gms | German Medical Science

100 Jahre Phoniatrie in Deutschland
22. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie
24. Kongress der Union Europäischer Phoniater

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

16. bis 18.09.2005, Berlin

Audiologische und molekulargenetische Befunde bei DIDMOAD-Syndrom

Audiologic and molecular genetic findings in DIDMOAD-syndrome

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Peter Rausch - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland
  • Kristin Schnabel - Zentrum für Humangenetik, Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland
  • Rüdiger Schönfeld - Klinik für Phoniatrie, Pädaudiologie und spezielle Neurootologie, Ev. Krankenhaus, Oldenburg, Deutschland
  • Roswitha Berger - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland
  • Jürgen Kunz - Zentrum für Humangenetik, Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland

100 Jahre Phoniatrie in Deutschland. 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, 24. Kongress der Union der Europäischen Phoniater. Berlin, 16.-18.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05dgppP11

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2005/05dgpp054.shtml

Veröffentlicht: 15. September 2005

© 2005 Rausch et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Wir stellen audiologische und molekulargenetische Befunde einer deutschen Familie mit DIDMOAD-Syndrom vor. DIDMOAD steht für eine neurodegenerative Erkrankung mit den Symptomen Diabetes mellitus, Diabetes insipidus, Optikusatrophie und Schwerhörigkeit („Deafness"). Als weitere Symptome können eine Atonie der ableitenden Harnwege, psychiatrische Störungen, Ataxie sowie peripher-nervale Störungen auftreten.

In der hier untersuchten Familie finden wir zwei betroffene Kinder zweier gesunder Eltern. Die 30 Jahre alte Tochter leidet an insulinpflichtigem Diabetes mellitus, einer stark ausgeprägten Sehstörung mit geringem Restsehvermögen sowie einer hochgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit mit Betonung hoher Frequenzen. Bei dem 20 Jahre alten Bruder besteht ebenfalls ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus, eine Optikusatrophie sowie eine hochgradige Hochtonschallempfindungsschwerhörigkeit. Beide Eltern zeigen keine DIDMOAD-typischen klinischen Symptome.

Das für DIDMOAD verantwortliche Wolframin Gen (WFS1) ist auf Chromosom 4.p16 lokalisiert. Es kodiert ein 890 Aminosäuren umfassendes Transmembran-Glykoprotein des Endoplasmatischen Retikulums (ER). Die Mutationsanalyse ergibt in unserer untersuchten Familie folgende Befunde: Eine paternale 16 Basenpaarinsertion an der Position 579-594 der Nukleotidsequenz in einem Allel (c.579-594ins16) führt im Exon 4 des Wolframin Gens zu einer Leserahmenverschiebung (Frameshift), sowie eine maternale Nonsense-Mutation, die durch einen Basenaustausch von Cytosin zu Thymin an Position 1266 der Nukleotidsequenz in einem Allel (c.1266 C>T) im Exon 8 des Wolframin Gens zu einem Stopp-Codon (Q366X) führt.


Text

Einleitung

Bei DIDMOAD (MIM #222300), auch als Wolfram-Syndrom bezeichnet, handelt es sich um eine seltene, autosomal-rezessive Erkrankung mit den klinischen Symptomen Diabetes mellitus, Diabetes insipidus, Optikusatrophie und Schwerhörigkeit. Es existieren nur wenige audiologische Daten. Nach diesen steht ein hochtonbetonter Empfindungshörverlust im Vordergrund. Bei den meisten Patienten sind Mutationen des WFS1-Gens (MIM #606201) bekannt [3], [4]. Das WFS1-Gen umfasst 8 Exons. Das aus 890 Aminosäuren bestehende Protein wird als „Wolframin" bezeichnet; es werden 9 Transmembranabschnitte vermutetet. Die Funktion des Proteins ist noch nicht aufgeklärt.

Methoden

Tonschwellenaudiometrie, DPOAE-Messung, Impedanzaudiometrie. Mutationsanalyse: Isolierung genomischer DNA, PCR, Sequenzierung.

Ergebnisse

Klinik: Unsere Indexpatientin ist zum Untersuchungszeitpunkt 29 Jahre alt. Das Tonschwellenaudiogramm zeigt einen bds. Hörverlust, der im Tief-Mitteltonbereich mittelgradig ausgeprägt ist und im Hochtonbereich einen Schrägabfall auf > 100 dB mit geringer Seitendifferenz zeigt. Bei dem Bruder besteht eine bds. Hochtonschallempfindungsschwerhörigkeit mit tonaudiometrischem Schrägabfall (s. Abbildung 1 [Abb. 1]). Bei beiden Geschwistern stimmen Luft- und Knochenleitung im überprüfbaren Bereich überein, das Tympanogramm ist jeweils bds. o.p.B., der DPOAE-Befund jeweils bds. pathologisch.

Bei beiden Geschwistern liegt ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus vor. Die Indexpatientin verfügt noch über ein Restsehvermögen, auch bei dem Bruder besteht eine Optikusatrophie mit Sehstörung. Anhand der anamnestischen Angaben und der verfügbaren aktuellen sowie Vorbefunde (letztere nicht dargestellt) kann hinsichtlich Hör- und Sehvermögen bei beiden Patienten von einem progredienten Verlauf ausgegangen werden. Beide Eltern sind gesund, eine Konsanguinität besteht nicht.

Molekulargenetik: Die Mutationsanalyse ergibt bei unserer Familie eine 16 Basenpaarinsertion an der Position 579-594 der Nukleotidsequenz in einem Allel (c.579-594ins16), die im Exon 4 des Wolframin Gens zu einer Leserahmenverschiebung (Frameshift) beim Vater der Indexpatientin führt, sowie zu einem Basenaustausch von Cytosin zu Thymin an Position 1266 der Nukleotidsequenz in einem Allel (c.1266 C>T), der im Exon 8 des Wolframin Gens zu einer Nonsense-Mutation (Q366X) bei der Mutter der Indexpatientin führt. Beide Mutationen haben einen Abbruch vor oder hinter der ersten Transmembrandomäne zur Folge, was im Ergebnis ein nicht funktionsfähiges Proteinprodukt bedeutet.

Zusammenfassung

In dieser Untersuchung haben wir neben der Eigen- und Familienanamnese die audiologischen und molekulargenetischen Befunde einer von DIDMOAD betroffenen Familie erhoben. Die für DIDMOAD ursächlichen Veränderungen haben wir in den Exons 4 und 8 gefunden, was sich mit den bisher veröffentlichten Daten für diese Erkrankung deckt. Beide Eltern weisen auf je einem Allel eine Mutation auf und zeigen keine klinischen Symptome, auch keinen Tieftonhörverlust, wie er bei der autosomal-dominanten Schwerhörigkeit DFNA6/14, die durch Mutationen an anderen Abschnitten des selben Gens verursacht wird, typischerweise vorkommt. Beide Kinder tragen die Mutationen der Eltern auf jeweils einem Allel (Heterozygotie) und zeigen die Symptome Empfindungsschwerhörigkeit, Diabetes mellitus und Otikusatrophie.

Danksagung

Den Familienmitgliedern danken wir für ihre bereitwillige und freundliche Unterstützung dieser Untersuchung.


Literatur

1.
Giuliano F et al. (2005) Human Mutation Online, DOI: 10.1002/humu.9300
2.
Hofmann S, Philbrook C, Gerbitz KD, Bauer MF (2003). Hum Mol Genet. 12 :2003-2012.
3.
Inoue H, Tanizawa Y, Wasson J, Behn P, Kalidas K, Bernal-Mizrachi E, Mueckler M, Marshall H, Donis-Keller H, Crock P, Rogers D, Mikuni M, Kumashiro H, Higashi K, Sobue G, Oka Y, Permutt MA (1998) Nat. Genet. 20, 143-148
4.
Strom TM, Hörtnagel K, Hofmann S, Gekeler F, Scharfe C, Rabl W, Gerbitz KD, Meitinger T (1998) Hum Mol Genet 7, 2021-2028.
5.
Wolfram and Wagner (1938) Mayo Clin Proc 13: 715-718