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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Neugeborenen-Hörscreening im Freistaat Sachsen – aktueller Stand und Projektkonzeption

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Dirk Mürbe - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Universitätsklinikum der TU Dresden, Dresden, Deutschland
  • Heidrun Müller - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • Uhlig Brigitte - Audiologisch-Phoniatrisches Zentrum Chemnitz, Chemnitz, Deutschland
  • Dietz Andreas - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • Zahnert Thomas - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Universitätsklinikum der TU Dresden, Dresden, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppV10

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2008/08dgpp10.shtml

Veröffentlicht: 27. August 2008

© 2008 Mürbe et al.
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Zusammenfassung

Der Vortrag berichtet über den aktuellen Stand des bislang etablierten Primärscreenings in den Geburtskliniken sowie neonatologischen und pädaudiologischen Einrichtungen des Freistaates. Dabei liegt ein nahezu flächendeckendes Angebot eines Primärscreenings vor, wobei sich erhebliche Unterschiede hinsichtlich der personellen und apparativen Struktur der einzelnen Einrichtungen darstellen. Des Weiteren wird im Vortrag die von den pädaudiologischen Zentren in Chemnitz, Dresden und Leipzig gemeinsam entwickelte und dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales vorgelegte Projektkonzeption eines universellen Neugeborenen-Hörscreenings im Freistaat Sachsen vorgestellt, welche zum einen die Implementierung einer bislang nicht existierenden Struktur zum Tracking der Screeningergebnisse beinhaltet und zum anderen Maßnahmen zur Qualitätssicherung für ein flächendeckendes Neugeborenenhörscreening in Sachsen definiert. Das Stufenkonzept folgt den Empfehlungen der interdisziplinären Konsenus-Konferenz für das Neugeborenen-Hörscreening mit einer strukturellen Gliederung in Primärdiagnostik, Kontrollscreening und Konfirmationsdiagnostik.


Text

Permanente Hörstörungen stellen bei Kindern die häufigste sensorische Schädigung dar. Es besteht hinreichend Evidenz, dass ohne frühzeitige Intervention bei einer permanenten kindlichen Hörstörung bleibende Beeinträchtigungen der sprachlichen, intellektuellen, sozialen und emotionalen Entwicklung resultieren. Ein universelles Neugeborenen-Hörscreening (NHS) hat zum Ziel, alle Neugeborenen in den ersten Lebenstagen mit geeigneten Untersuchungsmethoden bezüglich des beidseitigen Hörvermögens zu testen. Damit sollen eine vollständige frühzeitige Erkennung therapeutisch relevanter Hörstörungen und ein adäquater Therapiebeginn in den ersten Lebensmonaten sichergestellt werden und Folgebehinderungen einer kindlichen Hörstörung möglichst gering gehalten werden.

In mehreren Regionen Deutschlands sind seit Jahren zahlreiche Projektgruppen aktiv, um mit Hilfe von regionalen Programmen eines Neugeborenen-Hörscreenings (NHS) die Früherkennung und Behandlung von kindlichen Hörstörungen zu verbessern ([2], [4], [1] u.a.). Auch im Freistaat Sachsen gibt es seit Jahren eine Vielzahl regionaler Bemühungen, die Voraussetzungen für ein universelles NHS zu schaffen. Den Angaben der Projektgeschäftsstelle Qualitätssicherung bei der Sächsischen Landesärztekammer Dresden ist zu entnehmen, dass im Jahr 2005 31 von 34 neonatologischen und 44 der 50 geburtshilflichen Einrichtungen des Freistaates mit den apparativen Strukturen für ein Primärscreening ausgestattet waren. Eine systematische Struktur zum Tracking der NHS-Daten besteht im Freistaat Sachsen bislang aber nicht.

Die pädaudiologischen Zentren in Chemnitz, Dresden und Leipzig haben dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales deshalb eine gemeinsam entwickelte Projektkonzeption eines universellen Neugeborenen-Hörscreenings im Freistaat Sachsen vorgelegt, welche ein flächendeckendes Screeningkonzept vorsieht, die Implementierung einer bislang nicht existierenden Struktur zum Tracking der Screeningergebnisse beinhaltet und zum anderen Maßnahmen zur Qualitätssicherung für ein flächendeckendes Neugeborenen-Hörscreening in Sachsen definiert. Entsprechend den Empfehlungen der interdisziplinären Konsensuskonferenz für das NHS [3] wird darin ein Stufenkonzept empfohlen, wobei zwischen Primärscreening, Kontrollscreening und Konfirmationsdiagnostik unterschieden wird. Auf allen Untersuchungsstufen erfolgt in den Strukturen des Leitsystems eine Meldung an ein Tracking-Register des NHS-Programmes, welches die flächendeckende Erfassung dokumentiert und die ggf. notwendige weiterführende Diagnostik und Therapie koordiniert und kontrolliert. Mit Hilfe dieses Leitsystems ist dafür Sorge zu tragen, dass innerhalb der ersten drei Lebensmonate, spätestens aber bis zum Ende des ersten Lebenshalbjahres eine angemessene Therapie der angeborenen kindlichen Hörstörung begonnen wird. Die umfangreichen Erfahrungen aus dem metabolen Neugeborenenscreening zeigen, dass ein Tracking für den Gesamterfolg eines Früherkennungsprogrammes maßgeblich ist. Für das Tracking eines NHS-Programmes in Sachsen sollen regionale Strukturen aufgebaut werden, welche mit den Daten aus Primärscreening, Kontrollscreening und Konfirmationsdiagnostik arbeiten und durch fachspezifische pädaudiologische Kompetenz die Qualitätssicherung eines solchen Programmes gewährleisten. Dabei werden drei regionale NHS-Zentren in Chemnitz, Dresden und Leipzig angestrebt, die das Hörscreening für die im jeweiligen Regierungsbezirk geborenen Kinder koordinieren und alle mit einem Tracking verbundenen Aufgaben in ihrem Verantwortungsbereich durchführen. Entsprechend den Angaben des Statistischen Bundesamtes Sachsen zur Anzahl Lebendgeborener 2005 kann das regionale Untersuchungsvolumen wie folgt abgeschätzt werden: RB Chemnitz 10789 Neugeborene, RB Dresden 13034 Neugeborene, RB Leipzig 8301 Neugeborene. Prinzipiell sollten die Standorte Chemnitz, Dresden und Leipzig miteinander vernetzt sein, um Kinder, die aufgrund von Umzug bzw. der Lage ihres Wohnortes den RB wechseln, unproblematisch im Tracking begleiten zu können. Durch diese Vernetzung gelingt zudem ein Überblick aller schwerhörigen Kinder des Freistaates. Mit den Daten des Sächsischen Cochlear Implant Centrums Dresden können dann im Nachgang zeitlicher Verlauf und Vollständigkeit des Versorgungsweges für alle sächsischen Kinder mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit aus dem Blickwinkel der Qualitätssicherung analysiert werden.

Die Projektkonzeption eines universellen Neugeborenen-Hörscreenings im Freistaat Sachsen fordert des Weiteren die Strukturierung der Wartung aller Screeninggeräte, die Gewährleistung eines ‚mobilen Einsatzteams’ bei technischen Problemen in den screenenden Einrichtungen und die Verfügbarkeit pädaudiologischer Fachkompetenz zur Beurteilung von Messmethodik und Auswertungsalgorithmus hinsichtlich zukünftiger Anschaffungen. Im Verantwortungsbereich liegen ebenso alle Aspekte der Qualitätssicherung mit Schulung und Betreuung aller am Primärscreening beteiligten Personen. Falls in Sachsen für das von Pädiatern betreute Programm des Stoffwechselscreenings eine generelle Identifikationsnummer (ID) für alle neugeborenen Kinder in Sachsen vergeben wird, wäre wünschenswert, diese ID als Grundlage für alle verschiedenen Screeninguntersuchungen, also auch das NHS, nutzen zu können. Eine prinzipiell einheitliche landesweite Trackingstruktur für verschiedene Screeningrichtungen (z. Bsp. Stoffwechsel, Hörstörungen, Hüftfehlbildungen) ist unter Qualitätssicherungsrichtlinien aus fachlicher und organisatorischer Sicht nicht realisierbar. Durch die Möglichkeit einer gemeinsamen ID bestünde aber eine sinnvolle Schnittstelle bei Erhebung der grundsätzlichen Personaldaten.

Flankierend zur flächendeckenden Verfügbarkeit des Primärscreenings und zum Aufbau eines Trackingsystems ist eine breite Öffentlichkeitsarbeit notwendig, um eine hohe Akzeptanz des angebotenen Hörscreenings zu erreichen.


Literatur

1.
Gross M, Dudenhausen J, Rossi R, Metschke R, Ernst A. Neugeborenen-Hörscreening in Berlin. Berliner Ärzte 2002;39:26-7.
2.
Neumann K, Gall V, Berger R. Newborn hearing screening in Hessen, Germany. A pilot project. Int Pediatr. 2001;16:109-16.
3.
Ptok M et al. Universelles Hörscreening bei Neugeborenen - Empfehlungen zu Organisation und Durchführung des universellen Neugeborenen-Hörscreenings auf angeborene Hörstörungen in Deutschland. HNO. 2004;52:1020-8.
4.
Strutz J. Bayerisches Hörscreening Programm. Bay Ärztebl. 2002;5:239-41.