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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Hochgeschwindigkeitsglottographie: praktische Anwendung bei Sängern

Vortrag

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  • corresponding author Bernhard Richter - Sektion Phoniatrie/Pädaudiologie der Univ.-HNO-Klinik Freiburg, Lehenerstr. 88, D-79106 Freiburg, Tel. 0761/270-4253, Fax 0761/270-4193
  • Steffen Erb - Sektion Phoniatrie/Pädaudiologie der Univ.-HNO-Klinik Freiburg, Lehenerstr. 88, D-79106 Freiburg, Tel. 0761/270-4253, Fax 0761/270-4193
  • author Erwin Löhle - Sektion Phoniatrie/Pädaudiologie der Univ.-HNO-Klinik Freiburg, Lehenerstr. 88, D-79106 Freiburg, Tel. 0761/270-4253, Fax 0761/270-4193

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocV17

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2003/03dgpp026.shtml

Veröffentlicht: 12. September 2003

© 2003 Richter et al.
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Zusammenfassung

Das etablierte Untersuchungsverfahren zur Beurteilung der Stimmlippenschwingungen während der Phonation, die indirekte Lupenlaryngoskopie mit Stroboskopie, bietet zur Beurteilung von gesunden Sängerstimmen wegen ihres eingeschränkten zeitlichen Auflösungsvermögens bisher nur wenige Möglichkeiten für quantitative Untersuchungen. Demgegenüber bietet die Hochgeschwindigkeitsglottographie in der Evaluation von Sängerstimmen interessante Möglichkeiten, die Bewegungen der Stimmlippen quantitativ zu betrachten und zu objektivieren. Bisher liegen noch keine Vergleichs- oder Normdaten zu den für professionelle Sänger besonders wichtigen Stimmgebungsmodalitäten wie Glissando und Staccato vor. Wir haben deswegen in einer Pilotstudie 15 stimmgesunde professionelle Sänger und 15 Normalpersonen ohne ausgebildete Stimmen vergleichend untersucht. Dabei zeigte sich eine deutlich höhere Präzision und Steuerungsfähigkeit bei den professionellen Sängern. Dies legt nahe, die Glissando- und Staccatofunktion zukünftig als Qualitätskriterien für die Beurteilung professioneller Sängerstimmen heran zu ziehen.


Text

Einleitung

Als Untersuchungsverfahren zur Beurteilung der Stimmlippenschwingungen während der Phonation steht bisher hauptsächlich die indirekte Lupenlaryngoskopie mit Stroboskopie zur Verfügung. Ergänzend werden zur Diagnostik auch akustische und aerodynamische Parameter herangezogen [1], [2], [3]. Wegen der hohen Grundfrequenz der Stimmlippenschwingungen während der Phonation (im Bereich von ca. 100-800 Hz), können die Bewegungsabläufe mit den bisher gebräuchlichen klinischen Untersuchungsmethoden nicht ausreichend dargestellt werden. Die bisherigen Untersuchungsmethoden bieten zudem häufig uneinheitliche Befunde [4]. In letzter Zeit sind deswegen vermehrt wissenschaftliche Untersuchungen initiiert worden, um die Befunde mittels Hochgeschwindigkeitsglottographie zu objektivieren [5], [6].

Kaum ein anderes Gebiet der Gesangslehre ist im Lauf der Geschichte bis heute so kontrovers diskutiert worden wie das der Stimmregister. Gegenstand zum Teil heftiger Kontroversen ist bis heute etwa die Frage, wie viele Register es überhaupt gibt und wie sie angemessen zu benennen seien. Nach Sunberg wird als Register eine Folge von Tönen verstanden, die im Kehlkopf mit einem ähnlichen Schwingungsmuster erzeugt werden und die ein ähnliches Timbre besitzen [7]. Durch die hohe Auflösung der Echtzeitkamera ist es nun erstmals möglich, das Schwingungsverhalten der Stimmlippen in den Bereichen des Tonumfangs einer Sängerstimme zu untersuchen, in denen bisher die Registerübergänge vermutet werden.

Fragestellung

Können auf laryngealer Ebene im Schwingungsablauf Unterschiede bei stimmgesunden Probanden im Vergleich von professionellen Sängern und stimmlich nicht differenziert ausgebildeten Normalpersonen festgestellt werden?

Wie unterscheiden sich die beiden Untersuchungsgruppen hinsichtlich der Parameter:

1. Staccatofunktion

2. Glissandofunktion

Methode

Da bisher noch keine Vergleichs- oder Normdaten zu den für professionelle Sänger besonders wichtigen Stimmgebungsmodalitäten wie Glissando und Staccato vorliegen, haben wir in einer Pilotstudie folgende stimmgesunde Probanden (d.h. keine subjektiven Stimmbeschwerden, nach dem RBH Schema alle H0, in der Stroboskopie keine Irregularitäten im Schwingungsablauf oder Schleimhautauffälligkeiten; Alter 24-42 Jahre) deskriptiv vergleichend untersucht:

15 professionelle Sänger

15 Normalpersonen ohne ausgebildete Stimmen

Als Untersuchungsinstrument kam eine Echtzeitkamera der Firma Wolf (Knittlingen) zum Einsatz. Mit diesem Instrument sind neben einer Aufnahmefrequenz von 4000 Bildern pro Sekunde auch kymographische Darstellungen und Auswertungen des simultan aufgenommenen akustischen Signals möglich.

Ergebnisse

Glissando

Bei Laiensängern finden sich im Registerübergang häufig Unregelmäßigkeiten sowohl hinsichtlich der Parameter Frequenz als auch Amplitude [Abb. 1]. Bei professionellen Sängerinnen findet sich im Übergang ein regelmäßiger Frequenzshift mit kurzzeitiger Reduktion der Amplitude [Abb. 2]. Bei professionellen tiefen Männerstimmen findet sich im Übergang ein ebenfalls regelmäßiger Frequenzshift mit kurzzeitiger deutlicher Amplitudenreduktion [Abb. 3].

Bei professionellen hohen Männerstimmen findet ein anderer Übergang mit leichter Amplitudenaugmentation statt, da hier das Zielregister nicht das Falsett, sondern das nach oben über das Passagio ausgebaute Brustregister (sog. Voix mixed) ist [Abb. 4].

Staccato

Bei Laiensängern finden sich eine langsam ansteigende Einschwingphase und eine verlängerte Ausschwingphase. Bei professionellen Sopranistinnen finden sich bei gleicher Zielfrequenz wie in Abb. 2b [Abb. 4] eine kurze, sehr präzise Einschwingphase und eine regelmäßige Ausschwingphase.

Diskussion

Die Hochgeschwindigkeitsglottographie bietet in der Evaluation von Sängerstimmen interessante Möglichkeiten, die Bewegungen der Stimmlippen quantitativ zu betrachten und zu objektivieren. Damit steht neben der akustischen Analyse erstmals ein Verfahren zu Verfügung, welches auf laryngealer Ebene im Schwingungsverlauf Besonderheiten der Sängerstimme untersuchen kann. In unserer Pilotstudie zeigte sich eine deutlich bessere Präzision und Steuerungsfähigkeit bei den professionellen Sängern. Der Bereich der Registerübergänge kann dargestellt werden. Weiterführende Untersuchungen an größeren Kollektiven müssen nun zeigen, in wieweit sich die in unserer bisher rein deskriptiven Auswertung gefundenen Unterschiede in den Ergebnissen statistisch als bedeutsam verifizieren lassen. Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, so kann in Zukunft möglicherweise davon ausgegangen werden, dass die quantitativen Parameter der Glissando- und der Staccatofunktion zur Qualitätsbeurteilung von professionellen Sängerstimmen herangezogen werden können.


Literatur

1.
Michaelis D, Fröhlich M, Strube HW. Selection and combination of acoustic features for the description of pathologic voices. J Acoust Soc Am 1998;103(3):1628-1639
2.
Fröhlich M, Michaelis D, Kruse HW. Objektive Beschreibung der Stimmgüte unter Verwendung des Heiserkeitsdiagramms. HNO 1998;46:684-689
3.
Fröhlich M, Michaelis D, Strube HW, Kruse E. Akustische Stimmqualität unter verschiedenen Rahmenbedingungen. Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 1999/2000. Bd. 7:34-39
4.
Hess M, Günther R, Verdolini K, Tepp J, Mansmann U, Gross M. Einfluß der Stimmvorgabe auf die Beurteilung transnasaler pharyngo-laryngoskopischer Videosequenzen bei Patienten mit Hyperfunktioneller Dysphonie Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 1999/2000. Bd. 7:71-74
5.
Mergell P, Herzel H, Wittenberg T, Tigges M, Eysholdt U. Phonation onset: vocal fold modeling and high-speed glottography. J Acoust Soc Am 1998; 104(1):464-470
6.
Tigges M, Wittenberg T, Mergell P, Eysholdt U. Imaging of vocal fold vibration by digital multi-plane kymography. Compt Med Imaging Graph 1999;23(6):323-330
7.
Sundberg J. The science of the singing voice. Northern Illinois University Press, Illionois, 1987