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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Funktionelle Ergebnisse von Stimmprothesen und Ösophagusersatzstimme bei laryngektomierten Patienten

Vortrag

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  • corresponding author Steffen Dommerich - Universität Rostock, Medizinische Fakultät, Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie "Otto Körner", Doberaner Str. 137-39, 18057 Rostock
  • Burkhard Kramp
  • Frank Böhm

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocV01

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2003/03dgpp001.shtml

Veröffentlicht: 12. September 2003

© 2003 Dommerich et al.
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Zusammenfassung

Für Patienten nach Laryngektomie stellt der Verlust des Kehlkopfs einen weitreichenden Einschnitt für ihr weiteres Leben dar. Zur stimmlichen Rehabilitation stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, deren Patientenkomfort und funktionelle Ergebnisse im Rahmen einer Fragebogenaktion und durch Erhebung objektiver Parameter untersucht wurden. Im Zeitraum von 1986 - 2002 wurden an der Rostocker HNO-Klinik 146 Patienten laryngektomiert. Bei 107 Patienten wurde intraoperativ eine Stimmprothese eingesetzt. Die Gesamtmenge der verwendeten Stimmprothesen betrug im Untersuchungszeitraum 227. Bei 48 Patienten wurden die Stimmprothesen nachfolgend wieder entfernt.1 Jahr nach Laryngektomie nutzten 38,2% der Patienten ausschließlich die Ösophagusersatzstimme, 22,4% Ösophagusersatzstimme und Stimmprothese und 19,7% ausschließlich die Stimmprothese. Über 60% der Patienten mit Stimmprothese erlernten die Anwendung am ersten Tag. Die gleiche Prozentzahl wurde bei der Ersatzstimme erst nach einem halben Jahr erreicht. In der Zufriedenheit der Patienten mit der verwendeten Kommunikationshilfe zeigten sich keine signifikanten Unterschiede. Im Postlaryngektomie-Test nach Zenner konnte eine deutliche Überlegenheit der Stimmprothese festgestellt werden, ebenso in der Tonhaltedauer und der Anzahl der gesprochenen Silben pro Minute. Patienten mit gut funktionierender Stimmprothese erlernten die Ösophagusersatzstimme in deutlich kürzerer Zeit.


Text

Einleitung

Für Patienten nach Laryngektomie stellt der Verlust des Kehlkopfs einen weitreichenden Einschnitt für ihr weiteres Leben dar. Neben der deutlichen Stigmatisierung durch das Tracheostoma, der funktionellen „Ausschaltung" der Nase, der respiratorischen Anosmie und anderen Einschränkungen, ist der Verlust der Stimme als die schwerwiegendste Folge nach Laryngektomie anzusehen [1], [2].

Seit der ersten Laryngektomie bei einem Karzinom durch Theodor Billroth im Jahre 1873 wurden verschiedene Möglichkeiten der stimmlichen Rehabilitation entwickelt. Im Jahre 1908 berichtete Gutzmann erstmals über die Technik der Ösophagusersatzstimme. In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden verschiedene chirurgische Techniken zur Stimmrehabilitation vorgestellt. Die erste Stimmprothese wurde 1972 durch Mozolewski entwickelt. Außerdem stehen externe elektrische Tongeneratoren zur Verfügung [[3], [4], [5], [6], [7].

Alle Rehabilitationstechniken bieten neben Vorteilen auch verschiedene Nachteile, wobei sich neben der Ösophagusersatzstimme auch die Stimmprothesen zunehmend durchsetzen. Anhand des Patientengutes der Rostocker HNO-Klinik werden funktionelle Ergebnisse von Stimmprothesen und Ösophagusersatzstimme bei laryngektomierten Patienten dargestellt.

Methode

Im Zeitraum von 1986 - 2002 wurden an der Rostocker HNO - Klinik 146 Patienten, davon 140 männliche und 6 weibliche Patienten laryngektomiert. Das Durchschnittsalter betrug 56 Jahre (33 - 75 Jahre). Bei 107 Patienten wurde intraoperativ eine Stimmprothese eingesetzt. Die Gesamtmenge der verwendeten Stimmprothesen betrug im Untersuchungszeitraum 227. Bei 48 Patienten wurden die Stimmprothesen nachfolgend wieder entfernt.

Für die Messungen grundlegender Stimmleistungen wurden die Grundfrequenz, der maximale Schalldruckpegel, die Tonhaltedauer und die Silbenzahl pro Minute ermittelt. Zur Beurteilung der Sprachverständlichkeit wurde der Postlaryngektomietelefontest nach Zenner durchgeführt.

Die Untersuchungen beeinhalteten neben Angaben aus der regelmäßig stattfindenden Tumorsprechstunde weiterhin einen Fragebogen zu Problemen und subjektiver Zufriedenheit mit der jeweiligen Ersatzstimme.

Ergebnisse

Nach Ablauf eines Jahres post operationem waren 114 Patienten (78,1 %) stimmlich rehabilitiert. 6 Patienten (4,1 %) konnten trotz Übungsbehandlungen nach einem Jahr keine Ersatzstimme produzieren. 11 Patienten (7,53 %) verstarben innerhalb der Rehabilitationsphase, bei 15 Patienten (10,3 %) konnte die Ersatzstimme bei fehlendem Nachschaubesuch nicht beurteilt werden.

Von den als stimmlich rehabilitiert angesehenen Patienten nutzten ein Jahr nach Laryngektomie 38,2 % der Patienten ausschließlich die Ersatzstimme, 22,4 % Ersatzstimme und Stimmprothese und 19,7 % ausschließlich die Stimmprothese. Die genaue Verteilung der Rehabilitationsverfahren wird in der Abbildung 1 dargestellt [Abb. 1].

Über 60 % der Patienten mit Stimmprothesen erlernten die Anwendung am ersten Tag. Die gleiche Prozentzahl wurde bei Patienten mit Ösophagusersatzstimme erst nach einem halben Jahr erreicht. In der Zufriedenheit der Patienten mit der verwendeten Kommunikationshilfe zeigten sich keine signifikanten Unterschiede.

Die gemessenen Grundfrequenzen lagen bei Stimmprothesensprechern mit 80,04 Hz etwas tiefer als in der Gruppe der Ösophagussprecher mit 89,51 Hz. Im Bereich der maximalen Lautstärke zeigte sich ein leichter Vorteil bei Patienten mit Stimmprothese. Die längere Tonhaltedauer mit durchschnittlich 10,55 Sekunden erreichten die Patienten mit Stimmprothese. Sie betrug bei der Ösophagusstimme nur 1,62 Sekunden.

Beim Postlaryngektomie-Test bestand eine deutliche Überlegenheit der Stimmprothese mit signifikant besseren Ergebnissen in der Wortverständlichkeit, der Satzverständlichkeit und der Gesamtverständlichkeit.

In der Gruppe der Stimmprothesensprecher benötigten etwa 33 % Hilfe bei der Anwendung, bei den Patienten mit Ösophagusersatzstimme waren es rund 83 %. Eine Übersicht über die unterschiedliche Inanspruchnahme fremder Hilfe zeigt Abbildung 2 [Abb. 2].

Hinsichtlich der subjektiven Zufriedenheit ergaben sich bei unserem Patientengut keine signifikanten Unterschiede zwischen Patienten mit Stimmprothese und Ösophagussprechern.

Diskussion

Der hohe Anteil stimmrehabilitierter Patienten bestätigt das Konzept einer primären Versorgung mit einer Stimmprothese und frühestmöglichen Anbahnung der Ösophagusersatzstimme. Im Vergleich der Stimmleistung zeigen die Untersuchungen eine Überlegenheit der Stimmprothese, zudem können die meisten Patienten direkt nach dem Einsetzen eine verständliche Sprache produzieren. Allerdings ergeben sich für die Nutzer von Stimmprothesen eine Vielzahl von Komplikationsmöglichkeiten, die häufig zum Versagen der Prothese führen und nur durch ärztliche Hilfe beseitigt werden können [8], [9], [10].

Hinsichtlich der Zufriedenheit der Patienten konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Rehabilitationsverfahren festgestellt werden. Unter Berücksichtigung der methodenspezifischen Vor- und Nachteile sollten beide Verfahren als gleichwertig betrachtet und den betroffenen Patienten entsprechend angeboten werden [11], [12].

Die Anwendung einer elektronischen Sprechhilfe sollte als ultima ratio nur den Patienten vorbehalten bleiben, die keine andere Ersatzstimme erlernen können.


Literatur

1.
Ackerstaff AH, Hilgers FJM. Die Folgen einer totalen Kehlkopfentfernung unter besonderer Berücksichtigung der Rehabilitation der Stimme und der unteren Luftwege. HNO 1997; 45: 97 - 104
2.
Op de Coul BMR, Hilgers FJM, Balm AJM, Tan IB, van den Hoogen FJA, van Tinteren H. A Decade of Postlaryngectomy Vocal Rehabilitation in 318 patients. Arch Otolaryngol Head Neck Surg 2000; 126: 1320 - 1328
3.
Gussenbauer C. Über die erste durch Theodor Billroth am Menschen ausgeführte Kehlkopfexstirpation und die Anwendung eines künstlichen Kehlkopfes. Arch Klin Chir 1874; 17: 343 - 357
4.
Gutzmann H. Stimme und Sprache ohne Kehlkopf. Laryngo Rhino Otol 1909; 1: 221 - 242
5.
Hagen R. Operative Verfahren zur Wiederherstellung des Sprechvermögens nach totaler Laryngektomie. Sprache Stimme Gehör 1997; 21: 7 - 12
6.
Mozolewski E. Surgical rehabilitation of voice and speech after laryngectomy (in Polish). Otolaryngol Pol 1972; 26: 653 - 661
7.
Kischk BT, Gross M. Vergleichende Beurteilung der Ersatzstimme nach Laryngektomie. HNO 1995; 43: 304 - 310
8.
Neumann A, Schultz-Coulon H-J. Management von Komplikationen nach prothetischer Stimmrehabilitation. HNO 2000; 48: 508 - 516
9.
Bauters TGM, Moerman M, Vermeersch H, Nelis HJ. Colonization of Voice Prostheses by Albicans and Non-Albicans Candida Species. Laryngoscope 2002; 112: 708 - 712
10.
Lichtenberger G. Advances and refinements in surgical voice rehabilitation after laryngectomy. Eur Arch Otorhinolaryngol 2001; 258: 281 - 284
11.
de Maddalena H, Maaßen M, Arold R. Zenner HP. Stimmrehabilitation nach Laryngektomie mit Stimmprothesen. Ergebnisse einer prospektiven Untersuchung. Laryngo Rhino Otol 1992; 71: 416 - 422
12.
Daniilidis I, Nikolaou A, Markou C, Kotsani A. Stimmrehabilitation nach totaler Laryngektomie. Stimmprothesen oder Ösophagus-Ersatzstimme. Laryngo Rhino Otol 1998; 77: 89 - 92