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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Basler Consensus Statement "Kommunikative und soziale Kompetenzen im Medizinstudium": Ein Positionspapier des GMA-Ausschusses Kommunikative und soziale Kompetenzen

Basel Consensus Statement "Communicative and Social Competencies in Medical Education": A Position Paper of the GMA Committee Communicative and Social Competencies

Positionspapier/position paper Humanmedizin

  • corresponding author Claudia Kiessling - Universität Hamburg, Medizinische Fakultät, Prodekanat für Lehre, Hamburg, Deutschland
  • author Anja Dieterich - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Institut für Allgemeinmedizin, Berlin, Deutschland
  • author Götz Fabry - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Fakultät, Abteilung für Psychologie, Freiburg, Deutschland
  • author Henrike Hölzer - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Reformstudiengang Medizin, Berlin, Deutschland
  • author Wolf Langewitz - Universitätsspital Basel, Psychosomatik, Basel, Schweiz
  • author Isabel Mühlinghaus - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Reformstudiengang Medizin, Berlin, Deutschland
  • author Susanne Pruskil - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Institut für Allgemeinmedizin, Berlin, Deutschland
  • author Simone Scheffer - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Reformstudiengang Medizin, Berlin, Deutschland
  • author Sebastian Schubert - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Reformstudiengang Medizin, Berlin, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2008;25(2):Doc83

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/zma/2008-25/zma000567.shtml

Eingereicht: 20. Februar 2008
Überarbeitet: 8. April 2008
Angenommen: 10. April 2008
Veröffentlicht: 15. Mai 2008

© 2008 Kiessling et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Ziel des vorliegenden Positionspapiers ist es, abgestützt auf einen interdisziplinären und fakultätsübergreifenden Konsens, Empfehlungen darzustellen, welche kommunikativen und sozialen Kompetenzen Medizinstudierende am Ende ihres Studiums besitzen sollten. In Anlehnung an die bestehenden angloamerikanischen Consensus Statements, die in Toronto und Kalamazoo erarbeitet wurden, wird die vorliegende deutschsprachige Empfehlung „Basler Consensus Statement“ genannt.

Methodik: Die Entwicklung erfolgte in drei Schritten, einem zweitätigen Workshop in Basel und einer zweistufigen Delphi-Befragung. Ziel der Delphi-Befragungen war es, die Kompetenzbereiche und Ausbildungsziele, die in Basel erarbeitet worden waren, nach ihrer Wichtigkeit für das Medizinstudium zu beurteilen. Am Workshop nahmen 30 Personen teil, die auch die Adressaten der ersten Delphi-Befragung waren. In die zweite Delphi-Befragung wurden die Mitglieder der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) einbezogen, von denen 77 Personen an der Befragung teilnahmen. Insgesamt konnten damit über 100 Personen aus 30 Fakultäten im deutschsprachigen Raum in den Entwicklungsprozess involviert werden.

Ergebnisse: Auf der Basis der Ergebnisse der ersten und zweiten Delphi-Runde ergaben sich fünf Kompetenzbereiche, die in allgemeine und spezifische Kompetenzen unterteilt wurden. Für beide wurden Themengebiete und Ausbildungsziele festgelegt. Die spezifischen Kompetenzen umfassen die Bereiche: Ärztin-Patientin-Beziehung, Teamarbeit, Persönlichkeit und Professionalität, Urteilsbildung und Entscheidungsfindung. Insgesamt wurden 19 Themengebiete und 131 Ausbildungsziele in die Empfehlung aufgenommen.

Fazit: Mit dem Basler Consensus Statement liegt nun ein diskussionswürdiges deutschsprachiges Positionspapier vor, das die Wertigkeit kommunikativer und sozialer Kompetenzen als einen wichtigen curricularen Bestandteil stärken wird und das als Basis für die curriculare Entwicklung in diesem Bereich fungieren kann.

Schlüsselwörter: Medizinstudium, kommunikative und soziale Kompetenzen, Consensus Statement, Leitlinie

Abstract

Purpose: The purpose of the position paper is to present a guideline about which communicative and social competencies medical students should have achieved at the end of their medical studies. This guideline is based on a consensus of experts from different disciplines and medical faculties. Referring to the English-speaking consensus statements developed in Toronto and Kalamazoo, the German speaking guideline has been called “Basel Consensus Statement”.

Methods: The guideline was developed in three steps, an initial two-day workshop in Basel, followed by a two-step Delphi-survey. The aim of the Delphi-survey was to evaluate the competencies and educational objectives that were developed at the workshop in Basel according to their importance for medical education. 30 persons attended the workshop. They were also the target group for the first Delphi-round. Recipients of the second Delphi-round were the members of the Association for Medical Education in German-speaking countries. 77 persons participated in the survey. Altogether, over 100 persons from 30 different faculties could be involved into the development of the guideline.

Results: Based on the survey results, five areas of competencies were defined divided in general and specific competencies. These areas were operationalised into topics and educational objectives. The areas of specific competencies are: doctor-patient-relationship, teamwork, personality and professionalism, reasoning and decision making. Altogether, 19 themes and 131 educational objectives were enclosed into the guideline.

Conclusion: The position paper presents a first interdisciplinary German speaking guideline for communicative and social competencies in medical education that hopefully will strengthen the importance of these competencies in medicine. In addition, it will hopefully be a worthwhile theoretical foundation for improving teaching, learning, and assessment in this field.

Keywords: medical education, communicative and social competencies, consensus statement


Einleitung

Das Konzept eines kompetenzbasierten Curriculums bietet einen interessanten und Erfolg versprechenden Weg, das Medizinstudium zu optimieren. Neben kognitivem Wissen erwerben die Studierenden allgemeine und medizinspezifische Handlungskompetenzen und Fertigkeiten. In vielen Län-dern sind in den letzten Jahren Grundsatzpapiere entstanden, in denen definiert wird, welche Kompetenzen Medizinstudierende am Ende ihres Studiums besitzen sollten [1], [2], [3]. Auch im Bologna-Prozess wurde dieser Aspekt aufgegriffen und seine Umsetzung für alle Studienfächer in Europa gefordert [4]. Allen Stellungnahmen gemeinsam ist, dass Aspekte der Kommunikation und des professionellen oder ethisch angemessenen Verhaltens genannt werden, allerdings in der Regel ohne Festlegung von konkreten Ausbildungszielen. In Deutschland und Österreich existieren bislang an einzelnen Medizinischen Fakultäten Lernzielkataloge oder Kompetenzpapiere (z. B. Hamburg, Berlin), es fehlt jedoch ein fakultätsübergreifendes Grundsatzpapier, das die Funktion einer interfakultären Empfehlung übernehmen könnte. Eine Ausnahme bilden hier die von den deutschen bzw. europäischen Medizinstudierenden 2006 bzw. 2007 erarbeiteten Kerncurricula [5], [6].

Neben den Lernzielkatalogen und Kompetenzpapieren, die das gesamte Medizinstudium umfassen, gibt es eine Reihe von internationalen Empfehlungen für einzelne Kompetenzbereiche. Für den Bereich Kommunikation sind die bekanntesten das Toronto Consensus Statement [7] und das Kalamazoo Consensus Statement I [8]. Diese Empfehlungen sind besonders für Lehrende interessant und hilfreich, um in diesem Bereich den Unterricht besser zu konzipieren, durchzuführen, zu überprüfen und zu evaluieren. Im deutschsprachigen Raum existiert bisher nichts Vergleichbares.

Das Training kommunikativer Kompetenzen mit einem hohen Engagement von Lehrenden ist im angloamerikanischen Raum Standard. In Deutschland ist der Stellenwert der Lehre kommunikativer und sozialer Kompetenzen eher gering [9], obwohl bekannt ist, dass diese Kompetenzen nicht „nebenbei“ im Zuge des klinischen Unterrichts erworben werden [10]. Studien zeigen, dass kommunikative und soziale Kompetenzen erlernbare Fertigkeiten sind, die durch entsprechendes Training verbessert werden können [11], [12]. Verschiedene Übersichtsarbeiten aus der Ausbildungsforschung stellen die Ergebnisse zur Effektivität von Kommunikationstrainings dar [13], [7], [14], [15]. Übereinstimmend empfohlen wird ein regelmäßiger, didaktisch gut strukturierter, interaktiver Unterricht in Kleingruppen mit hohem praktischen Übungsanteil und Feedback, z. B. durch Einbezug von Simulationspatientinnen und -patienten, sowie der kontinuierliche Einsatz von formativen und summativen Überprüfungen.


Zielsetzung

Ziel des vorliegenden Positionspapiers ist es, abgestützt auf einen interdisziplinären und fakultätsübergreifenden Konsens Empfehlungen darzustellen, welche kommunikativen und sozialen Kompetenzen Medizinstudierende am Ende ihres Studiums besitzen sollten. Diese Empfehlung wird im Folgenden „Basler Consensus Statement“ genannt und ist in Anhang [Anh. 1] vollständig dargestellt. Das Basler Consensus Statement zielt darauf ab,

  • eine Grundlage für die Planung eines interdisziplinären Längsschnittcurriculums vom ersten bis zum letzten Studienjahr sowie einen Planungsrahmen für die Konzeption reliabler und valider Überprüfungsinstrumente zu schaffen,
  • Lehrende und in der Lehrentwicklung Tätige bei der Evaluation und Optimierung von eingesetzten Lehr- und Lernformen zu unterstützen sowie die Position einzelner Lehrender in ihren Fakultäten und des Kompetenzbereichs insgesamt zu stärken und
  • eine Grundlage für die Initiierung von Projekten der Ausbildungsforschung zu bilden.

Entstehungsprozess

Basler Workshop und Nominal Group Technique

Im September 2006 wurde in Basel ein von den Autorinnen und Autoren vorbereiteter zweitägiger Workshop mit dem Ziel durchgeführt, einen ersten Entwurf für die Empfehlung zu entwickeln. Der Workshop wurde von der Carl-Gustav-Carus-Stiftung für Psychosomatische Forschung finanziert. Es wurden 34 Personen zu dem Workshop eingeladen, von denen 30 Personen teilnahmen (14 Männer, 16 Frauen). Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass verschiedene Statusgruppen (Professoren, Studierende, Weiterbildungsassistenten, wissenschaftliche Mitarbeiter und niedergelassene Ärzte) und eine Vielzahl von unterschiedlichen Disziplinen und Fakultäten vertreten waren (siehe Anmerkung). Im Vorfeld des Workshops wurde auf der Basis relevanter Literatur (z.B. Consensus Statements, Kompetenzpapiere, Empfehlungen zur Lernzielentwicklung), eine Grundstruktur der Empfehlung erarbeitet und die zu bearbeitenden Kompetenzen in fünf übergeordnete Kompetenzbereiche gegliedert (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Folgende Festlegungen wurden getroffen:

  • Es sollte ein minimaler Standard beschrieben werden, d. h. Kompetenzen, die jeder Student und jede Studentin am Ende des Studiums beherrschen sollten, weniger eine Beschreibung des/der idealen Absolventen/in.
  • Bei den Formulierungen sollte darauf geachtet werden, dass beobachtbares Verhalten beschrieben wird. Die Formulierungen erfolgten in Anlehnung an die Bloom’schen Lernzieltaxonomien [16], [17], [18].
  • Es sollte eine Hierarchisierung der Ausbildungsziele von allgemeinen Kompetenzen bis hin zu operationalisierten Ausbildungszielen erstellt werden (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Die Erarbeitung erfolgte in fünf parallelen Gruppen, die gemäß den Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zur Entwicklung von Leitlinien in Anlehnung an die Nominal Group Technique moderiert wurden [19]. Die Gruppeneinteilung orientierte sich an den Kompetenzbereichen der zu erarbeitenden Empfehlung. In den fünf Arbeitsgruppen wurden insgesamt 26 Themengebiete erarbeitet, die 188 Ausbildungsziele umfassten. Alle Ausbildungsziele wurden nach dem Workshop sprachlich vereinheitlicht (z. B. Satzbau, Position der Verben im Satz, Reduzierung von Verben). Zur weiteren Präzisierung und Gewichtung der entwickelten Ausbildungsziele erfolgte im Anschluss ein zweistufiges Delphi-Verfahren.

Delphi-Verfahren

Erste Runde der Delphi-Befragung

Die erste Befragungsrunde diente der Überprüfung der Workshop-Ergebnisse hinsichtlich ihrer Formulierung, inhaltlichen Ausrichtung und Gewichtung. Zielgruppe der ersten Befragung im Oktober 2006 waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops. Diese hatten die Möglichkeit, jedes Ausbildungsziel hinsichtlich seiner Wichtigkeit (vierstufige Skala von 1= sehr wichtig bis 4= unwichtig) und Verständlichkeit (binär: ja oder nein) zu bewerten sowie Vorschläge für Umformulierungen zu machen. Zusätzlich sollte eine Zusammenstellung von doppelten und sich überschneidenden Ausbildungszielen dahingehend beurteilt werden, ob diese Inhalte in einem übergeordneten Bereich „allgemeine Kompetenzen“ zusammengeführt werden sollten. Der Rücklauf lag mit 21 ausgefüllten Fragebögen bei 70%.

Aufgrund der Beurteilungen und Kommentare erfolgte eine umfassende Überarbeitung der Kompetenzen und Ausbildungsziele. Es wurde ein neuer Bereich „Allgemeine kommunikative und soziale Kompetenzen“ geschaffen, der den Bereich „Soziale Kompetenzen“ ablöste und eine Reduktion von Dopplungen ermöglichte. Alle Themengebiete und Ausbildungsziele wurden gesichtet und ggf. modifiziert. So wurde eine Reduktion von 188 auf 143 Ausbildungsziele erreicht. Für alle Themengebiete wurde eine zusammenfassende Beschreibung in einem Satz formuliert und den Ausbildungszielen vorangestellt.

Zweite Runde der Delphi-Befragung

Im Frühjahr 2007 wurde die zweite Runde der Delphi-Befragung durchgeführt. Alle Mitglieder der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA), http://www.gesellschaft-medizinische-ausbildung.org, wurden per E-Mail gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Basler Workshops sollten den Fragebogen nicht ausfüllen, sondern wurden gebeten, den Fragebogen in ihren Fachgesellschaften zirkulieren zu lassen. Dies wurde allerdings nur innerhalb der Gesellschaft für Medizinische Soziologie und Medizinische Psychologie erfolgreich umgesetzt.

Im Fragebogen sollte jedes Ausbildungsziel hinsichtlich seiner Wichtigkeit auf einer vierstufigen Skala von 1= „sehr wichtig“ bis 4= „unwichtig“ beurteilt werden. Zusätzlich konnte angegeben werden, ob ein Ausbildungsziel nicht in das Medizinstudium, sondern in die Weiterbildung gehört. Es bestand außerdem die Möglichkeit, Themenbereiche und Ausbildungsziele zu kommentieren.

Es antworteten 77 Personen, davon waren 30 Frauen (39% der Stichprobe). Das durchschnittliche Alter lag bei 48 Jahren (Range 22 bis 82 Jahre). Die Verteilung der Statusgruppen, Fachrichtungen und Bundesländer ist in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt.

Für jedes Ausbildungsziel wurde ein Wert der „Wichtigkeit“ ermittelt. Er drückt den Anteil an Personen aus, die dieses Ziel als sehr wichtig oder wichtig beurteilten. Dies beinhaltete alle Personen, die entweder auf der vierstufigen Skala von sehr wichtig bis unwichtig das Ziel beurteilt oder auf der alternativen Skala das Ziel als in die Weiterbildung gehörend eingeschätzt hatten. Ausbildungsziele, die weniger als 50% der Befragten als sehr wichtig oder wichtig eingeschätzten, wurden nicht in die Empfehlung aufgenommen (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Insgesamt wurden die Ausbildungsziele sehr zustimmend beurteilt. Die durchschnittliche Wichtigkeit der Ausbildungsziele lag bei 76%. Die Ausbildungsziele, die am wichtigsten eingeschätzt wurden, sind in Tabelle 2 [Tab. 2], die Ausbildungsziele, die am unwichtigsten eingeschätzt wurden, sind in Tabelle 3 [Tab. 3] dargestellt.

Zwölf Ausbildungsziele wurden nicht in das Consensus Statement aufgenommen, da sie das oben genannte Kriterium nicht erfüllten. Dieses Vorgehen führte zu der summarisch in Tabelle 4 [Tab. 4] wiedergegebenen Empfehlung.


Diskussion

Ziel des Projektes war es, eine interdisziplinäre und interfakultäre Empfehlung zu entwickeln, die beschreibt, welche kommunikativen und sozialen Kompetenzen Medizinstudierende am Ende ihres Studiums besitzen sollten. Im Rahmen des Workshops in Basel sowie der zweistufigen Delphi-Befragung wurden über 100 Personen im deutschsprachigen Raum aus über 30 verschiedenen Medizinischen Fakultäten in den Entwicklungsprozess dieser Empfehlung einbezogen. Daraus resultierten fünf Kompetenzbereiche, unterteilt in allgemeine und spezifische Kompetenzen, mit 19 Themengebieten und 131 operationalisierten Ausbildungszielen.

Beim Vergleich mit den anderen Consensus Statements [7], [8] fällt auf, dass das deutschsprachige Basler Consensus Statement deutlich breiter angelegt ist. Insbesondere Ausbildungsziele in den Bereichen Teamarbeit, Persönlichkeit und Professionalität werden in den Vorläufer-Katalogen nicht erwähnt. Dies ist aus unserer Sicht Ausdruck dafür, dass die hier vorgelegte Stellungnahme gegenüber den älteren Empfehlungen den aktuellen Entwicklungen im ärztlichen Berufsbild Rechnung trägt. Es ist z. B. in Österreich zu erwarten, dass die Einzelpraxis im niedergelassenen Bereich durch Gruppenpraxen unterschiedlicher Spezialisierungen ersetzt wird. Zusätzlich ist nicht zu erwarten, dass sich der Trend zu einer weiter gehenden Spezialisierung in der Medizin umkehrt. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass aus immer mehr Fachdisziplinen hoch spezialisierte Befunde und Therapievorschläge geliefert werden, die untereinander und mit dem betroffenen Patienten kommuniziert werden und zu individuellen und ethisch vertretbaren Therapieentscheidungen führen müssen. Eine Ausbildung, die den oben genannten Zielen nicht Rechnung trägt, vernachlässigt unserer Einschätzung nach wesentliche Bereiche der ärztlichen Praxis.

Besonders in der zweiten Delphi-Befragung fiel auf, dass Ausbildungsziele, die sich eher auf theoretische Modelle und gesundheitspolitische Aspekte bezogen, insgesamt als weniger wichtig eingeschätzt wurden. Ausbildungsziele, die Haltungen und Einstellungen zum Inhalt hatten (z.B. respektvoller Umgang mit Patientinnen und Patienten), wurden im Vergleich dazu deutlich wichtiger eingeschätzt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass gerade Haltungen und Einstellungen schwierig zu unterrichten und zu prüfen sind. Es ist anzunehmen, dass sie im Moment an deutschsprachigen Medizinischen Fakultäten im Vergleich zu theoretischen Inhalten eher selten unterrichtet oder überprüft werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Haltungen und Einstellungen keinen Platz im Medizinstudium haben sollten, im Gegenteil. Angeleitete Selbstreflexion und strukturiertes Feedback stellen lohnenswerte Ansätze dar, den Unterricht in diese Richtung auszubauen.

Besonders in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob mit der vorliegenden Empfehlung wirklich ein Minimalstandard oder nicht eher der ideale Student bzw. die ideale Studentin beschrieben wird. Hier sind Zweifel schon allein deshalb angebracht, weil sich für viele der in den Ausbildungszielen beschriebenen Themenbereiche, z. B. den Umgang mit Fehlern, in der Medizin insgesamt erst in jüngster Zeit ein Bewusstsein für konkreten Handlungsbedarf zu entwickeln beginnt. Andere Kompetenzen, z. B. die patientenzentrierte Kommunikation, werden zwar seit Jahrzehnten immer wieder eingefordert, offensichtlich stehen aber nicht nur ihrer Vermittlung, sondern auch ihrer Realisierung in der Praxis strukturelle Hürden entgegen. Zudem ist insbesondere die Entwicklung ärztlicher Einstellungen und Haltungen als Ergebnis eines Sozialisationsprozesses zu verstehen, der durch die Auseinandersetzung mit vorgefundenen, vielfach nur wenig reflektierten Handlungsmustern und –normen geprägt ist [20], [21]. Vor diesem Hintergrund kann kaum erwartet werden, dass eine nachhaltige Vermittlung von Kompetenzen gelingt, deren Nutzen und Notwendigkeit zwar kaum bestritten wird, die aber von den Akteuren im Gesundheitswesen bislang wenig umgesetzt werden. Die ärztliche Ausbildung allein kann angesichts der real existierenden Bedingungen des Gesundheitswesens kaum zu einer Veränderung der bestehenden Verhältnisse führen.

Die Ausbildungsziele wurden jedoch nicht nach dem Gesichtspunkt der momentanen Machbarkeit ausgewählt, sondern unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung für die Medizin. Und da besteht wahrscheinlich weitgehende Einigkeit unter praktizierenden Ärztinnen und Ärzten sowie innerhalb der Lehrenden der Humanmedizin, dass es wichtig wäre, wenn Studierende am Ende des Studiums z. B. Teamarbeit wertschätzen oder einen angemessenen Umgang mit eigenem Fehlverhalten und eigenen Fehlern entwickelt haben. Dies entspricht im Übrigen auch den Empfehlungen der U.S.-amerikanischen Gesellschaft für Patientensicherheit [22]. Zudem haben gerade jüngere Arbeiten gezeigt, wie wesentlich für das spätere Berufsleben die kommunikativen Fertigkeiten sind, die Studierende während ihrer Ausbildung erwerben. Ein schlechter Wert im Medical Council of Canada Clinical Skills Examination (MCC CSE) - ein Staatsexamen, das Arzt-Patient-Kommunikation, Anamneseerhebung und klinische Fertigkeiten beinhaltet - prädiziert über einen Beobachtungszeitraum von mehr als 5 Jahren, wie viele rechtsrelevante Patienten-Beschwerden gegen einen Arzt bzw. eine Ärztin in ihrer Praxis vorgebracht werden [23].

Die jetzt vorliegende Empfehlung lässt viele Fragen offen. Besonders drängend gerade vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Ressourcen stellt sich die methodisch komplexe Aufgabe dar, valide und reliable Prüfungsmethoden im hier skizzierten Kompetenzbereich zu erarbeiten. Es wäre es wünschenswert, wenn das Basler Consensus Statement eine gemeinsame Arbeit verschiedener Fakultäten stimulieren könnte, um den Zustand zu überwinden, dass jede Universität im Rahmen ihrer Möglichkeiten in begrenztem Umfang Prüfungen entwickelt, die den anderen Fakultäten nicht zur Verfügung stehen. Das Beispiel der britischen Fakultäten zeigt, in welche Richtung sich das Prüfungswesen entwickeln könnte. Ausgehend von der Tatsache, dass Fertigkeiten nicht über einfache MC Fragen geprüft werden können, sondern sich am Verhalten in konkreten Problemsituationen zeigen, wird in Großbritannien an einer Fallbibliothek mit typischen Patientengeschichten, Anweisungen für Simulationspatientinnen und -patienten und auf die Fallgeschichten abgestimmten Prüfungsfragen gearbeitet (SCEE in Cambridge, t-EACH committee von EACH). Wenn es zum Aufbau einer entsprechenden deutschsprachigen Datenbank käme, könnte dies ein wesentlicher Fortschritt sein.

Das Basler Consensus Statement stellt den ersten Schritt eines umfassenden Entwicklungsprozesses dar. Für die konkrete Reform der Curricula an den einzelnen Fakultäten werden insbesondere die für eine Umsetzung notwendigen finanziellen, personellen und strukturellen Ressourcen von Bedeutung sein. Es bedarf daher des verstärkten Austausches über praktikable Unterrichtsmethoden und Prüfungsformate. Wichtig sind insbesondere bereits bewährte Praxisbeispiele, die mehr Informationen darüber liefern, welche Ressourcen für die Vermittlung und Überprüfung spezifischer Ziele benötigt werden. Ein besonderes Augenmerk muss dabei dem Bereich der ärztlichen Haltungen und Einstellungen gewidmet werden. Die Frage, welchen Stellenwert bereits eingesetzte Methoden und Instrumente (z. B. schriftliche und computerbasierte Instrumente, OSCE) und innovative Verfahren (z. B. Portfolio) bei der Überprüfung der genannten Kompetenzen und Ausbildungsziele haben werden, lässt sich noch nicht abschließend beantworten.

Ziel dieser Veröffentlichung ist es, einen auf einen breiten Konsens von Experten abgestützten Lernzielkatalog vorzustellen, damit die Diskussion über die Entwicklung des Faches Medizin bereichert wird. Es ist zu hoffen, dass sich daraus weitere Schritte ergeben werden, in denen es um die Implementierung entsprechender Lehr- und Prüfungsformen im Medizinstudium geht.


Fazit

Mit dem Basler Consensus Statement liegt nun ein diskussionswürdiges deutschsprachiges Positionspapier vor, dass die Wertigkeit kommunikativer und sozialer Kompetenzen als einen wichtigen curricularen Bestandteil stärken wird und dass als Basis für curricluare Entwicklung in diesem Bereich fungieren kann. Die Kombination aus Workshoparbeit mit einer kleinen Gruppe von Lehrenden unter Verwendung der Nominal Group Technique und der anschließenden Überprüfung der Ergebnisse mittels einer zweistufigen Delphi-Befragung hat sich bewährt und kann für andere Kompetenzbereiche empfohlen werden.


Anmerkung

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Basel Workshops (inklusive derjenigen, die den Workshop mit vorbereitet haben aber kurzfristig nicht kommen konnten)

Dr. Jutta Begenau (Med. Soziologie, Berlin), Dr. Barbara Dätwyler (Pflege, Bern), Dr. Anja Dieterich (Allgemeinmedizin, Berlin), Dr. Götz Fabry (Med. Psychologie, Freiburg), Annette Fröhmel (Simulationspatientenprogramm, Berlin), PD Dr. Rainer Haak (Zahnmedizin, Köln), Prof. Dr. Peter Helmich (Allgemeinmedizin, Brüggen), Dr. Henrike Hölzer (Simulationspatientenprogramm, Berlin), Dr. Claudia Kiessling (Reformstudiengang, Berlin), Juliane Kroker (Medizinstudentin, Berlin), Prof. Dr. Wolf Langewitz (Psychosomatik, Basel), Dr. Hildegard Lieverscheidt (Büro für Studienreform, Bochum), Dr. Andreas Loh (Psychiatrie, Freiburg), Isabel Mühlinghaus (Reformstudiengang, Berlin), Dr. Heiderose Ortwein (Anästhesiologie, Berlin), Dr. Swetlana Philipp (Med. Psychologie, Jena), Dr. Karen Pierer (Studiendekanat, Basel), Dr. Susanne Pruskil (Allgemeinmedizin, Berlin), Dr. Katrin Rockenbauch (Med. Psychologie, Leipzig), Simone Scheffer (Reformstudiengang, Berlin), Dr. Jan Schildmann (Med. Ethik, Bochum), Jochen Schönemann (Psychosomatik, Heidelberg), Dr. Markus Schrauth (Psychosomatik, Tübingen), Sebastian Schubert (Reformstudiengang, Berlin), Dr. Jobst-Henrik Schultz (Psychosomatik, Heidelberg), Prof. Dr. Ulrich Schwantes (Allgemeinmedizin, Berlin), PD Dr. Dirk Sommerfeld (Unfallchirurgie, Hamburg), Dr. Ulrich Stößel (Med. Soziologie, Freiburg), Dr. Julijana Verebes (Palliativmedizin, Graz), Prof. Dr. Ulrich Voderholzer (Psychiatrie, Freiburg), Stefanie Wand (Kinder- und Jugendpsychiatrie, Erlangen), Dörte Worthmann (Neurologie, Berlin)


Danksagung

Unser besonderer Dank gilt allen, die sich an der Erstellung, an der Beurteilung im Rahmen der Delphi-Befragung und an den intensiven Diskussionen des Basler Consensus Statement beteiligt haben. Hervorzuheben sind dabei die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Workshops in Basel, Dr. Olaf Kuhnigk, Dr. Katja Weidtmann, Dr. Cadja Bachmann (alle Hamburg) sowie die Carl-Gustav-Carus Stiftung für Psychosomatische Forschung für die finanzielle Unterstützung dieses Projekts.


Aktuelles

Der konkrete Umgang und Einsatz des Basler Consensus Statements bzw. der erarbeiteten Kompetenzen, Themenbereiche und Ausbildungsziele, wird auf der kommenden Jahrestagung der GMA in Greifswald (http://www.gma2008.de) im Oktober 2008 diskutiert werden.


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