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Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Repositorien: Der grüne Weg zu Open Access Publishing aus der Perspektive einer Forschungsförderungsorganisation: 10 Fragen von Bruno Bauer an Falk Reckling, Mitarbeiter des FWF Der Wissenschaftsfonds

Repository: The Green Road to Open Access Publishing and the FWF Austrian Science Fund's point of view: 10 questions to Falk Reckling, Austrian Science Fund, by Bruno Bauer

Interview

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  • corresponding author Falk Reckling - FWF - Wissenschaftsfonds, Wien, Österreich
  • author Bruno Bauer - Medizinische Universität Wien, Universitätsbibliothek, Wien, Österreich Externer Link

GMS Med Bibl Inf 2009;9(1):Doc11

doi: 10.3205/mbi000139, urn:nbn:de:0183-mbi0001394

Veröffentlicht: 16. Juni 2009

© 2009 Reckling et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Befürworter von Open Access Publishing fordern, das etablierte wissenschaftliche Publikationswesen, insbesondere das System der subskriptions- und lizenzfinanzierten wissenschaftlichen Zeitschriften, durch das Open Access Publishing-Modell zu ersetzen. Wissenschaftliche Fachpublikationen sollen unmittelbar und kostenfrei über das Internet zugänglich sein , wobei das Copyright beim Autor bleibt.

Stand dabei zunächst die Primärpublikation eines wissenschaftlichen Fachartikels in einer Open Access Zeitschrift im Mittelpunkt, so verlagerte sich der Handlungsschwerpunkt der Open Access Befürworter in jüngster Zeit auf die Zweitpublikation in der Form der Selbstarchivierung von wissenschaftlichen Fachartikeln in institutionellen Repositorien.

Das aktuelle Interview mit Falk Reckling informiert über den FWF Der Wissenschaftsfonds (http://www.fwf.ac.at) und dessen Einschätzung von Open Access. Thematisiert werden sowohl der Goldene Weg zu Open Access als auch der Grüne Weg zu Open Access sowie die Kostenfrage. Angesprochen werden auch die Voraussetzungen für einen Paradigmenwechsel zu Open Access Publishing, Perspektiven für das wissenschaftliche Publikationswesen 2020 sowie die mögliche zukünftige Rolle von Bibliotheken.

Schlüsselwörter: Open Access Publishing, Wissenschaftliches Publikationswesen, Zukunft, Grüner Weg, Institutionelles Repositorium, Forschungsförderungsorganisation, FWF Der Wissenschaftsfonds

Abstract

Advocates of Open Access call to substitute the established scholarly publication model, in particular subscriptions and licences, by an Open Access Publishing model. Scholarly papers should be immediately accessible without paying and leave the copyright to the author.

At the beginning the Open Access movement focused on and demanded for the publication of original scientific articles in Open Access journals. Meanwhile they moved on to support a form of secondary publication, the self-archiving of sholarly papers in institutional repositories.

The current interview with Falk Reckling gives an account of the FWF Austrian Science Fund (http://www.fwf.ac.at) and their point of view towards Open Access. The interview hits the Golden Road as well as the Green Road to open access and their costs. Preconditions for a paradigm shift towards Open Access Publishing are brought up and prospects of sholarly publishing in 2020 were discussed with a look on libraries and their possible role within this setting

Keywords: Open Access Publishing, scholarly publication, future, green road to open access, institutional repository, publisher, FWF Austrian Science Fund


Interview

1. FWF Der Wissenschaftsfonds

B. Bauer: Der FWF Der Wissenschaftsfonds ist die bedeutendste Forschungsförderungsorganisation in Österreich.

Wie ist der FWF organisatorisch aufgebaut? Wo liegen die Schwerpunkte der vom FWF geförderten Forschung?

F. Reckling: Der FWF ist eine Förderorganisation für Grundlagenforschung wie es sie in fast allen OECD-Ländern gibt. Da wir aber allen Wissenschaftsdisziplinen offenstehen, ist der FWF am ehesten vergleichbar mit Organisationen wie der DFG in Deutschland, dem SNF in der Schweiz, der AKA in Finnland oder der NWO in den Niederlanden. Darüber hinaus hat der FWF zwei „Alleinstellungsmerkmale“, d.h. Besonderheiten, die in der Form andere Förderorganisationen nicht haben:

Wir lassen alle Anträge ausschließlich im Ausland begutachten. Die momentane Verteilung sieht in so aus, dass ca. ein Drittel aller Gutachten aus den USA und Kanada kommen, 30% aus EU-Ländern, 24% aus Deutschland und der Schweiz und ca. 13% aus anderen Ländern der Welt. Diese Praktik bedeutet auch, dass alle Anträge (mit Ausnahme einer Handvoll in den Geisteswissenschaften) in englischer Sprache gestellt werden.

Der FWF widmet für die einzelnen Wissenschaftsgebiete kein Budget, d.h. wir haben einen „großen Topf“, um den alle Wissenschaftsgebiete gleichermaßen konkurrieren. In den letzten Jahren haben v.a. die Physik, die Mathematik und die Geisteswissenschaften besonders gut abgeschnitten, die Life Science Disziplinen liegen etwa im Durchschnitt. Diese Verteilung entspricht auch in etwa auch dem Zitationsoutput, den die österreichischen Wissenschaftsdisziplinen erbringen (http://www.fwf.ac.at/de/zur_diskussion/index.html).

Im Zusammenhang mit der Thematik des Interviews soll noch erwähnt werden, dass der FWF anders als bspw. die DFG keine Infrastruktur wie Bibliotheksausstattungen, Zeitschriften o.ä., sondern i.d.R. nur direkte Projektkosten fördern kann.

2. FWF & Open Access

B. Bauer: Seit der „Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen“ vom 22. Oktober 2003 ist Open Access Publishing ein Thema, das Vertreterinnen und Vertreter von Wissenschaft, Bibliotheken und Forschungsförderungsorganisationen intensiv beschäftigt. Die Berliner Erklärung wurde u.a. auch von Georg Wick, dem damaligen Präsidenten des FWF, sowie von Georg Winckler, Rektor der Universität Wien und damals Vorsitzender der österreichischen Rektorenkonferenz (seit 2008 Universitätenkonferenz) unterfertigt. Konkrete Maßnahmen für die Förderung von Open Access Publishing in Österreich wurden bisher allerdings nur vom FWF gesetzt, wie etwa durch die „Open Access Policy bei FWF-Projekten“ unter Beweis gestellt wird.

Welche Motive waren ausschlaggebend, dass der FWF sich – gleichsam in einer Vorreiterrolle für Österreich – für Open Access Publishing engagiert? Worin sehen Sie, aus der spezifischen Perspektive des FWF, so starke Beweggründe, die es rechtfertigen, das etablierte und über Jahrzehnte bewährte Publikationssystem, das überwiegend aus Zeitschriftenabonnements und -lizenzen finanziert wird, einer so gravierenden Veränderung zu unterziehen, deren proklamierte positive Auswirkungen auf Qualität, Impact und Finanzierung der wissenschaftlichen Publikationen noch längst nicht unbestritten sind?

F. Reckling: Zunächst einmal darf ich mir erlauben, die Aussage in der Fragestellung zu bezweifeln. Wenn sich das bisherige Publikationssystem der Zeitschriftenabonnements und -lizenzen bewährt hätte, dann wäre es schwer verständlich, wie es zur „Zeitschriftenkrise“ und auch zur Open Access Bewegung gekommen ist. Die Open Access Bewegung ist ja keine Erfindung der Wissenschaftsbürokratie, sondern hat sich aus dem vitalen Bedürfnis der Scientific Community gespeist, auf Forschungsergebnisse, die von ihr produziert wurden, auch freien Zugang zu haben (Hierzu kann ich nur empfehlen, was der Medizinnobelpreisträger Harold Varmus als Wissenschaftler wie als NIH-Chef dazu geschrieben hat [1]).

Des weiteren sehe ich prinzipiell wie auch empirisch keine Anzeichen dafür, dass sich das bisherige System in Fragen der Qualität, des Impacts oder der Finanzierung von dem des Open Access unterscheidet:

  • Zunächst gibt auch im alten System in diesen Punkten eine erhebliche Varianz. Ein Aspekt der Zeitschriftenkrise war ja, dass es – wie die Gebrüder Bergstrom mit der Datenbank http://www.journalprices.com/ zeigen – bei vielen Zeitschriften kaum eine positive Korrelation zwischen Impactleistung und Preis gibt.
  • Open Access Publikationen unterliegen genau den gleichen „Gesetzen“ wie jede neue Zeitschrift im alten System: es braucht Zeit bis die entsprechende Reputation aufgebaut ist.
  • Wenn man bedenkt, dass Open Access (Green wie Gold Road) systematisch erst seit einigen Jahren betrieben wird, dann ist erstaunlich, in welchem Ausmaß Qualität und Impact sich bereits entwickelt haben. Damit meine ich nicht nur „Flaggschiffe“ wie die Zeitschriften von PLOS. Für viele Disziplinen gibt es mittlerweile einige empirische Evidenzen, dass Open Access signifikant den Impact der Publikationen erhöhen kann (siehe u.a. http://opcit.eprints.org/oacitation-biblio.html).

Aber zurück zu den Beweggründen des FWF. Es gibt im Wesentlichen drei Gründe: (1) Öffentlich finanzierte Forschung ist geradezu verpflichtet, die Produkte des öffentlichen Gutes „Wissenschaft“ so weit als möglich frei und kostengünstig zugänglich zu machen. (2) Weiterhin ist es im Interesse jeder Förderorganisation, dass die Ergebnisse ihrer Förderungen eine möglichst große Verbreitung finden. (3) Und schließlich gibt auch eine ökonomische Verantwortung. Derzeit konzentriert sich der STM-Markt auf drei bis vier marktbeherrschende „Big Player“, und das bei einem Markt, bei dem ein Großteil der Produktkosten und Abnahme von öffentlichen Mitteln getragen, die Gewinne aber privatisiert werden. Hier bietet Open Access die Möglichkeit, den Wettbewerb um Publikationsmodelle wieder zu vitalisieren, indem es profitorientierten wie auch nicht-profitorientierten Alternativmodellen Marktzugangschancen eröffnet.

3. FWF & Gold Road to Open Access

B. Bauer: Das Ziel, Open Access für wissenschaftliche Fachpublikationen sicherzustellen, kann auf zwei Wegen erreicht werden. Entweder können wissenschaftliche Fachartikel in Open Access-Zeitschriften publiziert werden, oder aber Autorinnen und Autoren bringen die in abonnement- bzw. lizenzfinanzierten Zeitschriften publizierten Fachbeiträge in institutionelle oder fachliche Repositorien ein. Die Variante der Erstveröffentlichung einer Publikation gemäß Open Access-Richtlinien stellt den Idealfall von Open Access Publishing dar, weshalb man von der „Gold Road to Open Access“ spricht.

Welchen Stellenwert misst der FWF der „Gold Road to Open Access“ in seinen strategischen Überlegungen bei? Welche konkrete Unterstützung können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die den „goldenen Weg“ wählen, vom FWF erwarten?

F. Reckling: Der FWF kritisiert nicht die legitimen Profitinteressen der Verlage. Im Gegenteil, durch unsere Förderungen wollen wir es ermöglichen, dass alternative Publikationsformen wie die „Gold Road“ Möglichkeiten haben, am Markt zu reüssieren:

  • Daher können bspw. die Kosten für referierte Publikationen in Open-Access-Zeitschriften bzw. für die Freischaltung von Artikeln in konventionellen Zeitschriften (Hybrid-Zeitschriften) beim FWF bis zu drei Jahre nach Projektende beantragt werden (s.a. http://www.fwf.ac.at/de/projects/zeitschriftenpublikationen.html). Das kann formlos beantragt werden und die Kosten werden i.d.R. innerhalb von 4 Wochen erstattet. Diese Förderungsform werden wir in Kürze auf Proceedings und Buchpublikationen ausweiten.
  • Die LeiterInnen von FWF-Projekten verfügen über ein Globalbudget inkl. eines 5%-Aufschlages für nicht kalkulierbare Kosten. Dieses Budget kann antragslos frei für das Projekt angesetzt werden, d.h. u.a. auch für Open Access Aktivitäten.
  • Direkte Zeitschriftenförderungen hat der FWF nicht, dazu sind der Markt und die Nachfrage in Österreich einfach zu klein.

4. Qualität von Open Access-Zeitschriften

B. Bauer: Ein wesentliches Kriterium für die Bewertung wissenschaftlicher Publikationen und damit für wissenschaftliche Karrieren bildet der Impact Faktor der Zeitschriften, in denen publiziert wurde. Einige der Open Access-Zeitschriften weisen mittlerweile beachtliche Impact Faktoren auf, die durchaus mit den abonnement- bzw. lizenzfinanzierten Top-Fachzeitschriften mithalten können – bestes Beispiel dafür sind die Zeitschriften von PLoS. Viele der im „Directory of Open Access Journals“ (DOAJ) verzeichneten Zeitschriften haben allerdings keine bzw. deutlich niedrigere Impact Faktoren.

Welche Möglichkeiten sieht STM für die Lösung der Problematik des schwächeren bzw. fehlenden Impact Faktors, der aber aufgrund der etablierten Evaluierungskultur für wissenschaftliche Karrieren enorm wichtig ist? Wie steht der STM zu alternativen Begutachtungsverfahren für wissenschaftliche Fachpublikationen, wie etwa „Open Peer Review“ oder „Dynamic Peer Review“?

F. Reckling: Es liegt in der Funktion des FWF, eine professionalisierte Evaluationskultur im gesamten Wissenschaftssystem zu unterstützen, zumal diese sich in Österreich und Deutschland noch in der Entwicklungsphase befindet. Dabei ist es offenbar auch zu einigen Übertreibungen gekommen. So halte ich die Tendenz, sich beinahe ausschließlich am Impact Faktor von Zeitschriften zu orientieren, wie es sich v.a. in medizinischen Fächern etabliert hat, für problematisch, weil sie von einigen „perversen Effekten“ begleitet wird. Hier hat bspw. der deutsche Wissenschaftsrat ausgewogenere Verfahren vorgeschlagen (http://www.wissenschaftsrat.de/pilot_start.htm).

Für Forschungsförderorganisationen, die im Wesentlichen mit ex-ante Evaluierungen beschäftigt sind, haben Impact Faktoren für die Entscheidungsfindung ohnehin kaum eine Bedeutung. Denn was nützen die höchsten Impact Factors, wenn das Forschungsprojekt nicht gut ist.

Der Vorteil von Open Access setzt m.E. schon eine Ebene vorher an, nämlich bei der Qualitäts- und Transparenzsteigerung des Peer Review Verfahrens. „Open Peer Review“ oder „Dynamic Peer Review“ sind dabei wichtige Elemente bspw. einer transparenteren Diskussion, einer Verknüpfung zu Primärdaten, einer Integration von Visualisierungen sowie auch einer besseren Überprüfungsmöglichkeit von wissenschaftlichen Fehlverhalten.

5. FWF & Green Road to Open Access

B. Bauer: Als Alternative zum „goldenen Weg“ können Autorinnen und Autoren ihre Publikationen, die sie zunächst in abonnement- und lizenzfinanzierten Fachzeitschriften veröffentlicht haben, in vielen Fällen, gemäß der SHERPA/ROMEO-Liste in ein fachliches oder institutionelles Repositorium einbringen. Die Verleger vieler abo- und lizenzfinanzierter Zeitschriften bieten mittlerweile auch die Möglichkeit an, ihre Artikel gegen eine Gebühr „freizukaufen“. Diese Open Access-Fachbeiträge bringen den Autorinnen und Autoren die Reputation der etablierten Fachzeitschrift, zugleich entsprechen die Publikationen, mit denen sie so verfahren, den Kriterien von Open Access Publishing. Diese Variante der Zweitveröffentlichung einer Publikation gemäß Open Access-Richtlinien wird als „Green Road to Open Access“ bezeichnet. Einen guten Überblick über die bestehenden Repositorien bietet „OpenDOAR“.

Wie beurteilt der FWF die “Green Road to Open Access”? Welche konkreten Fördermaßnahmen für den “grünen Weg” setzt der FWF? Präferieren Sie die Selbstarchivierung oder den „Freikauf“ von wissenschaftlichen Fachbeiträgen? Forcieren Sie institutionelle oder fachliche Repositorien, und gibt es Überlegungen, ein eigenes FWF-Repositorium aufzubauen.

F. Reckling: Der FWF unterstützt und fördert die Green Road, die Gold Road als auch Artikel in Hybrid-Zeitschriften. Die Gründe dafür sind, (1) dass wir den WissenschafterInnen möglichst viele Optionen offenhalten wollen. (2) Es soll sich am „Markt der Ideen“ entscheiden, welche der Varianten sich letztlich durchsetzt.

Der FWF betreibt selbst kein Repositorium, vielmehr überlässt er es der freien Wahl der WissenschafterInnen, wo sie ihre Publikationen frei zugänglich archivieren. Die Erfahrungen zeigen, dass sich bisher fachdisziplinäre Repositorien wie PubMedCentral, RePEc, SSRN oder ArXiv besonders bewährt haben, weil sie offenkundig das Zielpublikum in einer internationalisierten Wissenschaft am besten erreichen. Institutionelle Repositorien können eine sinnvolle Ergänzung v.a. im Hinblick auf redundante Archivierungen sein, allerdings sollten sie so gehalten sein, dass sie zu keiner administrativen Überlastung der WissenschafterInnen führen. Im Bereich der „Life Sciences“ diskutiert der FWF derzeit mit PubMed UK (http://ukpmc.ac.uk/) wie deren Service, das weit über ein Repositorium für Publikationen hinausgeht, auf andere europäische Länder und damit auch auf Österreich ausgedehnt werden kann. Wir haben alle Universitätsbibliotheken mit einem signifikanten Life Science Anteil eingeladen, sich an dieser Initiative zu beteiligen, bisher aber leider noch keine positiven Rückmeldungen bekommen.

6. Kosten von Open Access Publishing

B. Bauer: Damit die Vorteile von Open Access Publishing umfassend und nachhaltig wirksam werden können, müsste das etablierte abonnement- bzw. lizenzfinanzierte Publikationssystem nachhaltig umgestellt werden. Um diesen Paradigmenwechsel vollziehen zu können, reicht es nicht, wenn der FWF die Open Access-Publikationskosten für die von ihm finanzierte Forschung übernimmt. Vielmehr müsste auch und besonders das gesamte etablierte Publikationssystem von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten durch Open Access Publishing ersetzt werden.

Berechnungen, etwa für die Medizinische Universität Wien, die Technische Universität Wien und die Veterinärmedizinische Universität Wien, haben gezeigt, dass die derzeit an den betreffenden Universitätsbibliotheken für die Finanzierung des Zeitschriftenabonnements und -lizenzen getätigten Ausgaben bei weitem nicht ausreichen, um die Publikationskosten für den jeweiligen Forschungsoutput in Open Access-Zeitschriften finanzieren zu können. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass diese Bibliotheksmittel für den Fall, dass dem „grünen Weg“ der Vorzug gegeben wird, nicht zur Verfügung stehen, weil ja die Fachzeitschriften an den Universitäten weiterhin abonniert und lizenziert werden müssen.

Welche Finanzierungsmöglichkeiten für Open Access, sei es für den „goldenen Weg“, sei es für den „grünen Weg“, sieht der FWF? Wie viele der von der FWF geförderten Publikationen entfallen in den Kategorie des „goldenen Weges“, wie viele in die Kategorie des „grünen Weges“?

F. Reckling: Es ist richtig, dass wir uns derzeit in einer Übergangsphase befinden, in der zwei Systeme parallel existieren. Solche Übergänge verursachen i.d.R. eher zusätzliche Kosten, als dass sie einsparen. Wenn man allein das als Maßstab nehmen würde, hätte man auch auf elektronische Zugänge als Ergänzung zur Hardcopy verzichten müssen.

Auch das hat den Bibliotheken eine gewaltige Kostenexplosion beschert.

Mit den bisherigen Analysemethoden lässt sich nicht feststellen, wie viele Publikationen aus FWF-Projekten die „Gold Road“ oder die „Green Road“ verfolgen. Wir hoffen in Zukunft darüber einen besseren Überblick zu bekommen, weil das nunmehr in den Endberichten abgefragt wird. Bevor dazu valide Daten vorliegen, werden wohl gut 3 Jahre vergehen.

Über seine Publikationsförderungen hat der FWF im Jahr 2008 schätzungsweise 120 Publikationen (ca. 120.000 Euro) in Open Access oder Hybrid-Zeitschriften gefördert. Vor gut 2 Jahren war der Anteil noch marginal. Es ist aber anzunehmen, dass dies nur einen sehr geringen Teil darstellt, da (a) viele Open Access Zeitschriften keine oder nur geringe Gebühren verlangen und (b) vieles vermutlich über das Globalbudget der FWF-Projekte finanziert wird.

7. Voraussetzungen für Paradigmenwechsel zu Open Access Publishing

B. Bauer: Unterzieht man das abonnement- und lizenzfinanzierte Publikationssystems und die möglichen Alternativen einer kritischen Beurteilung, so ist festzustellen, dass Open Access Publishing auf absehbare Zeit kaum zu Verbesserungen bei Qualität, Impact und Finanzierung der wissenschaftlichen Fachpublikationen führen wird, auch wenn in einzelnen Studien über Open Access Publishing dahingehend argumentiert wird.

Open Access Publishing kann allerdings Vorteile in gesellschaftspolitischer Hinsicht bringen; diese werden wohl neben den Forschungsförderungsgeldgebern, wie National Instituts of Health oder Wellcome Trust, insbesonders auch von der Wissenschaftspolitik einzufordern – und letztlich auch zu finanzieren – sein. Einen Überblick über diesbezügliche Aktivitäten ermöglicht das „Registry of Open Access Repository Material Archiving Policies“ (ROARMAP).

Was erwartet sich der FWF von den verantwortlichen Forschungspolitikern in Österreich, aber auch in Europa? Welche Parameter müssen erfüllt werden, damit sich Autorinnen und Autoren sowie Verlage – stärker als bisher – für Open Access Publishing einsetzen?

F. Reckling: Es sollten die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für eine Umstellung vom „Subskriptionsmodell“ zum „Autor-zahlt-Modell“ gesetzt werden. Dazu erscheint es mir notwendig, dass die Mittel, die bisher in die Subskriptionen fließen, den AutorInnen zur Verfügung gestellt werden.

8. Zukunft von Open Access Publishing

B. Bauer: Als im Jahr 2000 die Initiative der Public Library of Science (PLoS) gestartet wurde, war dies die erstmalige Formulierung der Forderung nach einem kompletten Paradigmenwechsel für das wissenschaftliche Publikationssystem. Mehr als 35.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit haben diesen Aufruf mit der Forderung, dass elektronische Volltextartikel spätestens sechs Monate nach dem Erscheinen freigegeben werden sollen, unterfertigt. Die Ankündigung der Unterzeichner, die entsprechende Zeitschrift nicht kaufen und nicht zitieren zu wollen, und auch nicht bereit zu sein, nach dem 1. September 2001 als Autor, Herausgeber oder Reviewer zur Verfügung zu stehen, blieb damals mangels alternativer Publikationsmöglichkeiten ohne Konsequenz. Es folgte eine Phase zahlreicher Deklarationen für Open Access Publishing (inbesonders Budapest Open Access Initiative, Bethesda Statement on Open Access Publishing, Berliner Erklärung) sowie konkrete Angebote für den „goldenen Weg“ bzw. den „grünen Weg“ zu Open Access Publishing.

Mittlerweile haben sich neben den der Herausgabe von Open Access-Zeitschriften bzw. der Selbstarchivierung als „True Open Access“ neben dem bereits angesprochenen „Optional Open Access“ verschiedene Sonderformen entwickelt, wie „Partial Open Access“, „Delayed Open Access“ oder „Retrospective Open Access“.

Wie beurteilen Sie die bisher umgesetzten Schritte auf dem Weg zu Open Access Publishing? Welche Rolle kommt den hybriden Open Access-Modellen zu? Sehen Sie eine realistische Chance für eine komplette Transformation des etablierten abonnement- bzw. lizenzbasierten Publikationssystems hin zu Open Access Publishing?

F. Reckling: Dass die verschiedenen Initiativen keine Konsequenzen gehabt hätten, dem kann ich so nicht zu stimmen. Sie haben immerhin dazu geführt, (1) dass fast alle großen Verlage Formen der „Green Road“ zulassen und Hybrid-Optionen anbieten, (2) dass sich der Reputationsgrad von Open Access Zeitschriften schrittweise erhöht hat, (3) dass Open Access mittlerweile die Zitationshäufigkeit von Publikationen positiv beeinflusst, (4) dass eine Reihe von Forscherungsförderorganisationen (wie u.a. NIH, ERC, UK Research Councils, Wellcome Trust, DFG, SNF oder FWF) Open Access aktiv unterstützen und (5) dass es mittlerweile auch eine aktive politische Unterstützung gibt [2].

Ich sehe momentan unterschiedliche Funktionen der verschiedenen Wege des Open Access. Während die „Green Road“ dazu dient, den Druck auf die Verlage so hoch zu halten, die Bedürfnisse der Scientific Community und des „öffentlichen Gutes“ Wissenschaft zu berücksichtigen, soll die Finanzierung über die „Gold Road“ (inkl. von Hybrid-Zeitschriften) den Verlagen den Einstieg in das „Autor-zahlt-Modell“ möglich machen. Oder anders gesagt, die „Green Road“ kann dazu beitragen, dass sich die „Gold Road“ langfristig durchsetzt.

9. Perspektiven für das wissenschaftliche Publikationswesen 2020

B. Bauer: Als Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts die Verlage begannen, ergänzend zu den gedruckten Versionen ihrer wissenschaftlichen Fachzeitschriften auch „digitale Doppelgänger“ zu produzieren, wurde eine rasante Entwicklung auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Fachpublikationen eingeläutet.

Wenn Sie versuchen, aus der Sicht des Vertreters einer Forschungsförderungsorganisation zehn Jahre vorauszublicken: Wie wird sich dann das wissenschaftliche Publikationswesen präsentieren? Wird die Auseinandersetzung um Open Access Publishing bzw. lizenzbasiertes Publikationswesen (noch) das große Thema sein? Sehen Sie – längerfristig – Gefahren für die Benutzbarkeit von elektronischen Zeitschriften, etwa die Lesbarkeit von PDF-Dateien? Welchen Stellenwert wird die Publikation von Forschungsrohdaten haben?

F. Reckling: Ich erwarte und erhoffe einen Umstieg auf das „Autor-zahlt-Modell“, was vermutlich auch eine Vitalisierung des Verlagssystems bedeuten wird.

Die Benutzbarkeit ist sicher ein kritischer Punkt, aber das war es auch bisher schon, denken Sie nur an die enormen Kosten, die die Bestandserhaltung von Büchern verursacht. (Dieses Problem wird auch durch Digitalisierungen in Angriff genommen.) Ich denke, dass die technische Entwicklung schon jetzt Lösungen wie redundante Archivierungen oder Archivierungen in mehreren Formaten offeriert, die eine langfristige Benutzbarkeit sichern helfen.

Die freie Zugänglichkeit von Forschungsrohdaten (inkl. deren Einbindung in wissenschaftliche Publikationen) hat eine große Bedeutung, die auch der FWF in Zukunft in seiner Politik berücksichtigen wird. Sie ist nicht nur deshalb bedeutsam, weil auch Daten, die mit öffentlichen Mittel finanziert werden, dem Open Access Prinzip unterliegen sollten, sondern damit lassen sich zudem enorme Fortschritte im für den wissenschaftlichen Diskurs erzielen, weil die Potentiale der Darstellungsformen (z.B. Visualisierung), Reproduzierbarkeit und Sekundärauswertung gewaltig sind.

10. Zukünftige Rolle von Bibliotheken

B. Bauer: In der Auseinandersetzung um Open Access Publishing stehen Bibliotheken in einem besonderen Spannungsfeld. Zum einen gehört es – traditionell – zu ihrem Aufgabengebiet, wissenschaftliche Fachinformation aus abonnement- bzw. lizenzbasierte Zeitschriften bereitzustellen und zu vermitteln, andererseits engagieren sich viele Bibliotheken sehr stark in Open Access Publishing-Projekten, sei es – wie etwa die Deutsche Zentralbibliothek für Medizin oder das hbz – bei der Herausgabe von Open Access-Zeitschriften, sei es – wie an vielen Universitäten – beim Aufbau von institutionellen Repositorien für die Selbstarchivierung von wissenschaftlichen Fachbeiträgen der Wissenschaftler der eigenen Institution.

Sollen sich Bibliotheken auf dem „goldenen Weg“ und bzw. oder auf dem „grünen Weg“ engagieren? Sehen Sie im Hinblick auf das wissenschaftliche Publikationssystem der Zukunft in der längerfristigen Perspektive eine Rolle, die von den Bibliotheken wahrzunehmen sein wird?

F. Reckling: Ich denke, dass die Bibliotheken den Umstieg auf die freie Zugänglichkeit von wissenschaftlichen Publikationen aktiv unterstützen sollten. Ohne Frage wird sich damit auch das Aufgabenprofil der Bibliotheken ändern. So ist vorstellbar, dass es in Zukunft verstärkt um die Bestandserhaltung elektronischer Dokumente gehen wird, um die Bereitstellung von Informations- und Suchsystemen, aber auch um Qualitätskontrollen. Denn Open Access nach dem „Autor-zahlt-Modell“ bedeutet ja nicht, dass alles von den Forschungsstätten finanziert werden soll, was publiziert wird, sondern dazu braucht es Kriterien und Kontrollverfahren.


Kontakt und biographische Daten

Dr. Falk Reckling

Abbildung 1 [Abb. 1]

Kontakt

FWF – Wissenschaftsfonds
Sensengasse 1
A-1090 Wien
Tel: ++43-1-5056740-8301
Email: falk.reckling@fwf.ac.at

Biographische Daten

Dr. Falk Reckling, geb. 1970 in Berlin. Studium und Promotion in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an den Universitäten Potsdam, Berlin und Warwick sowie am European University Institute in Florenz. Von 2001–2004: wissenschaftlicher Sachbearbeiter für Sozialwissenschaften im FWF, seit 2003: verantwortlich für die Open Access Aktivitäten des FWF, seit 2004 Abteilungsleiter für Geistes- und Sozialwissenschaften, seit 2007: Abteilungsleiter „Strategie Analyse“.

Publikationen

Bis 2001 wissenschaftlichen Publikationen zu Themen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

Seit 2002 einige forschungspolitische Publikationen zur Bibliometrie, Open Access, Peer Review und zu den Geistes- und Sozialwissenschaften.


Literatur

1.
Varmus H. The Art and Politics of Science. New York: W. W. Norton; 2009. p. 242-69.
2.
US Government. Omnibus Appropriations Act 2009. p. 621.