gms | German Medical Science

100 Jahre Phoniatrie in Deutschland
22. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie
24. Kongress der Union Europäischer Phoniater

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

16. bis 18.09.2005, Berlin

Thyroplastik Typ 2: Therapiealternative der Spasmodischen Dysphonie anhand eines Fallberichtes

Type 2 thyroplasty for spasmodic dysphonia: a case report

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Claudio Storck - Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie der Universität Zürich, Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Zürich, Schweiz
  • author Katrin Baumbusch - Klinische Abteilung für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen, Landeskrankenhaus Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich
  • author Stephan Schmid - Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie der Universität Zürich, Zürich, Schweiz
  • author Patrick G. Zorowka - Klinische Abteilung für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen, Landeskrankenhaus Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich

100 Jahre Phoniatrie in Deutschland. 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, 24. Kongress der Union der Europäischen Phoniater. Berlin, 16.-18.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05dgppP19

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2005/05dgpp079.shtml

Veröffentlicht: 15. September 2005

© 2005 Storck et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Einleitung: Die Spasmodische Dysphonie (SD) ist eine seltene Stimmstörungen, welche durch Botulinumtoxiwn TypA (BTXA) in aller Regel behandelt wird. Gelegentlich kommt es vor, dass die Wirkung von BTXA nach vielfach wiederholten Injektionen abnimmt.

Material und Methode: Wir berichten über einen Patienten mit einer SD, bei dem die Wirkung von BTXA nach 13-jähriger laryngealer Injektion abnahm. Da er weitere Injektionen ablehnte, haben wir eine Thyroplastik Typ 2 (TP2) in Lokalanästhesie durchgeführt. Wir führten prä- und postoperativ eine Stimmanalyse durch (Follow up 1 Jahr).

Resultate: Die Tonhaltedauer war unverändert bei 17 Sekunden, während die Stimmdynamik von 28dB auf 45 dB und der Stimmumfang von 20 auf 42 Halbtöne anstieg. Der Jitter verbesserte sich von 2.57 auf 0.54, der Shimmer von 11.68 auf 4.06. Der Patient konnte durch den Eingriff wieder flüssiger sprechen und war über ein Jahr nicht mehr auf BTXA angewiesen.

Diskussion: Vorteil der TP2 ist der Verzicht auf die Injektion von BTXA. Durch Lateralisation der vorderen Kommissur durch die TP2 verbessert sich die Rauigkeit und Prosodie der Stimme. Allerdings kann durch diesen Eingriff nie eine Stimmverbesserung wie mit BTXA erreicht werden. BTXA stellt deshalb weiterhin den Goldstandard in der Behandlung der SD dar, während die TP2 alternativ in Erwägung zu ziehen ist, wenn BTXA nicht mehr wirkt, oder laryngeale Injektionen vom Patienten abgelehnt werden.


Text

Einleitung

In den letzten 15 Jahren gewann die Spasmodische Dysphonie an großem Interesse. Die spasmodische Dysphonie ist eine fokale laryngeale Dystonie. Diese chronische neurologische zentral motorische Störung ist charakterisiert durch Spasmen der Stimmlippen und Taschenfalten bei Phonation. Die Therapie stellt heute bevorzugt die Injektion von Botulinumtoxin Typ A dar, welche einerseits transoral endoskopisch oder transkutan elektromyographisch kontrolliert möglich ist. Nach häufigen kumulativen Injektionen von Botulinumtoxin Typ A kann eine Wirkungsabnahme auftreten, welche bedingt ist durch eine Antikörperbildung gegen das Toxin. In Einzelfällen können erhebliche Nebenwirkungen wie beispielsweise ausgeprägte Dysphagien eine weitere Botoxinjektion verhindern.

In dieser Arbeit wird ein 63jähriger Patient vorgestellt, bei dem nach 13 Jahren wiederholter Injektionen von Botulinumtoxin Typ A eine Wirkungsabnahme eintrat. Als Therapiealternative wählten wir die Expansionsthyroplastik, welche wir in Lokalanästhesie durchführten. Postoperativ lag subjektiv wie objektiv eine deutliche Stimmverbesserung vor über einen Follow up von einem Jahr.

Fallbericht

Im Jahre 1982 litt der damals 41jährige Patient an einem kurz dauernden viralen Infekt der oberen Luftwege. Nach Abheilung blieb eine Stimmstörung zurück, welche sich über Monate im Anschluss manifestierte. Die Sprechstimme war rau und gepresst, mit zeitweise aphonen Einschüben. Der Stimmeinsatz gelang oft nur mit sehr viel Kraft und flüssiges Sprechen war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Weiter beklagte der Patient erhebliche Halssensationen. Er war durch die Stimmstörung in seiner beruflichen Tätigkeit als Kaufmann erheblich eingeschränkt, weshalb er ärztlichen Rat suchte.

1985 wurde erstmals die Diagnose einer spasmodischen Dysphonie gestellt. Im Rahmen der neurologischen Diagnostik einschließlich bildgebender Verfahren (NMR) wurden keine weiteren Dystoniemanifestationen oder andere Auffälligkeiten nachgewiesen.

Logopädische Therapien mit dem Ziel einer Reduktion des muskulären Tonus auf Glottisebene führen zu keiner wesentlichen Symptomverbesserung.

Botulinumtoxin Typ A wurde nach Zulassung in Österreich zunächst transzervikal unter EMG-Kontrolle in die Mm. vocales injiziert, später erfolgte die Applikation primär indirekt unter lupenlaryngoskopischer Kontrolle. Dabei wurden Dosen initial von 2-4 Units pro Seite verabreicht, mit allmählicher Steigerung bis zu 10 Units pro Seite. Das Injektionsintervall lag zwischen 3-6 Monaten. Eine Stimmverbesserung trat schon nach leichter Dosissteigerung auf, die krampfartigen Gefühle bildeten sich während des Intervalls zurück. Bis 2003 wurde regelmässig Botulinumtoxin Typ A injiziert. Es zeigte sich jedoch ein zunehmend geringerer Therapieeffekt trotz erhöhter Dosierung von Botulinumtoxin Typ A. Dabei blieb die Sprechstimme weiterhin gepresst mit lupenlaryngoskopisch nachweisbaren spastischen Adduktionen auf Glottisebene.

Der Patient wünschte daraufhin eine weitere Therapieoption, ausdrücklich ohne laryngeale Injektionen. Die Therapiefortsetzung alternativ mit Botulinumtoxin Typ B war somit ausgeschlossen. Es stellte sich daraufhin die Indikation der Expansionsthyroplastik. Der Patient wurde eingehend über die Risiken und Nebenwirkungen, insbesondere im Hinblick auf die bisher geringen Erfahrungen mit dieser Operationstechnik bei dieser Indikation und damit hinsichtlich des möglichen Resultates und der Prognose.

Nach der Entscheidung zur Operation wurde eine präoperative Diagnostik mit Lupenlaryngoskopie, Stroboskopie, Stimmstatus inklusive Messung der Tonhaltedauer, Phonetogramm und objektiver Stimmanalyse durchgeführt.

Der operative Eingriff wurde in Lokalanästhesie durchgeführt. Dabei erfolgte die übliche Vorgehensweise mit transzervikaler Inzision und Durchtrennung der Linea alba die Darstellung der Vorderkante des Thyroids von der Prominentia laryngis bis hin zur Unterkante. Die Linea alba sagittal wurde bis zum inneren Perichondrium durchtrennt, anschliessend die beiden Laminae thyroideae voneinander getrennt und damit die vordere Kommissur eröffnet. Dabei musste der Patient laut sprechen, um die optimale Distanz der Lateralisation zu bestimmen, bei der die flüssigste Sprechstimme möglich war. Schon hier konnte vom Patient eine deutliche Verbesserung der Sprechstimme registriert werden. Als Platzhalter fertigten wir einen individuellen T-förmigen Silikonblock an, welcher der Länge zwischen Prominentia laryngis und Unterkante des Thyroids entsprach. Der Steg mass von 5mm, entsprechend der Distanz der Lateralisation der Laminae. Der Steg war auf Höhe der Stimmlippenebene unterbrochen, damit die vordere Kommissur nicht von ventral her imprimiert wurde. Dieser Steg wurde anschliessend sagittal zwischen die Laminae platziert. Der Silikonblock wurde an den Laminae beidseits oben und unten fixiert, damit eine Dislokation vermieden werden konnte. Nach mehrschichtigem Hautverschluss und guter Adaptation der geraden Halsmuskulatur liess sich der Silikonblock nur als leichter prominenter Larynx palpieren.

Stimmdiagnostische Nachkontrollen fanden nach 1 Monat und 1 Jahr statt (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Resultate

Bei einer präoperativ typischen Stimmgebung einer spasmodischen Dysphonie konnte durch diesen operativen Eingriff ein gutes funktionelles Resultat erreicht werden. Subjektiv registrierte der Patient schon bei der sagittalen Spaltung des Larynx eine Verbesserung der Stimme. Die Tonhaltedauer war prä- und postoperativ über einen Beobachtungszeitraum von einem Jahr nahezu unverändert. Die Stimmdynamik lag präoperativ bei 28dB(A), postoperativ nach einem Monat bei 31dB(A) und nach einem Jahr schon bei 45dB(A). Der Stimmumfang nahm deutlich zu von 20 Halbtönen auf 42 Halbtöne nach einem Jahr. In der Stimmanalyse verkleinerte sich der Jitter von 2.57 auf 0.54 in den postoperativen Kontrollen 1 Monat und ein Jahr. Ebenfalls verbesserte sich der Shimmer von 11.68 auf 4.06 in der postoperativen Kontrolle ein Monat und ein Jahr. (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Diskussion

Die spasmodische Dysphonie wird heute als eine Form der fokalen Dystonie angesehen. Botulinumtoxin Typ A ist die heute allgemein übliche Behandlungsmaßnahme in der Behandlung der spasmodischen Dysphonie dar. Von der Behandlung der zervikalen Dystonie ist die Antikörperbildung gegen Botulinumtoxin Typ A bekannt. Da üblicherweise heute die spasmodische Dysphonie regelmäßig mit Botulinumtoxin Typ A behandelt wird, ist auch in diesem Falle eine Immunisierung möglich. Zeichen dafür sind die Wirkungsabnahme oder die stetig notwendig höhere Dosierung von Botulinumtoxin Typ A. Ein weiterer Effekt, weshalb eine Wirkungsabnahme auftritt, könnte damit erklärt werden, dass durch wiederholte Injektionen Mikrotraumata und Vernarbungen in der Muskulatur entstehen. Antikörper gegen Neurotoxin Typ A können heute serologisch nachgewiesen werden. Der Patient lehnte die Untersuchung ab, da er keinen weiteren Injektionen von Botulinumtoxin Typ A oder alternativ mit Botulinumtoxin Typ B zustimmte. Therapiealternativen sind neben der funktionellen logopädischen Stimmtherapie die Behandlung mit Botulinumtoxin Typ B oder die Expansionsthyroplastik [1], [2], [3], [4]. Die European Laryngeal Society (ELS) empfiehlt heute die Beschreibung verschiedenen Operationen nach der mechanischen Veränderung [5] und nicht mehr die Klassifikation und Nomenklatur von Isshiki mit den Thyroplastiken von Typ 1 bis 4. Die Thyroplastik Typ 2 nach Isshiki wird deshalb heute dementsprechend als Expansionsthyroplastik bezeichnet. Diese Technik hat den Zweck, die vordere Kommissur zur eröffnen und somit der spastischen Anspannung der Thyroarytaenoideusmuskulatur und der supraglottischen Muskulatur bei Phonation entgegen zuwirken. Da es nicht mehr zu einer Kompression der Stimmlippen kommt, wird der Stimmeinsatz einfacher und die Sprechstimme flüssiger. Die Durchführung in Lokalanästhesie ist problemlos und wenig belastend für den Patienten. Operateur und Patient können intraoperativ durch Lateralisation der Laminae thyroideae die bestmögliche Sprechstimme eruieren. Es wird empfohlen, eine Eröffnung der vorderen Kommissur von 4-6mm zu erreichen [3]. Wir haben in unserem Fall 5mm abduziert. Ideal eignet sich ein selbst hergestellter Silikonblock, neuerdings können auch Titanspangen verschiedener Größe eingesetzt werden [6]. Insgesamt konnten wir durch diesen Eingriff eine Stimmverbesserung erreichen, die Parameter Jitter und Shimmer haben sich normalisiert, die Vergrößerung des Stimmumfanges sowie der Stimmdynamik zeigen eine deutlich leistungsfähigere Stimme.

Dieser Eingriff wurde bis heute noch nicht so oft durchgeführt. Isshiki und Chan berichten über kleine Patientengruppen mit verschieden langem Follow up [3], [4]. Isshiki operierte 6 Patienten, wobei 5 innerhalb drei Jahren in der Stimmleistung konstant blieben, bei Chan blieben 5/13 Patienten konstant innerhalb von einem Jahr. 4 Patienten hatten ein Frührezidiv, bei denen die Laminae zu weich waren und der Lateralisation nicht standhielten.

Zusammenfassend ist heute die Injektion von Botulinumtoxin Typ A neben einer funktionellen Stimmtherapie „Goldstandard" in der Behandlung der spasmodischen Dysphonie. Aus ökonomischen Gründen und zur Verbesserung der Therapiequalität sind Therapiealternativen zu überdenken. Notwendige wiederholte Injektionen sind kosten- und zeitaufwändig und für den Patienten belastend. Es bleibt abzuwarten, ob sich die beschriebene operative Behandlungsmethode bei gezielter Indikationsstellung alternativ durchsetzen kann. Hierfür sind Langzeitresultate und größere Patientenzahlen notwendig.


Literatur

1.
Sataloff RT, Heman-Ackah YD, Simpson LL, Park J-B, Zwislewski A, Sokolow C, Mandel S. Botulinum toxin type B for treatment of spasmodic dysphonia. J Voice 2002;16:422-424
2.
Schönweiler R, Zwirner P. Dosierung von Botulinumtoxin Typ B bei Spasmodischer Dysphonie vom Adduktortyp. HNO 2005;53:166-173
3.
Isshiki N, Haji T, Yamamoto Y, Mahieu HF. Thyroplasty for Adductor Spasmodic Dysphonia: Further Experiences. Laryngoscope 2001;111:615-21
4.
Chan SW, Baxter M, Oates J, Yorston A. Long-Term Results of Type II Thyroplasty for Adductor Spasmodic Dysphonia. Laryngoscope 2004;114:1604-8
5.
Friedrich G, de Jong FICRS, Mahieu HF Benninger MS Isshiki N. Laryngeal framework surgery: a proposal for classification and nomenclature by Phonosurgery Committee of the European Laryngological Society. Eur Arch Otorhinolaryngol 2001;258:389-396
6.
Isshiki N, Yamamoto Y, Fukagai S. Type 2 thyroplasty for spasmodic dysphonia: fixation using a titanium bridge. Acta Otolaryngol. 2004;124:309-12