berücksichtigen, dass durch zunehmende Beugung der Zeigefinger zwar mehr in den „Arbeitsbereich" der Hand rückt, durch die Asensibilität im Autonomiegebiet des N. medianus sich hierdurch jedoch auch eine erhöhte Verletzungsgefahr ergibt. Andererseits ist zu bedenken, dass die Nähte bei der Koppelung stets etwas nachgeben.

Zur Wiederherstellung der Daumenbeugung bietet sich die Verwendung des Brachioradialis an. Er liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum FPL und hat nach ausgiebiger Mobilisation praktisch einen vollkommen geraden Verlauf sowie eine sehr gute Amplitude. Dass er den Ellenbogen überspannt, macht sich nicht negativ bemerkbar.

Zur Wiederherstellung der Opposition kann im Gegensatz zur tiefen Medianuslähmung nicht der FDS IV, sondern muss ein Strecker (EI, EDM, EPB oder ECRL) verwendet werden. Sowohl EI und EDM als auch der ECRL werden um die ulnare Unterarmkante herumgeführt. Während der ECRL mit einem freien Sehnentransplantat verlängert werden muss, ist die Länge des EI und des EDM nach genügend weiter proximaler Mobilisation gerade ausreichend, um das Daumengrundgelenk zu erreichen. Je weiter distal die Umlenkung um die ulnare Unterarmkante erfolgt, desto größer ist die opponierende Kraft, je weiter proximal die Umlenkung stattfindet, desto stärker wird der Daumen palmar abduziert. Bei Verwendung des EPB zur Wiederherstellung der Opposition muss dieser an seinem Ansatz am Daumen abgetrennt, unter dem APL sowie dem FCR hindurchgezogen und schließlich etwa in der Medianen zum Daumen umgelenkt werden.

Insbesondere bei lähmungsverstärkter Hypermobilität und Instabilität des Daumengrundgelenkes wird die transponierte Sehne vorteilhafterweise gespalten und distal sowohl am Kopf des ersten Mittelhandknochens als auch an der Basis des Daumengrundgliedes fixiert. Dies kann transossär erfolgen, aber auch durch Einflechtung in die EPL-Sehne bzw. den APB-Ansatz. In der Regel kann hierdurch eine ausreichende Stabilität des Daumengrundgelenkes erzielt werden, ansonsten bedarf es einer Arthrodese des Gelenkes.

Bei der distalen Medianuslähmung steht der Ausfall der Daumenzirkumduktion - eine „normale Innervation" vorausgesetzt - im Vordergrund des Beschwerdebildes. Daneben findet sich eine Sensibilitätsstörung im medianusversorgten Bereich sowie eine Atrophie des Daumenballens. Die „klassische" Methode zur Wiederherstellung der Daumenopposition ist die Umlagerung der FDS IV -Sehne. Der FDS IV besitzt eine ausreichende Kraft und Amplitude, er ist lang genug und ein isoliert willkürlich beweglicher Muskel. Postoperativ ist auf eine freie Streckung im Mittelgelenk zu achten, um hier eine drohende Beugekontraktur zu vermeiden. Um die notwendige palmare Abduktion, Pronation und Opposition des Daumens zu erzielen, soll die transponierte Sehne - sofern keine gleichzeitige Ulnarislähmung vorliegt - im subkutanen Verlauf aus der Richtung des Pisiforme zum Daumengrundgelenk gelangen. Hierzu bedarf es einer Umlenkung der FDS IV-Sehne an einem Widerlager, einem Pulley. Als Pulley können anatomische Strukturen wie das Retinaculum flexorum, der distale Teil der FCU oder derjenige des FCR (bei Benützung des FBP als Motor - s.o.) verwandt werden oder sie müssen operativ angelegt werden. Bunnell spaltete ein kurzes Stück der FCU- Sehne so ab, dass es am Pisiforme gestielt blieb und als Ring mit sich selbst vernäht wurde. Lanz spaltet ebenfalls einen distal gestielten Streifen aus dem FCU ab, fixiert diesen jedoch ulnar an subkutanen Septen und lenkt dann die FDS IV-Sehne an diesem Sehnenstreifen um.

Stehen bei schweren Schädigungen keine oder nicht genügend Kraftspender zur Verfügung, kann der gelähmte Daumen durch eine Verblockung des ersten und zweiten Mittelhandknochens unter Interposition eines Knochenspanes in funktionsgünstiger Stellung fixiert werden.