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23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

15. - 17.09.2006, Heidelberg

Die tracheoösophageale Ersatzstimme: Evaluation durch Experten, naive Hörer und automatische Spracherkennung

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Heidelberg, 15.-17.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06dgppV14

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2006/06dgpp20.shtml

Veröffentlicht: 5. September 2006

© 2006 Bellanova et al.
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Zusammenfassung

Die wiederholte Evaluation von tracheoösophagealen Ersatzstimmen im Laufe einer Stimmtherapie erfolgt in der Regel subjektiv durch behandelnde Therapeuten. Sie ist erfahrungsabhängig und wird möglicherweise durch die therapeutische Beziehung zum Patienten beeinflusst. In dieser Studie, einem Teilprojekt eines von der deutschen Krebshilfe geförderten Forschungsvorhabens, ging es um die methodische Optimierung der Stimmbewertung. Untersucht wurden 33 Laryngektomierte mit einer Provox®-Stimmventilprothese. Zunächst wurden Nahbespechungsaufnahmen des "Nordwind und Sonne" Textes subjektiv von fünf Experten und von elf naiven Hörern in zwei voneinander unabhängigen Durchläufen hinsichtlich Verständlichkeit und Qualität bewertet. Zur objektiven Bewertung wurde ein bereits für Marktzwecke professionalisiertes automatisches Spracherkennungssystem verwendet. Ein Vergleich der Qualitätsbewertung durch Experten und der aus der automatischen Spracherkennung gewonnenen Messgröße der Wortakkuratheit ergibt eine durchschnittliche Korrelation von -0,81. Der Vergleich von automatischer Erkennung und naiven Hörern zeigt eine Korrelation um -0,74, bedingt durch die geringere Erfahrung der Hörer. Die Ergebnisse bestätigen, dass eine zuverlässige automatische Bewertung der Ersatzstimme möglich ist, wobei die automatische Bewertung näher am Urteil der Experten als an den Bewertungen naiver Hörer liegt.


Text

Einleitung

Die Stimmrehabilitation laryngektomierter Patienten mit Stimmventilprothesen (tracheoösophageale Ersatzstimme, TE-Stimme) ist heute „state of the art“. Die objektive Bewertung solcher Ersatzstimmen steht an der Schwelle zur Klinikreife: So ist die maschinelle Verständlichkeitsbewertung eines vorgelesenen Textes durch ein automatisches Spracherkennungssystem möglich; in einer früheren Pilotstudie mit 18 Patienten ergab ein Vergleich der automatischen Evaluation mit der durchschnittlichen Expertenbewertung eine Korrelation von r=-0,84 [1]. Im Hinblick auf die methodische Optimierung dieses automatischen Spracherkennungssystems wurde nun die Stichprobe auf 33 Patienten und die Bewerter um eine Gruppe naiver Hörer erweitert. Es wurde untersucht, inwieweit sich die Auswertungen der Experten und naiven Hörer sowie des Spracherkennungssystems decken.

Material und Methode

33 männliche Patienten mit einem Durchschnittsalter von 61,8±7,7 Jahren, die nach der Laryngektomie mit einer Provox®-Stimmventilprothese versorgt worden waren, lasen den „Nordwind-und-Sonne“-Text vor und wurden dabei mit einem „dnt Call 4U Comfort“-Headset (Abtastfrequenz 16 kHz, Amplitudenauflösung 16 bit) aufgenommen. Anschließend wurden diese Nahbesprechungsaufnahmen von einer Gruppe von fünf Experten sowie einer Gruppe von elf naiven Hörern hinsichtlich der Verständlichkeit und Gesamtqualität bewertet. Die Verständlichkeit wurde dabei auf einer Likertskala von 1 („sehr gut“) bis 5 („extrem schlecht“), die Gesamtqualität auf einer visuellen Analogskala mit Werten zwischen 0,0 („sehr gut“) und 10,0 („sehr schlecht“) markiert. Um die Schwankungen in der Bewertung der naiven Hörer zu ermitteln, erfolgte eine zweite Evaluation der Aufnahmen durch diese Gruppe im Abstand von ca. sechs Wochen. Darüber hinaus lagen ca. zwei Jahre alte Ergebnisse des Expertengremiums für 18 der 33 Patienten zum Vergleich mit den aktuellen Bewertungen vor.

Sowohl bei der Bewertung durch die Experten, als auch durch die naiven Hörer erfolgte das Abspielen der Aufnahmen in zufälliger Reihenfolge. Die Aufnahmen wurden nur einmal abgespielt, die Bewertungen erfolgten zur selben Zeit. Die automatische Analyse der digitalisierten Aufnahmen erfolgte durch ein Spracherkennungssystem des Lehrstuhls für Mustererkennung der Universität Erlangen-Nürnberg, das bereits für Marktzwecke professionalisiert wurde (http://www.sympalog.de). Zielkriterium der automatischen Analyse war zunächst die Wortakkuratheit (WA), die dem Kriterium der Gesamtverständlichkeit der menschlichen Bewerter entspricht.

Ergebnisse

Die Korrelation in den Bewertungen durch die naiven und erfahrenen Bewerter sowie des Spracherkennungssystems sind in Tabelle 1 [Tab. 1] zusammengefasst. Insgesamt sind die Ergebnisse für Verständlichkeit und Gesamtqualität sehr ähnlich. Die Einzelbewertungen für die beiden Kriterien korrelieren untereinander sowohl bei naiven Hörern (r=0,98 im ersten und 0,97 im zweiten Durchlauf) als auch bei den Experten (r=0,98 und 0,96) äußerst stark. Die Intra-Rater-Korrelation zwischen erster und zweiter Bewertungssitzung ist in Tabelle 2 [Tab. 2] dargestellt.

Diskussion

Die Ergebnisse bestätigen, dass eine zuverlässige automatische Bewertung der Ersatzstimmen möglich ist, wobei die automatische Evaluation näher am Urteil der Experten als an dem der naiven Hörer liegt. Trotzdem ähneln sich die Bewertungen von Experten und naiven Hörern stark, wobei naive Hörer tendenziell schlechtere Noten vergeben als Experten (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Der Grund hierfür liegt möglicherweise darin, dass naive Bewerter TE-Stimmen eher unwillkürlich mit einer gesunden Stimme vergleichen, wohingegen Experten aufgrund des größeren Erfahrungsschatzes die jeweilige Ersatzstimme in Relation zu anderen Ersatzstimmen bewerten. Die Ergebnisse solcher Bewertungen sind sowohl bei naiven Hörern als auch bei Experten reproduzierbar. Weiterhin lassen die Ergebnisse darauf schließen, dass die Verständlichkeit bei menschlichen Hörern eine sehr große Rolle bei der Beurteilung der Stimmqualität spielt. Hierfür sprechen die sich fast perfekt deckenden Bewertungen für die beiden Kriterien.

Die weitere Optimierung des automatischen Systems, auch zur maschinellen Beurteilung von TE-Sprechern über ein Telefon, ist Gegenstand aktueller Arbeiten.

Danksagung

Diese Arbeit wird von der Deutschen Krebshilfe (Fördernr. 106266) gefördert.


Literatur

1.
Schuster M, Haderlein T, Nöth E, Lohscheller J, Eysholdt U, Rosanowski F. Intelligibility of laryngectomees' substitute speech: automatic speech recognition and subjective rating. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2006;263(2):188-93.